Das vermochte Dalton nicht zu bestreiten. Er konnte ums Verrecken nicht begreifen, wie Frauen, adlige oder hakenische junge Frauen, dem alten Lüstling zuzwinkern und anschließend überrascht sein konnten, wenn er daraufhin anbiß, sozusagen.
Natürlich war dieses hakenische Mädchen, Beata, weder alt noch erfahren genug gewesen, um solche Erwachsenenspiele völlig zu durchschauen. Vermutlich hatte sie bei der Geschichte Stein ebensowenig auf ihrer Rechnung gehabt. Das Mädchen tat Dalton ein wenig leid, auch wenn sie Hakenierin war. Nein, sie hatte Stein, der im hohen Weizen lauerte, sicherlich nicht bemerkt, als sie den Minister ehrfürchtig angelächelt hatte.
Die anderen Frauen jedoch, die bei Hofe sowie die erwachsenen Frauen, die wegen der Partys und Festlichkeiten aus der Stadt auf das Anwesen kamen, sie wußten, was es mit dem Minister auf sich hatte, und sahen keinerlei Grund, sich hinterher zu beschweren.
Dalton wußte, einige waren nur dann zufrieden, wenn sie einen nicht näher benannten, wenngleich bedeutenden Ausgleich erhielten, irgendeine Entschädigung. In diesem Augenblick wurde es für Dalton zum Problem. Er fand eine Entschädigung für sie und tat sein Bestes, sie davon zu überzeugen, wie gerne sie diese hätten. Die meisten waren klug genug, eine solch großzügige Lösung zu akzeptieren – die meisten hatten ohnehin von Anfang an nicht mehr gewollt.
Zweifellos waren die Frauen auf dem Anwesen darüber aufgebracht, daß Claudine intrigierte, um Ärger zu machen. Viele dieser Ehefrauen hatten dem Minister beigewohnt, hatten sich von der berauschenden Atmosphäre der Macht, die diesen Mann umgab, verführen lassen. Dalton hatte allen Grund zu der Annahme, daß viele, die noch nicht im Bett des Ministers gelandet waren, dort noch zu landen beabsichtigten. Entweder war Bertrand noch nicht an sie herangekommen, oder er hatte gar nicht die Absicht. Höchstwahrscheinlich ersteres. Er neigte dazu, Männer erst dann auf sein Anwesen zu berufen, wenn er auch ihre Frauen kennengelernt hatte. Dalton mußte bereits einen durchaus fähigen Mann als Verweser ablehnen, weil Bertrand dessen Frau zu gewöhnlich fand.
Es gab nicht nur einen endlosen Strom von Frauen, die in Ohnmacht fielen, um diesem Mann zu Willen zu sein, auch er war in dieser Hinsicht unersättlich. Nichtsdestoweniger hatte er gewisse Maßstäbe. Wie viele ältere Männer hatte er eine Vorliebe für die Jugend.
Er war imstande, seiner Gier nach üppigen jungen Frauen zu frönen, ohne – wie die meisten Männer über fünfzig – die Prostituierten in der Stadt aufsuchen zu müssen. Genaugenommen mied Bertrand diese Frauen wie die Pest, denn er fürchtete sich vor ihren ansteckenden Krankheiten.
Andere Männer seines Alters, die auf anderem Wege keine jungen Frauen bekommen und ihnen auch nicht zu widerstehen vermochten, hatte keine Chance, sehr viel älter zu werden. Ebensowenig wie die jungen Frauen. Die Krankheiten forderten schnell zahlreiche Opfer.
Bertrand Chanboor konnte stets aus einer nicht abreißenden Zufuhr gesunder junger Frauen von begrenzter Erfahrung und Moral auswählen. Bereitwillig flatterten sie in die Kerzenflammen aus hohem Ansehen und beinahe unumschränkter Macht.
Dalton strich Teresa sachte mit dem Finger über die Wange. Er konnte von Glück reden, eine Frau zu haben, die seine ehrgeizigen Ziele teilte, diese im Gegensatz zu vielen anderen jedoch mit Scharfblick verfolgte.
»Ich liebe dich, Tess.«
Überrascht von seiner unvermittelten zärtlichen Geste, ergriff sie seine Hand mit beiden Händen und überschüttete sie der Länge nach mit Küssen.
Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er im Leben vollbracht haben mochte, um sie verdient zu haben. Nichts bei ihm hatte darauf hingedeutet, daß er jemals eine so tüchtige Frau wie Teresa bekommen würde. Sie war das einzige in seinem Leben, das er nicht durch reine Willenskraft, durch das Niedermachen jedweden Widerstandes, durch die Beseitigung all dessen, was sein Ziel in Frage stellen konnte, erlangt hatte. In sie hatte er sich schlicht hilflos verliebt.
Wieso die Guten Seelen sich entschieden hatten, alles Übrige in seinem Leben zu übersehen und ihn mit diesem Leckerbissen zu belohnen, vermochte er nicht einmal ansatzweise zu erraten, doch er nahm ihn gerne an und hielt bedingungslos daran fest.
