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Als er sie vor fast einem Jahr gebeten hatte, seine Frau zu werden, hatte sie ihn ausgefragt, ihn auf ihre samtweiche, neckische Art, hinter der sich oft die stählerne Härte ihrer Ziele verbarg, gefragt, ob er tatsächlich zu den Männern gehöre, die etwas erreichen wollten, denn sie habe unbedingt die Absicht, gesellschaftlich vorwärtszukommen. Damals war er Assistent des Gouverneurs in Fairfield gewesen, kein unbedeutender Posten, für ihn jedoch nicht mehr als eine praktische Zwischenstation, ein Ort, an dem man seine Aktiva erwarb und Verbindungen pflegte.

Er war nicht auf ihre ätzenden Fragen eingegangen, sondern hatte ihr ganz nüchtern erklärt, er sei ein Mann auf dem Weg nach oben, und kein anderer Mann, mit dem sie sich treffe, habe unabhängig von seiner gegenwärtigen Stellung auch nur die geringste Chance, Dalton Campbells zukünftigen Rang zu erreichen. Seine ernste Erklärung hatte sie verblüfft, und ihr war das Lächeln vergangen. Noch ganz im Bann seiner Überzeugung und der Aufrichtigkeit seiner Absichten, hatte sie eingewilligt, ihn zu heiraten.

Zu ihrer Freude hatten sich seine Vorhersagen bewahrheitet. Noch während die Pläne für ihre Hochzeit Gestalt annahmen, wurde ihm eine bessere Stellung zuerkannt.

Während der ersten Ehemonate waren sie dreimal umgezogen, jeweils in größere Gemächer, und jedesmal als Folge eines besseren Postens.

Die Personen, die Grund hatten, ihn zu kennen – sei es wegen seines Rufes oder weil sie mit der anderischen Regierung zu tun hatten –, wußten seine umfassende Kenntnis des anderischen Rechts zu schätzen. Dalton Campbell war weithin anerkannt für sein brillantes Verständnis der Feinheiten des Gesetzes, des festungsähnlichen Fundaments, auf dem es errichtet war, der feinen Struktur seiner Klugheit und Präzedenzen, des Umfangs seiner schützenden Mauern.

Die Männer, für die Dalton arbeitete, wußten diese seine umfassenden Kenntnisse der Gesetze zu würdigen, am meisten jedoch schätzten sie seine Kenntnis der verborgenen Passagen, der Zuflüchte und geheimen Fluchtwege aus düsteren Fallen und Winkeln. Zudem schätzten sie seine Fähigkeit, das Gesetz fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel, sobald eine Situation nach einer anderen Lösung verlangte, einer, die das Gesetz nicht bereitzuhalten imstande war. In solchen Fällen erwies er sich als gleichermaßen einfallsreich und ebenso effektiv.

Teresa benötigte, so schien es, kaum länger als ein Fingerschnippen, um sich den gehobeneren Verhältnissen, in denen sie sich regelmäßig wiederfand, anzupassen und die neue Aufgabe, das Haushaltspersonal zu führen, mit der Selbstsicherheit eines Menschen zu versehen, der sein ganzes Leben nichts anderes getan hatte.

Erst wenige Wochen zuvor hatte er die führende Stellung auf dem Anwesen des Ministers ergattert. Teresa hatte frohlockt, als sie erfuhr, sie würden luxuriöse Gemächer in einem derart renommierten Haus beziehen. Plötzlich sah sie sich als angesehene Frau unter Frauen von Rang und Einfluß.

Vielleicht wäre sie außer sich vor Freude gewesen und hätte ihm die Kleider heruntergerissen, um ihn auf der Stelle zu nehmen, als er ihr die Nachricht überbracht hatte, doch um der Wahrheit gerecht zu werden – sie hatte gar nichts anderes erwartet.

Wenn es einen Menschen gab, der seinen skrupellosen Ehrgeiz teilte, dann Teresa.

»O Dalton, erzähl mir bitte, welche Würdenträger auf dem Fest sein werden. Ich ertrage diese Spannung keinen Augenblick länger.«

Abermals gähnte er und räkelte sich. Er wußte, sie hatte sich um ihr ganz eigenes Spinnennetz zu kümmern.

»Nichts als langweilige Würdenträger.«

»Aber der Minister wird dort sein.«

»Das ist richtig.«

»Also, Dummer, der ist doch nicht langweilig. Außerdem habe ich einige der Frauen kennengelernt, die Ehefrauen hier auf dem Anwesen. Alles großartige Menschen, so freundlich, wie ich es mir nur wünschen konnte. Ihre Ehemänner sind alles wichtige Leute.«

Sie fuhr sich auf durchtriebene, neckische Art mit der Zunge über ihre Oberlippe. »Allerdings nicht so bedeutend wie mein Mann.«

»Tess, mein Schatz«, meinte er lächelnd, »du könntest einen Toten dazu bringen, deinetwegen bedeutend zu werden.«

Sie zwinkerte ihm zu und verschwand. »Es wurden mehrere Nachrichten für dich unter der Tür hindurchgeschoben«, rief sie aus dem Zimmer nebenan. »Sie liegen im Schreibtisch.«

Der elegante Schreibtisch in der Ecke funkelte wie ein dunkler Edelstein. Gefertigt aus polierten Elmenknoten, war jedes geviertelte, exakt spiegelbildlich abgestimmte Furnierblatt von einem rautenförmigen Band aus abwechselnd unbehandeltem und eingefärbtem Ahornholz eingefaßt; in sämtliche dunklen Rauten hatte man einen Punkt aus Gold gesetzt. Im Gegensatz zu denen der meisten anderen Möbel im Zimmer waren seine Beine tief glänzend poliert und nicht vergoldet.

