Zwei Tage nach Eintreffen dieses Ermittlers konnte Dalton den Minister davon unterrichten, der Mann selbst sei verhaftet worden; er habe sich betrunken und sei unten in Fairfield im Bett einer Hure gelandet. Natürlich war nichts davon ein folgenschweres Verbrechen, auch wenn es in den Augen manch eines Direktors schlimm genug ausgesehen hätte. Allerdings wurde der Mann mit einem äußerst seltenen und wertvollen Buch in seiner Manteltasche aufgegriffen.
Ein äußerst seltenes und wertvolles Buch, verfaßt von keinem anderen als Joseph Ander persönlich. Der uralte, unschätzbar wertvolle Text war, gleich nachdem der Ermittler zum Zechen gegangen war, im Ministerium für Kultur als gestohlen gemeldet worden.
Auf Daltons Anweisung hin wurde das Büro des Direktors umgehend über das Verschwinden des Buches informiert – Stunden vor der Festnahme des Schuldigen. Zusammen mit dem Bericht hatte Dalton den Direktoren seine persönliche Versicherung übermittelt, er werde nicht ruhen, bis der Übeltäter gefunden sei, und habe die Absicht, eine sofortige öffentliche Ermittlung in die Wege zu leiten, um aufzudecken, ob ein solches Verbrechen gegen die Kultur der Vorbote einer verräterischen Intrige sei. Das verblüffte Schweigen aus dem Ministerium der Direktoren war bezeichnend gewesen.
Der Gouverneur in Fairfield, ebenjener, für den Dalton einst gearbeitet hatte, war ein Bewunderer des Ministers für Kultur, der ihm gewissermaßen stets zu Gefallen war, und nahm den Diebstahl aus der Anderischen Bibliothek für Kultur selbstverständlich nicht auf die leichte Schulter. Er erkannte den Diebstahl als das, was er war: als Aufwiegelung. Der mit dem Buch erwischte Ermittler wurde wegen eines kulturellen Verbrechens gegen das anderische Volk unverzüglich hingerichtet.
Weit davon entfernt, den Skandal zu unterdrücken, erzeugte dies eine Atmosphäre, in der allmählich die häßlichen Gerüchte über ein Geständnis des Täters überhandnahmen – ein Geständnis, das ihm vor der Hinrichtung abgenommen worden sei und von dem es hieß, es bringe auch andere mit dem Verbrechen in Verbindung. Der Direktor, der den Mann zu ›Zwecken der Ermittlung‹ auf das Anwesen entsandt hatte, war als Beweis für seine Ehrenhaftigkeit, und um Spekulationen und versteckten Andeutungen ein Ende zu machen, zurückgetreten. Nachdem Dalton widerstrebend den Rücktritt des Direktors akzeptiert hatte, gab er in seiner Funktion als offizieller, mit der Untersuchung der gesamten Angelegenheit beauftragter. Vertreter des Ministers eine Erklärung ab, in der er seinen Zweifel an dem Geständnis zum Ausdruck brachte, und schloß die gesamte Angelegenheit ab.
Ein alter Freund Daltons hatte das große Glück, auf den plötzlich freien Sitz berufen zu werden, auf den er beinahe sein ganzes Leben lang hingearbeitet hatte. Als erster hatte Dalton ihm, dem neuen Direktor, die Hand geschüttelt. Einem dankbareren und froheren Menschen war Dalton nie zuvor begegnet. Dalton freute das, er sah es gerne, wenn verdienstvolle Menschen – Menschen, die er liebte und denen er vertraute – glücklich waren.
Nach diesem Zwischenfall entschied Bertrand Chanboor, seine Verpflichtungen machten eine engere Zusammenarbeit mit seinem Adjutanten erforderlich, und ernannte Dalton nicht nur zum Adjutanten des Ministers, sondern auch zum Stabschef, womit er ihm die Machtbefugnis über seinen gesamten Haushalt erteilte. Dalton berichtete jetzt ausschließlich dem Minister. Die Stellung hatte ihnen auch ihre neuesten Gemächer eingebracht – die elegantesten des gesamten Anwesens, wenn man von denen des Ministers persönlich absah.
Dalton fand, daß Teresa sich sogar noch mehr darüber gefreut hatte als er – wenn das überhaupt möglich war. Sie hatte sich in die Wohnung verliebt, die mit der vermehrten Machtbefugnis einherging. Die Menschen von adeligem Rang, unter denen sie jetzt verkehrte, fesselten sie. Es berauschte sie, die Wichtigen und Mächtigen kennenzulernen, die das Anwesen besuchten.
