Выбрать главу

Von den Frauen in der Küche hörte Snip, Lady Chanboor lasse sich manchmal wochenlang nicht blicken, da der Minister aus diesem oder jenem Grund seiner Gattin überdrüssig sei und ihr ein blaues Auge verpaßt habe. Andere behaupteten, sie betrinke sich ganz einfach tagelang. Eine alte Hausangestellte berichtete hinter vorgehaltener Hand, von Zeit zu Zeit mache sie sich mit einem Liebhaber aus dem Staub.

Snip langte auf der obersten Stufe an. Die Flure im dritten Stock waren menschenleer, Sonnenlicht strömte durch die mit gazeartigen Spitzen verhangenen Fenster herein und fiel auf die blanken Holzdielen. Snip blieb auf dem Absatz am oberen Treppenende stehen. In seinem Rücken hatte er auf drei Seiten Türen, auf der vierten die Treppe. Er blickte die menschenleeren Flure entlang, die nach rechts und links abgingen, und wußte nicht, ob er es wagen sollte, sie zu betreten.

Alle möglichen Leute, von Boten bis hin zu Wachtposten, konnten ihn anhalten und fragen, was er hier zu suchen hatte. Was konnte er darauf antworten? Snip wollte nicht zum Bettler werden.

So wenig er die Arbeit mochte, hatte er doch gerne etwas zu essen; ständig schien er hungrig zu sein. Das Essen war nicht so gut wie das, was den wichtigen Personen bei Hofe oder den Gästen serviert wurde, aber es war passabel, und er bekam ausreichend. Und wenn niemand hinsah, konnten er und seine Freunde sogar Wein und Bier trinken. Nein, er wollte nicht hinausgeworfen und zum Bettler gemacht werden.

Vorsichtig machte er einen Schritt in die Mitte des Treppenabsatzes. Fast hätte sein Knie nachgegeben, und er hätte ums Haar aufgeschrien, als er auf etwas Spitzes trat. Dort, unter seinem Fuß, lag eine Anstecknadel mit spiralförmigem Ende, dieselbe Anstecknadel, mit der Beata den Ausschnitt ihres Kleides verschloß.

Snip hob sie auf, unschlüssig, was das bedeuten mochte. Er konnte sie mitnehmen und ihr später wiedergeben, vielleicht freute sie sich, sie zurückzubekommen, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht sollte er sie dort liegenlassen, wo er sie gefunden hatte, statt jemandem, schon gar nicht Beata, erklären zu müssen, wie sie in seine Hände gekommen war. Womöglich würde sie wissen wollen, was ihm einfalle, hier heraufzukommen. Sie war eingeladen worden, nicht er. Womöglich glaubte sie, er spionierte ihr nach.

Er war gerade im Begriff, sich zu bücken, um die Nadel wieder an ihren Platz zu legen, als er in dem unter einer der großen Türen vor ihm hindurchfallenden Licht eine Schattenbewegung wahrnahm. Er neigte den Kopf zur Seite, glaubte, Beatas Stimme zu hören, war aber nicht sicher. Dann vernahm er gedämpftes Lachen.

Snip schaute abermals nach rechts und links. Niemand zu sehen. Schließlich ging er ja keinen Flur entlang; er trat bloß kurz ans andere Ende des Absatzes am oberen Treppenende. Wenn jemand fragte, konnte er sagen, er habe den Flur nur betreten wollen, um vom dritten Stock aus einen Blick auf die wunderschönen Ländereien zu werfen – um hinauszuschauen auf die Weizenfelder, die die Hauptstadt Fairfield, den Stolz Anderiths, umgaben.

Ihm erschien das glaubhaft. Man würde ihn vielleicht anbrüllen, aber bestimmt nicht gleich hinauswerfen. Nicht, weil er aus einem Fenster geschaut hatte. Bestimmt nicht.

Sein Herz klopfte; ihm zitterten die Knie. Bevor er Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken, ob es töricht wäre, ein solches Risiko einzugehen, hatte er sich bereits auf Zehenspitzen an die schwere, in vier Felder unterteilte Tür herangeschlichen. Er vernahm ein Geräusch, das wie das Wimmern einer Frau klang. Aber auch ein amüsiertes Lachen und das Keuchen eines Mannes.

Im gläsernen Türknauf waren Hunderte kleiner Bläschen für immer vor der Vergänglichkeit bewahrt. Es gab kein Schloß, somit also auch kein Schlüsselloch unterhalb des reichverzierten Messingbeschlags rings um den Glasknauf. Das Gewicht auf die Finger verlagernd, ließ Snip sich leise zu Boden, bis er auf dem Bauch lag.

Je näher er dem Boden kam, und damit auch dem Spalt unter der Tür, desto besser konnte er hören. Es klang irgendwie, als sei ein Mann damit beschäftigt, sich zu verausgaben. Das amüsierte Lachen ab und an stammte von einem zweiten Mann. Snip vernahm das stoßweise, wimmernde Stöhnen einer Frau, so als hechelte sie ihrem eigenen Atem hinterher. Beata, dachte er.

