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»Der Herrscher fühlt sich nicht gesund«, begann Campbell.

»Das ist schrecklich«, meinte Morley.

»Das tut uns leid«, fügte Snip hinzu.

»Ja, bedauerlich, andererseits ist er schon alt, Minister Chanboor dagegen ist noch jung und voller Tatendrang. Er wird zweifellos zum Herrscher ernannt werden, was wahrscheinlich nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Die meisten Direktoren sind hier, um geschäftliche Dinge mit uns zu besprechen – geschäftliche Dinge, die den Herrscherthron betreffen. Sie sondieren sozusagen das Terrain, solange sie noch die Muße dazu haben, und wollen gewisse Dinge über den Minister in Erfahrung bringen. Soeben sind sie dabei, seinen Charakter zu prüfen, um festzustellen, was für eine Art Mann er ist. Um festzustellen, ob er ein Mann ist, dem sie den Rücken stärken können, wenn die Zeit gekommen ist.«

Snip warf Morley einen kurzen Blick zu und sah, daß dieser seine aufgerissenen Augen auf Campbell geheftet hatte. Snip mochte kaum glauben, daß er so wichtige Neuigkeiten von einem so bedeutenden Mann erfuhr – schließlich waren sie bloß Hakenier. Er dagegen war der Adjutant des Ministers, ein bedeutender Anderier, der sie über Angelegenheiten von allerhöchster Wichtigkeit in Kenntnis setzte.

»Dem Schöpfer sei Dank«, meinte Snip leise. »Endlich erfährt unser Minister die Anerkennung, die ihm gebührt.«

»Sehr richtig«, meinte Campbell seltsam gedehnt. »Nun, die Sache ist die: Es gibt Personen, die die Ernennung des Ministers zum Herrscher gerne verhindern würden. Diese Personen haben die Absicht, dem Minister Schaden zuzufügen.«

»Ihm Schaden zufügen?« fragte Morley, sichtlich überrascht.

»Ganz recht. Ganz bestimmt wißt ihr beide noch, wie der Herrscher beschützt werden muß und daß alles, was man zum Schutz des Herrschers unternimmt, einer Tugend gleichkommt?«

»Klar, Sir«, antwortete Morley.

»Klar, Sir«, wiederholte Snip mechanisch. »Und jetzt, da der Minister Herrscher werden wird, sollte er ganz genauso beschützt werden.«

»Sehr gut, Snip.«

Snip strahlte vor Stolz. Er wünschte nur, der Alkohol würde es ihm nicht so schwer machen, die Augen auf einen Punkt zu konzentrieren.

»Meister Campbell«, bestätigte Morley, »wir wären Euch gerne behilflich und würden Euch gerne unsere Fähigkeiten beweisen. Wir sind bereit.«

»Ganz recht, Sir, das sind wir, bestimmt«, fügte Snip hinzu.

»Nun, dann sollt ihr beide eure Chance bekommen. Gelingt es euch, alles richtig zu machen und, was auch geschieht, kein Wort darüber zu verlieren – und damit meine ich, bis ins Grab –, wird es mich freuen, daß mein Vertrauen in euch berechtigt war.«

»Bis ins Grab«, wiederholte Snip. »Klar, Sir, das schaffen wir.«

Snip vernahm ein seltsam metallisches Geräusch. Zu seinem Entsetzen erkannte er, daß sich eine Schwertspitze unter seinem Kinn befand.

»Sollte sich jedoch einer von euch als meines Vertrauens nicht würdig erweisen, wäre ich überaus enttäuscht, denn dann geriete der Minister in Gefahr. Versteht ihr das? Ich werde nicht zulassen, daß jemand, dem ich vertraue, mich im Stich läßt. Oder den zukünftigen Herrscher. Habt ihr beide das begriffen?«

»Ja, Sir!« brüllte Snip beinahe.

Die Schwertspitze schnellte zu Morleys Kehle hinüber, verharrte dort. »Ja, Sir!« wiederholte er.

»Habt ihr irgend jemandem verraten, wo ihr heute abend einen trinken wollt?«

»Nein, Sir«, antworteten Morley und Snip wie aus einem Mund.

»Und doch wußte ich, wo ich euch finden würde.« Der große Anderier zog eine Braue hoch. »Denkt immer daran, wenn ihr jemals auf die Idee verfallen solltet, ihr könntet euch vor mir verstecken. Macht ihr mir Ärger, werde ich euch finden, egal wo ihr euch rumtreibt.«

»Meister Campbell«, meinte Snip, nachdem er hatte schlucken müssen, »sagt uns einfach, wie wir helfen können, und wir werden es tun. Ihr könnt uns vertrauen. Wir werden Euch nicht im Stich lassen – das schwöre ich.«

Morley nickte. »Das stimmt. Snip spricht die Wahrheit.« Dalton Campbell schob sein Schwert in die Scheide zurück und lächelte. »Ich bin bereits jetzt stolz auf euch beide, ihr werdet es hier noch weit bringen. Ich weiß einfach, ihr werdet euch meines Vertrauens würdig erweisen.«

»Jawohl, Sir«, meinte Snip. »Ihr könnt auf uns zählen.« Dalton Campbell legte Snip die eine Hand auf die Schulter, die andere Morley. »Also gut. Dann hört jetzt genau zu. «

»Da kommt sie«, flüsterte Morley Snip ins Ohr.