Wie auch die Bewohner des Anwesens behandelten diese Gäste Teresa mit eben jener Ehrerbietung, die einer Frau ihres hohen Ranges gebührte, und das, obwohl die meisten im Gegensatz zu ihr von adliger Geburt waren, sie dagegen nur – wie auch Dalton – zwar aus gutem Hause, nicht aber adelig. Dalton hatte, nachdem er einmal begriffen hatte, daß wohlwollende Treueverhältnisse für ein von der Vorsehung bestimmtes Leben von erheblich größerer Bedeutung sein konnten, Fragen der Herkunft stets für unbedeutend und weniger wichtig gehalten, als manche Leute dachten.
Teresa räusperte sich von der anderen Zimmerseite her. Als Dalton sich am Schreibtisch umsah, reckte sie die Nase in die Höhe und trat in erhabener Anmut ins Wohnzimmer, um sich in ihrem neuen Kleid zur Schau zu stellen.
Er bekam große Augen. Sich zur Schau stellen war genau der richtige Ausdruck für das, was sie hier tat.
Der Stoff glitzerte traumhaft im Schein der Lampen, der Kerzen und des niedrigen Feuers. Goldene Muster aus blattartigen Gebilden verzweigten sich vor einem dunklen Hintergrund. Goldfarbene Litzen säumten Nähte und Ränder und lenkten die Aufmerksamkeit auf ihre schmale Taille und ihre sinnlichen Kurven. Der Seidenstoff des Rockes, frischem Weizen gleich, der jede Unebenheit des sanft geschwungenen Hügellandes in der Tiefebene umschmeichelt, verriet die Gestalt ihrer wohlgeformten Beine.
Der Ausschnitt jedoch war es, der ihm die Sprache verschlug. Steil von den Enden ihrer Schultern abfallend, stürzte er jäh in unerhörte Tiefen. Der Anblick ihrer derart entblößten, sinnlichen Brüste hatte eine tiefgreifende Wirkung auf ihn, die ebenso erregend wie beunruhigend war.
Teresa drehte sich und rückte sowohl ihr Kleid ins allerbeste Licht wie auch den tiefausgeschnittenen Rücken. Dalton durchmaß den Raum mit großen Schritten, um sie in seinen Armen aufzufangen, als sie sich zum zweiten Male zu ihm herumdrehte. Kichernd fand sie sich in seinen Armen gefangen wieder. Er beugte sich vor, um sie zu küssen, doch sie schob sein Gesicht fort.
»Vorsicht. Ich habe Stunden gebraucht, um mein Gesicht zu schminken. Bring es nicht in Unordnung, Dalton.«
Hilflos stöhnend schmiegte sie sich gegen seinen Mund, als er sie trotzdem küßte. Die Wirkung, die sie auf ihn hatte, schien ihr zu gefallen. Ihm schien die Wirkung ebenfalls zu gefallen, die sie auf ihn hatte.
Teresa wich zurück. Sie zupfte an den ziermünzenbesetzten goldenen Bändern, die in ihr Haar geknotet waren.
»Wirkt es schon länger, Liebling?« fragte sie mit flehender Stimme. »Es ist die reine Qual, zu warten, bis es wächst.«
Jetzt, da er über eine neue Stellung und die damit verbundenen neuen Wohnräume verfügte, war er auf dem Weg, es in der Welt zu etwas zu bringen und zu einem mächtigen Mann zu werden. Mit dieser neuen Machtbefugnis gingen die Standesprivilegien einher: seine Gemahlin durfte, als Widerspiegelung ihrer Stellung, ihr Haar länger tragen.
Andere Gattinnen bei Hofe trugen ihr Haar fast bis auf die Schultern; seine Frau würde sich nicht mehr von ihnen unterscheiden, außer vielleicht, daß ihr Haar ein wenig länger sein würde als – von wenigen abgesehen – das aller anderen Frauen bei Hof und in ganz Anderith. Schließlich war sie mit einem bedeutenden Mann verheiratet.
Der Gedanke durchfuhr ihn mit einem Gefühl eiskalter Erregung, so wie es von Zeit zu Zeit geschah, wenn ihm wahrhaftig bewußt wurde, wie weit er es gebracht und was er erreicht hatte.
Dalton Campbell war fest entschlossen, dies nur als einen Anfang zu betrachten, denn er hatte die Absicht, noch höher aufzusteigen. Er hatte Pläne, zudem schenkte ihm ein Mann Gehör, der ganz versessen auf Pläne war.
Unter anderem. Doch egal, mit solch unbedeutenden Dingen wurde Dalton fertig. Der Minister nahm lediglich die Vorrechte seines Amtes in Anspruch.