In dem Geheimfach hinter einer der oberen Schubladen befanden sich mehrere versiegelte Nachrichten. Er erbrach die Siegel und überflog, ihre Wichtigkeit abschätzend, eine nach der anderen. Manche waren von Interesse, keine jedoch wirklich dringend. Größtenteils dienten sie der Weitergabe von Informationen – kleine Vibrationen aus den Ecken seines Spinnennetzes.

In einer war die Rede von einem seltsamen und offenbar zufälligen Tod durch Ertrinken in einem öffentlichen Brunnen. Geschehen war dies an einem frühen Nachmittag, als wie gewöhnlich größere Menschenmengen an dem Wahrzeichen vorübergingen. Obwohl es heller Tag gewesen und unter den Augen aller geschehen war, hatte man erst etwas bemerkt, als es bereits zu spät war. Dalton hatte in letzter Zeit ähnliche Nachrichten über nicht geklärte Todesfälle erhalten und wußte daher, die Nachricht war möglicherweise eine unausgesprochene Warnung; es könnte sich um eine Art Blutrache unter Beteiligung von Magie gehandelt haben, die jedoch wie ein unglücklicher Unfall hatte aussehen sollen.

In einer war lediglich von einer ›verstörten Frau‹ die Rede, dort hieß es, sie sei beunruhigt gewesen und habe einem Direktor ein Sendschreiben geschickt, in dem sie ihn während des Festes um ein kurzes Gespräch unter vier Augen ersuchte und ihn bat, den Brief vertraulich zu behandeln. Dalton kannte die Frau, auf die der Brief sich bezog, daher wußte er auch, daß es Direktor Linscott sein mußte, dem sie geschrieben hatte. Die Person, die ihm die Nachrichten schrieb, war nicht so dumm, Namen schriftlich festzuhalten.

Er glaubte den Grund für ihre Ruhelosigkeit zu kennen. Der Wunsch nach einem Treffen unter vier Augen war es, der ihn beunruhigte. In der Nachricht stand, der Brief der Frau sei irgendwie verlorengegangen und nie zugestellt worden.

Dalton legte die Briefe für eine spätere Überprüfung zurück ins Fach und schob die Lade wieder an ihren Platz. Wegen dieser Frau würde er etwas unternehmen müssen. Was, wußte er noch nicht.

Eine Überreaktion konnte manchmal ebenso viele Probleme mit sich bringen wie Stillhalten. Möglicherweise mußte er die Frau nur anhören und ihr Gelegenheit geben, ihrem Ärger Luft zu machen, wie sie es vielleicht schon bei Direktor Linscott vorgehabt hatte. Ebensogut konnte sich Dalton ihre Beschwerde anhören. Irgend jemand, irgendwo in seinem feingesponnenen Netz aus Verbindungen, würde ihm genau jene Information liefern, die er benötigte, um die richtige Entscheidung zu treffen, und wenn nicht, glättete ein beschwichtigendes Gespräch mit der Frau die Wogen vielleicht so weit, daß er den erforderlichen Hinweis erhielt.

Obwohl Dalton seine neue Stellung erst seit kurzem bekleidete, hatte er keine Zeit verschwendet und sich alsbald bei fast jedem auf dem Anwesen lieb Kind gemacht. Für manche war er so zu einem nützlichen Kollegen geworden, für andere zu einem Vertrauten und für ein paar wenige zu deren Beschützer. Jede Methode, eine jede auf ihre Weise, trug ihm Ergebenheit ein; schnürte sein ständig wachsendes Spinnennetz aus Beziehungen wie das sprichwörtliche Rädchen.

Vom ersten Tag an jedoch war es Daltons vorrangiges Ziel gewesen, sich dem Minister unentbehrlich zu machen. Im Laufe seiner zweiten Woche auf diesem Posten war ein ›Ermittler‹ von einem der Direktoren des Ministeriums für kulturelle Zusammenarbeit zu den Bibliotheken des Anwesens geschickt worden. Minister Chanboor war nicht nur alles andere als erfreut gewesen, er hatte einen überaus haßerfüllten Wutanfall bekommen – eine nicht ungewöhnliche Reaktion, wenn man Bertrand Chanboor mit besorgniserregenden, wenn nicht gar verhängnisvollen Neuigkeiten konfrontierte.