»Ja, Sir. Ich will nicht, daß jemand etwas gegen den Minister sagt. Er ist ein guter Mann, der Minister. Hoffentlich stimmen die Gerüchte, die ich gehört habe, daß wir eines Tages den Segen des Schöpfers erfahren können und Minister Chanboor Herrscher wird.«
Jetzt blieb das Lächeln des Adjutanten endgültig haften.
»Ja, ich glaube wirklich, aus dir kann noch etwas werden. Solltest du … irgendwelche den Minister betreffenden Lügen hören, wüßte ich es sehr zu schätzen, davon zu erfahren.« Er gestikulierte Richtung Treppe. »Und jetzt mach, daß du in die Küche kommst.«
»Ja, Sir. Wenn ich so was höre, komme ich sofort damit zu Euch.« Snip machte sich Richtung Treppe davon. »Ich will nicht, daß jemand Lügen über den Minister verbreitet. Das wäre nicht richtig.«
»Junger Mann – Snip, nicht wahr?«
Snip drehte sich auf der obersten Stufe um. »Richtig, Sir. Snip.«
Dalton Campbell verschränkte die Arme, drehte den Kopf und sah ihn fragend an. »Was hast du bei der Buße gelernt, wie man den Herrscher beschützen muß?«
»Den Herrscher?« Snip rieb seine Hände an der Hose. »Nun … äh … daß alles, was man tut, um den Herrscher zu beschützen, eine Tugend ist?«
»Sehr gut.« Die Arme noch immer verschränkt, beugte er sich zu Snip hinab. »Und nun, da du gehört hast, daß Minister Chanboor wahrscheinlich zum Herrscher ernannt wird …?«
Der Mann erwartete eine Antwort. Snip suchte hektisch danach. Schließlich räusperte er sich. »Nun … ich denke, wenn er zum Herrscher ernannt werden wird, daß man ihn dann vielleicht ebenso beschützen soll.«
Dalton Campbells Art zu lächeln, als er sich aufrichtete, verriet Snip, daß er die richtige Antwort getroffen hatte. »Vielleicht besitzt du tatsächlich die Fähigkeit, bei Hofe aufzusteigen.«
»Danke, Sir. Ich würde alles tun, um den Minister zu beschützen, wo er doch eines Tages Herrscher werden wird. Es ist meine Pflicht, ihn auf jede nur erdenkliche Art zu beschützen.«
»Ja…«, meinte Dalton Campbell eigenartig gedehnt. Er legte den Kopf auf die Seite, katzenhaft, und musterte Snip eingehend. »Solltest du dich als hilfreich erweisen bei … allem, was wir möglicherweise gezwungen sein werden, zum Schutz des Ministers zu unternehmen, würde dich das der Begleichung deiner Schuld ein großes Stück näherbringen.«
Snip spitzte die Ohren. »Meiner Schuld, Sir?«
»Ich sagte es Morley bereits. Wenn er sich dem Minister als nützlich erweist, könnte er sich womöglich den Titel ›Sir‹ vor seinem Namen verdienen, mitsamt einer vom Herrscher unterzeichneten Urkunde. Du scheinst ein kluger Bursche zu sein. Ich könnte mir denken, daß dich in Zukunft ähnliches erwartet.«
Snips Unterkiefer hing schlaff herab. Sich den Titel ›Sir‹ vor dem Namen zu verdienen war einer seiner Träume. Eine vom Herrscher unterzeichnete Urkunde bewies, daß ein Hakenier seine Schuld beglichen hatte, mit ›Sir‹ anzusprechen und zu respektieren war. Seine Gedanken eilten zu dem soeben Gehörten zurück.
»Morley? Der Küchenjunge Morley?«
»Ja. Hat er dir nicht erzählt, daß ich mit ihm gesprochen habe?«
Snip kratzte sich hinter einem Ohr und versuchte sich vorzustellen, daß Morley ihm solch erstaunliche Neuigkeiten vorenthalten haben sollte. »Nun, das nicht, Sir. Er hat nichts davon erwähnt. Er ist so ungefähr mein bester Freund, ich würde mich erinnern, wenn er etwas Derartiges gesagt hätte. Tut mir leid, aber er hat nichts davon erzählt.«
Dalton Campbell strich mit dem Finger über die silberne Scheide an seiner Hüfte, während er Snips Augen beobachtete. »Gut.« Er legte abermals eine Hand auf das Heft seines prachtvollen Schwertes. »Du mußt wissen, Snip, sobald ein Hakenier seine Schuld beglichen und sich den Titel ›Sir‹ vor seinem Namen verdient hat, berechtigt ihn die unterzeichnete Urkunde zum Tragen eines Schwertes.«
Snip bekam große Augen. »Wirklich? Das wußte ich gar nicht.«
Der großgewachsene Anderier verabschiedete sich mit einem würdevollen Lächeln, machte mit elegantem Schwung kehrt und entfernte sich durch den Flur. »Dann also wieder an die Arbeit, Snip. Hat mich gefreut, deine Bekanntschaft gemacht zu haben. Vielleicht sprechen wir uns eines Tages noch.«
Snip rannte die Stufen hinunter, bevor er noch einmal dort oben erwischt werden konnte. Verwirrende Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Als er abermals an Beata dachte und an das, was geschehen war, sehnte er das Ende des Tages herbei, um sich ordentlich betrinken zu können.
