Plötzlich erhob das Mädchen ein schrilles Geschrei, als hätte schließlich ihre Seele selbst Feuer gefangen. Der Schrei fuhr Nora schmerzhaft bis ins Mark.
Bethany brach zu einem Häuflein zusammen. Flammen schossen um ihren zusammengekrümmten Körper in die Höhe, schlugen über die Steine ringsum, züngelten kurz an der Einfassung hoch. Funken sprühten in den Raum, tanzten und wälzten sich über den Fußboden. Einige erloschen zischend am Saum von Noras Kleid.
Bruce’ Nachthemd mit festem Griff umklammernd, riß Nora Bruce an sich und floh mit ihm aus dem Haus, während das Böse die Überreste ihrer Tochter verschlang.
19
Snip setzte sich ins Gras und schlug die Beine übereinander. Die kühlen Ziegelsteine an seinem schweißnassen Rücken waren ein angenehmes Gefühl. Tiefer sog er die lieblich duftende Nachtluft ein, die durch die offenen Fenster wehenden Wohlgerüche von schmorendem Fleisch, den sauberen Geruch des Apfelholzstoßes. Sie würden Überstunden machen müssen, um das Durcheinander nach dem Fest fortzuräumen, daher hatte man ihnen eine willkommene Ruhepause gewährt.
Morley reichte ihm die Flasche. Bevor sie sich ordentlich vollaufen lassen konnten, würde es spät werden, aber wenigstens eine Kostprobe konnten sie sich gönnen. Snip nahm einen kräftigen Schluck. Bevor er den Schnaps jedoch hinunterschlucken konnte, fing er heftig an zu husten, wodurch er den größten Teil wieder ausspuckte.
Morley lachte. »Hab doch gesagt, das Zeug ist stark.«
Snip wischte sich mit der Rückseite seines Ärmels über das Kinn. »Wohl wahr. Woher hast du das Zeug? Es ist gut.«
Snip hatte noch nie etwas so Starkes getrunken, das beim Hinunterrinnen derart brannte. Er hatte gehört, angeblich sei das Zeug gut, wenn es brannte. Sollte sich ihm je die Gelegenheit bieten, hatte man ihm erzählt, wäre er ein Narr, so etwas Gutes auszuschlagen. Er mußte abermals husten. Der hintere Teil seiner Nase, tief in seinem Rachen, brannte fürchterlich.
Morley beugte sich zu ihm. »Irgendein wichtiger Kerl hat es zurückgehen lassen. Hat behauptet, es sei ein übles Gesöff. Wollte sich vor aller Augen wichtig machen. Pete, der Mundschenk, hat das Zeug zurückgebracht und weggestellt. Als er sich eine andere Flasche schnappte und damit nach draußen lief, habe ich mir das Zeug gegriffen und unters Hemd geschoben, bevor jemand etwas mitbekommen hat.«
Snip war den Wein gewöhnt, den sie beim Abräumen abstauben konnten. Gewöhnlich leerte er fast leere Fässer und Flaschen, sammelte den Bodensatz und das, was übrig blieb. Den seltenen Schnaps hatte er noch nicht in die Finger bekommen.
Morley tippte gegen den Flaschenboden und hielt Snip die Flasche schräg an die Lippen. Snip trank, vorsichtig geworden, einen Schluck, den er ohne auszuspucken hinunterbekam. Sein Magen fühlte sich an wie ein brodelnder Kessel. Morley nickte anerkennend. Snip setzte ein stolzes, selbstgefälliges Grinsen auf.
Durch die weit entfernten, offenen Fenster hörte er im Versammlungssaal all die Gäste, die auf den Beginn des Festes warteten, miteinander sprechen und lachen. Snip spürte die Wirkung des Schnapses bereits. Später, nach dem Aufräumen, würden sie sich dann so richtig betrinken können.
Snip rieb sich die Gänsehaut an seinen Armen. Die Musik, die aus den Fenstern wehte, brachte ihn in Stimmung. Musik hatte immer diese Wirkung auf ihn, sie gab ihm das Gefühl, einfach aufstehen und etwas tun zu können. Was, wußte er nicht, irgendwas jedenfalls. Etwas Gewaltiges.
Morley streckte die Hand aus, und Snip reichte ihm die Flasche. Er sah zu, wie sich Morleys Adamsapfel mit jedem Schluck auf und ab bewegte. Die Musik wurde gefühlvoller, steigerte aufgeregt das Tempo. Sie ließ ihn, zusätzlich zur Wirkung des Schnapses, erschaudern.
Ein ganzes Stück hinter Morley erblickte Snip einen großen Menschen, der den Pfad entlang auf sie zukam. Die Person bewegte sich zielstrebig voran, nicht so, als mache sie einen Spaziergang, sondern als habe sie ein festes Ziel. Im gelblichen Licht, das aus allen Fenstern fiel, sah Snip die silberne Scheide blinken. Er sah die edlen Züge und die elegante Körperhaltung.