Während er in ihre schwärmerischen Augen blickte, begann Geschäftliches sich in seine lustvoll umherschweifenden Überlegungen einzuschleichen.
Er würde nicht umhinkommen, sich um Claudine zu kümmern. Sie mußte zum Schweigen gebracht werden, und zwar bevor sie Schwierigkeiten machen konnte. Dalton ging in Gedanken die Gefälligkeiten durch, die er ihr als Gegenleistung dafür bieten konnte, daß sie die Zweckmäßigkeit ihres Schweigens erkannte. Niemand, nicht einmal Lady Chanboor, verschwendete viele Gedanken auf die Tändeleien des Ministers, wenn jedoch eine Frau von Rang den Vorwurf der Vergewaltigung erhob, war dies lästig.
Es gab Direktoren, die sich an Ideale der Rechtschaffenheit klammerten. Die Führer des Ministeriums für kulturelle Zusammenarbeit hatten das Sagen, wenn es um die Frage ging, wer Herrscher wurde. Manch einer wollte, daß der nächste Herrscher ein Mann von sittlichem Charakter wäre. Einem Neuling konnten sie den Thron verwehren.
Nach Bertrands Ernennung zum Herrscher würde es keine Rolle mehr spielen, was sie dachten, vorher jedoch ganz bestimmt.
Claudine mußte zum Schweigen gebracht werden.
»Wo willst du hin, Dalton?«
Er wandte sich an der Tür um. »Ich muß noch eine Nachricht verfassen und diese dann abschicken. Es wird nicht lange dauern.«
18
Nora, in dem Glauben, es müsse längst hell sein, räkelte sich stöhnend. Unbeholfen tasteten sich ihre Gedanken durch den verschwommenen Zustand zwischen Schlaf und Wachen. Nichts hätte sie lieber getan als weiterzuschlafen. Das Stroh unter ihr lag genau richtig; es lag stets dann genau richtig zu bequemen, kuscheligen Klumpen gebündelt, wenn es Zeit war aufzustehen.
Jeden Augenblick erwartete sie von ihrem Mann einen Klaps aufs Hinterteil. Julian wachte immer kurz vor dem ersten Tageslicht auf. Die täglichen Arbeiten mußten erledigt werden. Wenn sie sich ganz still verhielt, würde er sie vielleicht noch ein paar Augenblicke liegen und ein paar verträumte Minuten länger schlafen lassen.
In diesem Augenblick haßte sie ihn dafür, daß er stets vor dem Hellwerden wach wurde, ihr einen Klaps auf den Hintern gab und ihr sagte, sie solle aufstehen und sich an ihr Tagwerk machen. Zu allem Überfluß mußte der Mann auch noch gleich als erstes pfeifen, wenn sie morgendlich benommen im Kopf und wackelig auf den Beinen war vor lauter Schlaf, den sie erst noch vertreiben mußte.
Sie wälzte sich träge auf den Rücken, zog ihre Brauen hoch und versuchte wach zu werden, indem sie gewaltsam ihre Augen aufriß. Julian lag nicht neben ihr.
Ein Kribbeln fuhr ihr in die Eingeweide und machte sie in einem einzigen, eiskalten Augenblick hellwach. Sie setzte sich im Bett auf. Aus irgendeinem Grund versetzte sie seine Abwesenheit in einen Zustand bestürzten Unwohlseins.
War es schon Morgen? Kurz vor dem Hellwerden? War es noch immer irgendwann mitten in der Nacht? Ziellos suchte ihr Verstand nach etwas, an das er sich klammern konnte.
Sie beugte sich vor und sah das Glimmen der Scheite, die sie vor dem Schlafengehen in der Feuerstelle aufgeschichtet hatte. Ein paar ganz oben glühten noch, sie waren kaum in sich zusammengefallen und lagen noch fast so, wie sie sie am Abend hingelegt hatte. In ihrem schwachen Schein erblickte sie Bruce, der von seinem Strohlager zu ihr herüberspähte.
»Mama? Was ist passiert?« fragte seine ältere Schwester Bethany.
»Wieso seid ihr zwei schon wach?«
»Wir sind doch gerade erst ins Bett gegangen, Mama«, wimmerte Bruce.
Es stimmte, wie sie jetzt erkannte. Sie war so müde, so todmüde von der Steineschlepperei aus dem Frühlingsfeld den ganzen Tag lang, daß sie eingeschlafen war, bevor sie die Augen richtig hatte schließen können. Sie waren nach Hause gekommen, als es zu dunkel war, um noch weiterzuarbeiten, hatten ihre Hafergrütze hinuntergeschlungen und waren sofort zu Bett gegangen. Sie hatte noch den Geschmack des Eichhörnchenfleisches aus der Hafergrütze im Mund, und die jungen Radieschen stießen ihr noch immer auf. Bruce hatte Recht, sie waren eben erst ins Bett gegangen.