Snip schmiegte seine rechte Wange auf den kalten, lackierten Eichenboden. Er schob sein Gesicht näher an den zollgroßen Spalt unter der Tür heran und erblickte, ein wenig nach links versetzt, Stuhlbeine, und davor, auf dem Fußboden ruhend, einen schwarzen, mit silbernen Nieten besetzten Stiefel; er wippte leicht auf und ab. Da man nur einen sah, hatte der Mann offenbar die Beine übereinandergeschlagen.

Snip hatte das Gefühl, als sträubten sich ihm die Haare. Er erinnerte sich ganz deutlich, den Besitzer dieses Stiefels gesehen zu haben. Es war der Mann mit dem seltsamen Übermantel, mit den Ringen und den vielen Waffen. Der Mann, der Beata eingehend gemustert hatte, als er an ihrem Karren vorübergegangen war.

Snip vermochte nicht auszumachen, woher die Geräusche stammten. Leise wälzte er seinen Körper herum und drehte das Gesicht, so daß er mit dem linken Augen unter der Tür nach rechts schauen konnte. Er schob sich näher heran, bis seine Nase die Tür berührte.

Er kniff ungläubig die Augen zusammen, und dann – entsetzt – noch einmal.

Beata lag mit dem Rücken auf dem Fußboden, ihr blaues Kleid war über ihre Hüften gerutscht. Zwischen ihren entblößten, gespreizten Beinen lag ein Mann mit nacktem Oberkörper, der sie hastig und ungestüm bearbeitete.

Schockiert von dem Anblick, sprang Snip auf und taumelte mehrere Schritte zurück. Er keuchte, seine Augen waren aufgerissen, und seine Eingeweide verdrehten sich vor Schreck. Vor Schreck, daß er Beatas bloße, gespreizte Beine gesehen hatte. Und dazwischen den Minister. Er machte kehrt und wollte, brennende Tränen in den Augen, mit offenem Mund und wie ein Karpfen auf dem Trockenen nach Luft schnappend, die Treppe hinunterstürzen.

Hallende Schritte. Jemand kam die Treppe herauf. Wie erstarrt blieb er mitten im Raum stehen, zehn Fuß von der Tür, zehn Fuß von der Treppe entfernt, und wußte nicht, was er tun sollte. Er hörte, wie die Schritte näher kamen. Hörte zwei Stimmen. Er blickte rechts und links in den Flur und versuchte zu entscheiden, ob einer vielleicht eine Fluchtmöglichkeit bot, ob es bloß Sackgassen waren, in denen er festsäße, oder ob dort Wachen standen, die ihn in Ketten legen würden.

Die beiden blieben auf dem Absatz unten stehen, es waren zwei Frauen, Anderierinnen. Sie unterhielten sich über das Fest am selben Abend, wer anwesend sein würde, wer nicht eingeladen war; wer doch. Obwohl ihre Worte kaum mehr als geflüstert waren, konnte er sie in seinem Zustand entgeisterter Bestürzung deutlich genug verstehen. Snip schlug das Herz bis zum Hals, während er in starrer Panik keuchend flehte, sie möchten die Treppe nicht bis ganz oben in den dritten Stock heraufkommen.

Die beiden begannen eine Diskussion darüber, was sie anziehen wollten, um die Aufmerksamkeit des Ministers auf sich zu lenken. Snip konnte kaum glauben, daß er eine Unterhaltung darüber belauschte, wie dicht über ihren Brustwarzen sie ihren Ausschnitt zu tragen wagten. Das Bild, das dabei in seinem Kopf entstand, wäre bis zur Verblendung angenehm gewesen, säße er nicht – kurz davor, gefaßt zu werden – an einem Ort fest, wo er nichts verloren hatte, wo er etwas sah, das er nicht hätte sehen dürfen und das ihm einen Rausschmiß oder Schlimmeres eintragen konnte. Weit Schlimmeres.

Eine der beiden Frauen schien verwegener zu sein als die andere. Die zweite erklärte, sie habe ebenfalls die Absicht aufzufallen, aber das sei auch alles. Die erste lachte amüsiert, sie wolle mehr als von dem Minister bemerkt werden, und die andere solle ganz unbesorgt sein, denn ihre Ehemänner würden belobigt werden, wenn sie zuließen, daß ihre Frauen die ganze Aufmerksamkeit des Ministers auf sich zögen.

Snip drehte sich, um ein Auge auf die Tür des Ministers zu halten. Offenbar hatte bereits jemand die Aufmerksamkeit des Ministers erregt. Beata.

Snip wagte vorsichtig einen Schritt nach links. Der Boden knarrte! Snips Ohren fühlten sich an, als würden sie immer größer. Weiter unten Gekicher über Ehemänner. Snip zog den Fuß zurück, Schweiß rann ihm in den Nacken.