Der Adjutant des Ministers hob das Schriftstück hoch, um ein zweites Blatt darunter in Augenschein zu nehmen.
»Habt Ihr dafür gesorgt, daß die besten Servierteller und Krüge in die Speisekammer gebracht werden?«
»Ja, Mr. Campbell.«
Zerstreut vor sich hin murmelnd, bemerkte Campbell, dann müßten sie, nachdem er nachgesehen habe, wohl wieder ausgewechselt worden sein. Er überflog das Blatt und blätterte dann zu einem dritten weiter. »Ihr werdet an der großen Speisetafel zwei zusätzliche Plätze einrichten müssen.« Er blätterte zurück zur zweiten Seite.
Meister Drummonds Mund begann aufgeregt zu arbeiten. »Zwei zusätzliche Plätze. Sehr wohl, Mr. Campbell. Ich werde mich darum kümmern. Wenn es Euch in Zukunft vielleicht möglich wäre, mich ein wenig früher von dergleichen in Kenntnis zu setzen?«
Dalton Campbells Finger schnellten in die Luft, seine Augen aber wichen keinen Augenblick von seinen Papieren. »Ja, ja, mit größtem Vergnügen. Das heißt, vorausgesetzt, der Minister informiert mich früher.« Er tippte auf eine Position in seinen Unterlagen und sah auf. »Lady Chanboor beschwert sich, das Knurren der Musikermägen störe die Musik. Könntet Ihr bitte dafür sorgen, daß man ihnen diesmal vorher zu essen gibt? Vor allem der Harfenspielerin. Sie wird Lady Chanboor am nächsten sitzen.«
Meister Drummond bestätigte mit einem kurzen Nicken. »Ja, Mr. Campbell. Ich werde mich darum kümmern.«
Ganz langsam, um nicht aufzufallen, stahl Snip sich gesenkten Kopfes ein paar Schritte davon und versuchte den Eindruck zu vermeiden, er lausche, wie der Adjutant des Ministers dem Küchenmeister Anweisungen erteilte. Er hätte sich lieber aus dem Staub gemacht, als zu riskieren, für einen Schnüffler gehalten zu werden, da er jedoch wußte, man würde ihn anschreien, wenn er sich ohne Auftrag entfernte, entschied er sich für einen Kompromiß und versuchte unauffällig, aber zur Stelle zu sein.
»Beim gewürzten Wein ist diesmal eine größere Vielfalt geboten. Einige Leute empfanden die Auswahl letztes Mal als dürftig. Sowohl bei heißem als auch kaltem, wenn ich bitten darf.«
Meister Drummond preßte die Lippen aufeinander. »Das kommt ein wenig spät, Mr. Campbell. Wenn es Euch in Zukunft vielleicht möglich wäre…«
»Ja, ja, sowie man mich unterrichtet, bekommt auch Ihr Bescheid.« Er schlug eine weitere Seite um. »Delikatessen. Sie dürfen ausschließlich an der Ehrentafel gereicht werden, bis man sich dort satt gegessen hat. Beim letzten Mal mußte der Minister peinlicherweise feststellen, daß sie ausgegangen waren und einige der Gäste nach mehr verlangten. Sollte es Euch aus irgendeinem Grund nicht möglich gewesen sein, einen angemessenen Vorrat zu beschaffen, serviert Ihr sie an den anderen Tischen vorerst gar nicht mehr.«
Auch Snip erinnerte sich an den Vorfall und wußte, daß Meister Drummond angeordnet hatte, diesmal mehr von den Hirschhoden zu schmoren. Snip hatte einen der Leckerbissen stibitzt, als er die Bratpfanne zum Abwaschen hinübergetragen hatte. Auch wenn er ihn ohne die süßsaure Soße hatte essen müssen – gut war er trotzdem gewesen.
Dalton Campbell sah seine Papiere durch, erkundigte sich nach verschiedenen Salz-, Butter- und Brotsorten und teilte Meister Drummond ein paar weitere Korrekturen betreffs des Abendessens mit. Snip war bemüht, die beiden Männer beim Warten nicht anzuschauen, und sah statt dessen den Frauen an einem nahen Tisch zu, wie sie Schweinemägen mit Gehacktem, verschiedenen Käsesorten, Eiern und Gewürzen füllten, sie mit ›Stacheln‹ aus Mandeln spickten und auf diese Weise in Igel verwandelten.
An einem anderen Tisch versahen zwei Frauen gebratene Fasane mit einem neuen Federkleid aus mit Safran und gelben Sonnenblumen eingefärbten Federn. Selbst Schnäbel und Krallen waren gefärbt, so daß die Vögel – goldenen Statuen ähnlich – in ihrem neuen Federkleid wie grandiose Geschöpfe aus Gold aussahen, nur lebensechter.
Dalton Campbell schien mit seiner Liste von Fragen und Anweisungen zum Schluß zu kommen und ließ, die Hand mit den Papieren locker festhaltend, die Arme sinken.