Dalton Campbell! Er kam geradewegs auf sie zu.
Snip stieß seinen Freund mit dem Ellenbogen an und stand auf. Er stellte sich fest auf die Füße und zog seine Jacke zurecht. Die Vorderseite war feucht vom Schnaps, den er ausgehustet hatte. Rasch strich er sich die Haare aus dem Gesicht. Er stieß Morley mit dem Fuß an und machte ihm mit dem Daumen ein Zeichen, aufzustehen.
Dalton Campbell umrundete den Holzstoß und hielt weiter auf sie zu. Der große Anderier schien genau zu wissen, wohin er wollte. Wenn die beiden, Snip und Morley, Alkohol klauten und sich zu zweit heimlich davonstahlen, verrieten sie nie jemandem, wohin sie gingen.
»Snip, Morley«, rief Dalton Campbell im Näherkommen.
»'n abend, Meister Campbell«, antwortete Snip und hob die Hand zum Gruß.
Snip vermutete, bei all dem Licht aus den Fenstern war es wohl keine große Schwierigkeit, etwas zu erkennen. Morley war zweifellos deutlich zu erkennen, Snip sah, wie er die Flasche hinter seinem Rücken versteckte. Wahrscheinlich hatte der Adjutant des Ministers sie von einem Fenster aus beobachtet, als sie nach draußen zum Holzstoß gegangen waren.
»'n abend, Meister Campbell«, sagte nun auch Morley Dalton Campbell betrachtete sie von Kopf bis Fuß, als inspizierte er Soldaten. Er streckte seine Hand aus.
»Darf ich?«
Morley zuckte zusammen, holte dann aber doch die Flasche hinter seinem Rücken hervor und reichte sie ihm. »Wir hatten bloß … das heißt…«
Dalton Campbell nahm einen ordentlichen Schluck.
»Ahh«, machte er, als er Morley die Flasche zurückgab. »Ihr zwei könnt euch glücklich schätzen, eine so gute, noch dazu fast volle Flasche Schnaps euer eigen zu nennen.« Er verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. »Ich störe hoffentlich nicht.«
Sowohl Snip als auch Morley schüttelten heftig den Kopf. Sie waren verblüfft, daß Dalton Campbell aus ihrer Flasche trank, zumal er sie anschließend zurückgegeben hatte.
»Gewiß nicht, Sir, Meister Campbell«, erwiderte Morley.
»Na schön«, meinte Campbell. »Ich habe euch beide gesucht, denn ich habe da ein kleines Problem.«
Snip beugte sich ein Stück vor und senkte die Stimme. »Ein Problem, Meister Campbell? Können wir Euch vielleicht irgendwie helfen?«
Campbell sah erst Snip in die Augen, dann Morley. »Tja, um ganz ehrlich zu sein, genau aus diesem Grund habe ich euch gesucht. Seht ihr, ich dachte, vielleicht wollt ihr beide eine Gelegenheit, euch zu beweisen – und mir zu zeigen, daß ihr die Fähigkeiten besitzt, die ich mir von euch erhoffe. Ich könnte mich selber darum kümmern, dachte aber, ihr beide würdet euch über eine Gelegenheit freuen, etwas Sinnvolles zu tun.«
Snip fühlte sich, als hätten die Guten Seelen höchstpersönlich bei ihm angefragt, ob er ein gutes Werk tun wolle.
Morley stellte die Flasche ab und drückte seine Schultern durch wie ein Soldat, der die Grundstellung einnimmt. »Ja, Sir, Meister Campbell, über eine solche Gelegenheit würde ich mich ganz bestimmt freuen.«
Snip richtete sich auf. »Ich auch, Meister Campbell. Ein Wort von Euch, und wir beide beweisen Euch gerne, daß wir Männer sind, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.«
»Gut … sehr gut«, sagte er, sie musternd. Er zog das Schweigen noch ein wenig in die Länge, bevor er erneut das Wort ergriff. »Es handelt sich um eine wichtige Angelegenheit, sogar um eine sehr wichtige. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, sie einem anderen anzuvertrauen, einem Mann mit mehr Erfahrung, beschloß dann aber, euch beiden Gelegenheit zu geben, mir zu beweisen, daß man euch vertrauen kann.«
»Was immer Ihr verlangt, Meister Campbell«, antwortete Snip, und es war ihm ernst damit. »Ihr braucht es bloß zu sagen.«
Snip zitterte vor Aufregung, endlich die Gelegenheit zu erhalten, Dalton Campbell seine Fähigkeiten zu beweisen. Die Musik schien ihn ganz mit dem Verlangen zu erfüllen, etwas Bedeutendes zu tun.