Snip blickte in die Richtung, in die sein Freund zeigte, und nickte. Morley entfernte sich und trat in den dunklen Schatten des offenen Lieferanteneingangs, während Snip hinter ein paar Fässern in Deckung ging, die neben der Laderampe aufgestapelt standen. Snip mußte daran denken, wie er Brownie vorhin mit dem Metzgerkarren auf der anderen Straßenseite hatte stehen sehen. Er wischte sich die Hände an seiner Hose ab. Es war ein ereignisreicher Tag gewesen.

Auf dem Weg hierher hatten sie darüber gesprochen, und Morley hatte die Sache ganz genauso gesehen. So sehr ihm beim Gedanken daran auch das Herz klopfte, er würde auf keinen Fall zulassen, daß Meister Campbells Vertrauen in ihn enttäuscht wurde. Morley dachte genauso.

Die Musik, die aus den offenen Fenstern auf der anderen Seite des Rasens schallte – Streicher, Bläser und eine Harfe –, erfüllte ihn mit Entschlossenheit und ließ seine Brust vor Stolz schwellen, daß er von Dalton Campbell auserwählt worden war.

Der Minister – der zukünftige Herrscher – mußte beschützt werden.

Ruhig und mit leisen Schritten stieg sie die vier Stufen zur Laderampe hinauf. Sie sah sich im schwachen Licht um, reckte den Hals und spähte in die tiefen Schatten. Snip schluckte, als er bemerkte, wie gut sie aussah. Sie war älter, aber zweifellos ein Blickfang. Noch nie hatte er eine anderische Dame so ausgiebig angestarrt wie sie.

Morley verstellte seine Stimme, damit sie tiefer und älter klang.

»Claudine Winthrop?«

Sie drehte sich erwartungsvoll zu Snips Freund um, der in dem dunklen Toreingang stand. »Ich bin Claudine Winthrop«, antwortete sie flüsternd. »Dann habt Ihr meine Nachricht also erhalten?«

»Ja«, antwortete Morley.

»Dem Schöpfer sei Dank. Direktor Linscott, ich muß unbedingt mit Euch über Minister Chanboor sprechen. Er beteuert, die Kultur Anderiths hochzuhalten, dabei gibt er das schlechteste Vorbild ab, das man sich auf seinem – oder irgendeinem anderen – Posten vorstellen kann. Bevor Ihr ihn als zukünftigen Herrscher in Betracht zieht, müßt Ihr unbedingt von seiner Verdorbenheit erfahren. Das Schwein hat mich mit Gewalt genommen – mich vergewaltigt. Aber das ist erst der Anfang, es kommt noch schlimmer. Um Eures Volkes willen, Ihr müßt mich anhören.«

Snip beobachtete, wie sie dastand, während das sanfte gelbliche Licht aus den Fenstern auf ihr hübsches Gesicht fiel. Dalton Campbell hatte nichts davon erwähnt, daß sie so hübsch aussah. Sie war natürlich älter und gehörte daher nicht zu den Frauen, die er normalerweise für hübsch halten würde. Es überraschte ihn, daß er eine so alte Frau – sie sah aus wie beinahe dreißig – anziehend fand. Langsam, lautlos, atmete er durch und versuchte, seinen Entschluß zu festigen. Trotzdem, er konnte nicht anders, er mußte ihr Kleid anstarren, ober besser, jene Partien, die es nicht bedeckte.

Snip rief sich die beiden Frauen ins Gedächtnis, die sich im Treppenhaus über solche Kleider unterhalten hatten, wie Claudine Winthrop in diesem Augenblick eines trug. Noch nie hatte Snip die Brüste einer Frau in dieser Deutlichkeit gesehen. Die Art, wie sie sich hoben, wenn sie die Hände rang, ließ ihm fast die Augen aus dem Kopf treten.

»Wollt Ihr nicht ins Freie treten?« flüsterte sie in die Dunkelheit hinein, wo Morley lauerte. »Bitte. Ich fürchte mich.«

Mit einem Schlag wurde Snip bewußt, daß er seine Rolle einzunehmen hatte. Mit behutsamen Schritten, damit sie ihn nicht kommen hörte, schlich er hinter den Fässern hervor.