»Habt Ihr mir irgend etwas zu berichten, Meister Drummond?«
Der Küchenmeister benetzte sich die Lippen. Er schien keine Ahnung zu haben, worauf der Adjutant anspielte. »Nein, Mr. Campbell.«
»Dann erledigt also ein jeder in Eurer Küche seine Arbeit zu Eurer vollsten Zufriedenheit?« Sein Gesicht war bar jeder Gefühlsregung.
Snip bekam mit, daß alle im Raum einen vorsichtigen Blick riskierten. Überall schien der Arbeitslärm ein wenig nachzulassen. Fast konnte er die Ohren wachsen sehen.
Snip schien es, als wollte Dalton Campbell Meister Drummond ganz behutsam vorwerfen, er führe keine gute Küche, weil er faulen Bediensteten die Vernachlässigung ihrer Pflichten nachsah, ohne sie anschließend zu bestrafen. Der Küchenmeister schien den Vorwurf ebenfalls zu ahnen.
»Nun, durchaus, Sir, alle erledigen ihre Arbeit zu meiner Zufriedenheit. Ich halte ein strenges Auge auf sie, Mr. Campbell. Ich lasse nicht zu, daß Drückeberger den Betrieb in meiner Küche aufhalten. Ich könnte gar nicht anders; der Haushalt ist zu wichtig, als daß man irgendwelchen Nichtstuern gestatten könnte, alles zu verderben. Das lasse ich nicht zu, Sir, nein, ganz bestimmt nicht.«
Dalton Campbell nickte zufrieden, als er dies vernahm. »Sehr gut, Drummond. Ich hätte auch nicht gerne Faulpelze in meinem Haus.« Er überflog den Raum voller schweigender, hart arbeitender Menschen. »Sehr gut. Danke, Meister Drummond. Ich werde später noch einmal hereinschauen, bevor es an der Zeit ist, mit dem Servieren zu beginnen.«
Der Adjutant des Ministers wandte sich zum Gehen, dabei bemerkte er Snip, der dort herumstand. Er legte die Stirn in Falten, woraufhin Snip den Kopf noch tiefer zwischen die Schultern zog und am liebsten in den Ritzen des Holzfußbodens versunken wäre. Dalton Campbell warf einen Blick über seine Schulter auf den Küchenmeister.
»Wie heißt dieser Küchenjunge?«
»Snip, Meister Campbell.«
»Snip, aha, verstehe. Und seit wann arbeitet er in diesem Haus?«
»Seit gut vier Jahren, Mr. Campbell.«
»Seit vier Jahren. So lange schon.« Er drehte sich ganz zu Meister Drummond um. »Und ist er nun ein Drückeberger, der den Betrieb in Eurer prächtigen Küche aufhält? Einer, den man schon längst hätte hinauswerfen sollen, was man aber aus irgendeinem rätselhaften Grund bisher nicht getan hat? Ihr habt doch nicht etwa Eure Pflicht als Küchenmeister vernachlässigt und einen Faulpelz unter dem Dach des Ministers geduldet, oder? Solltet Ihr Euch tatsächlich eines solchen Versäumnisses schuldig gemacht haben?«
Starr vor Angst fragte Snip sich, ob man ihn wohl vor dem Hinauswerfen züchtigen oder ihm einfach bloß die Tür weisen und ihn ohne einen Bissen zu essen fortschicken würde. Meister Drummonds Blick zuckte zwischen Snip und dem Adjutanten hin und her.
»Nun, äh, nein, Sir. Nein, Mr. Campbell. Ich achte sehr darauf, daß Snip seinen Teil der Arbeit erledigt. Ich lasse nicht zu, daß er unter dem Dach des Ministers zum Drückeberger wird, Mr. Campbell. Ganz bestimmt nicht, Sir.«
Dalton Campbell sah sich mit einem verwirrenden Blick zu Snip um. »Nun, wenn er tut, was Ihr verlangt, und seine Arbeit macht, sehe ich keinen Grund, den jungen Mann herabzuwürdigen, indem Ihr ihn für gewöhnlich ›Schnapp‹ ruft, meint Ihr nicht auch? Seid Ihr nicht auch der Ansicht, das wirft ein schlechtes Licht auf Euch als Küchenmeister, Drummond?«
»Nun, ich…«
»Also dann. Freut mich, daß Ihr derselben Ansicht seid. Wir werden dergleichen in diesem Haus nicht länger dulden.«
Entweder heimlich und verstohlen oder aber mit unverhohlener Neugier verfolgte fast jedes Auge in der Küche den Wortwechsel der beiden Männer. Ein Umstand, der dem Küchenmeister völlig verborgen blieb.
»Also, einen Augenblick bitte, wenn Ihr nichts dagegen habt. Das ist wirklich nicht böse gemeint, außerdem hat der Junge auch gar nichts dagegen, nicht wahr, Snip…«