Er verging vor Sorge um Beata, und doch bewunderte sie den Minister, jenen Minister, der eines Tages Herrscher werden würde und den Snip auf ihr hatte liegen sehen. Außerdem hatte sie ihn geschlagen, eine schlimme Sache für einen Hakenier, selbst gegenüber einem anderen Hakenier, wenn er auch nicht sicher war, ob sich das Verbot auf Frauen erstreckte. Doch selbst wenn nicht, würde er sich deswegen nicht weniger elend fühlen.
Aus einem unerklärlichen Grund haßte sie ihn jetzt.
Er sehnte sich danach, sich zu betrinken.
16
»Schnapp! Hierher, Junge! Schnapp!«
Normalerweise, wenn Meister Drummond ihn bei diesem Namen rief, wußte Snip, daß ihn die Demütigung erröten ließ, diesmal jedoch war er so in Sorge über das, was er zuvor in einem der oberen Stockwerke gesehen hatte, daß ihn eine solche Belanglosigkeit kaum beschämen konnte. Meister Drummonds herablassende Art, ihn wie Dreck zu behandeln, war nichts im Vergleich dazu, daß Beata ihn haßte und geohrfeigt hatte.
Es lag zwar bereits einige Stunden zurück, doch wo sie ihn geschlagen hatte, pochte sein Gesicht noch immer, somit war ihm eines klar: sie haßte ihn. Es verwirrte ihn und machte ihn verlegen, doch er war überzeugt, daß sie ihn haßte. Dabei dachte er, eigentlich sollte sie über alle und jeden verärgert sein, nur nicht über ihn.
Vielleicht ärgerte sie sich über sich selbst, weil sie überhaupt mit hinaufgegangen war. Vermutlich hatte sie sich schlecht weigern können, den Minister aufzusuchen, wo er doch nach ihr gefragt hatte. Inger, der Metzger, hätte sie wahrscheinlich hinausgeworfen, hätte der Minister ihm erzählt, sein hakenisches Mädchen habe sich geweigert, seiner ganz besonderen Aufforderung nachzukommen. Nein, das hätte sie nicht gut machen können.
Außerdem hatte sie den Mann kennenlernen wollen, das hatte sie ihm selbst erzählt. Snip wußte allerdings, daß sie nie damit gerechnet hatte, ihm zu Willen sein zu müssen. Vielleicht war es gar nicht der Minister, über den sie so aufgebracht war. Snip mußte daran denken, wie dieser Mann, Stein, ihm zugezwinkert hatte. Sie war lange dort oben gewesen, aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, Snip zu hassen. Oder ihn zu schlagen.
Snip blieb stehen. Seine Finger pochten vom langen Schrubben und Schaben im brühendheißen Wasser. Alles übrige an ihm fühlte sich jämmerlich an, wie taub. Bis auf sein Gesicht natürlich.
»Ja, Sir?«
Meister Drummond öffnete den Mund und wollte etwas sagen, klappte ihn dann aber wieder zu und beugte sich vor. Er runzelte die Stirn.
»Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
»Ich wollte gerade einen Arm voll Holz aufnehmen, als mir eines der Apfelholzscheite aus der Hand glitt und mich traf, Sir.«
Meister Drummond schüttelte den Kopf und wischte sich die Hände an seinem weißen Handtuch ab. »Idiot«, murmelte er. »Nur ein Idiot«, sagte er laut genug, daß die anderen mithören konnten, »würde sich beim Aufheben eines Holzscheites damit ins Gesicht schlagen.«
»Ja, Sir.«
Meister Drummond wollte gerade zu einer Bemerkung ansetzen, als Dalton Campbell, in ein speckiges, mit krakeligen Zeilen vollgekritzeltes Stück Papier vertieft, leisen Schrittes neben Snip erschien. Er hatte einen ganzen Stapel zerlesener Papiere bei sich, deren nach innen gerollte Eselsohren zu allen Seiten herausschauten.
Die Papiere in die Beuge seines Armes gelegt, folgte er der Schrift mit einem Finger.
»Ich bin hier, um ein paar Punkte klarzustellen, Drummond«, sagte er, ohne aufzusehen.
Meister Drummond wischte sich rasch die Hände ab und drückte seinen breiten Rücken durch. »Ja, Sir, Mr. Campbell. Womit kann ich Euch dienen?«