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Edwin Winthrop war ein sparsamer Mann, ehrlich und beliebt. Erst als sich der Erfolg einstellte, hatte er sich eine Frau genommen. Claudine, die wohlerzogene und gutausgebildete Tochter eines Getreidehändlers, war mitten in ihren Jugendjahren gewesen, als Edwin sie vor gut einem Jahrzehnt ehelichte.

Talentiert in der Beaufsichtigung der Konten und Unterlagen ihres Gatten, hielt Claudine ebenso ein Auge auf jeden Penny, wie dies ihr Gatte getan hätte. Dank ihrer Mithilfe war sein persönliches Imperium aufs Doppelte angewachsen. Sogar bei der Entscheidung über seine Heirat hatte Edwin Bedacht und Weisheit walten lassen. Normalerweise, wie es schien, nie auf sein persönliches Vergnügen aus, hatte er sich doch wenigstens dieses eine gegönnt. Und Claudines Fleiß stand ihrer Attraktivität in nichts nach.

Nachdem Edwins Kaufmannskollegen ihn zum Stellvertreter gewählt hatten, ging Claudine ihm in rechtlichen Angelegenheiten zur Hand, indem sie half, hinter den Kulissen ebenjene Handelsgesetze zu verfassen, die er dann einbrachte. Dalton vermutete, daß es überhaupt dazu kam, ging zu einem großen Teil ebenfalls auf sie zurück. Stand er nicht zur Verfügung, verhandelte Claudine die eingebrachten Gesetze umsichtig in seinem Namen. Bei Hofe hielt niemand sie für ein ›Freizeitvergnügen‹.

Außer vielleicht Bertrand Chanboor, obwohl er ja alle Frauen in diesem Licht betrachtete, zumindest die gutaussehenden.

In der Vergangenheit war Dalton aufgefallen, daß Claudine zunächst errötet war, daß sie Bertrand Chanboor aber später zugezwinkert und ihn heimlich angelächelt hatte. Gezierte Frauen hielt der Minister für kokett. Vielleicht war sie auf ein unschuldiges Techtelmechtel mit einem bedeutenden Mann aus, vielleicht suchte sie eine Art von Beachtung, die ihr der eigene Mann nicht bieten konnte, sie hatte schließlich keine Kinder. Vielleicht hatte sie listig mit dem Gedanken gespielt, sich durch den Minister einen Vorteil zu verschaffen, nur um im nachhinein festzustellen, daß er nicht bereit war, diesen zu gewähren.

Claudine Winthrop ließ sich von niemandem zum Narren halten, sie war intelligent und einfallsreich. Wie es angefangen hatte, war inzwischen nicht mehr von Belang. Genaues wußte Dalton nicht, und Bertrand Chanboor leugnete, sie angefaßt zu haben, so wie er alles stets unverzüglich abstritt. Doch seit sie darauf aus war, sich heimlich mit Direktor Linscott zu treffen, hatte die Affäre die Ebene höflicher Gewährung von Gefälligkeiten verlassen. Die einzig sichere Methode, sie zu kontrollieren, war jetzt brutale Gewalt.

Dalton deutete mit seinem Weinbecher auf Claudine. »Es scheint ganz so, als hättest du dich geirrt. Nicht jeder geht mit der Mode, anzügliche Kleider zu tragen. Oder aber, Claudine ist sittsam.«

»Nein, es muß einen anderen Grund geben.« Teresa schien verwirrt. »Liebling, ich glaube nicht, daß sie dieses Kleid vorhin schon getragen hat. Aber warum sollte sie jetzt etwas anderes tragen? Zudem es sich tatsächlich um ein altes Kleid handelt.«

Dalton zuckte mit den Achseln. »Gehen wir und finden wir es heraus, was meinst du? Die Fragen stellst du. Ich glaube, wenn ich es täte, wäre das nicht schicklich.«

Teresa warf ihm einen schiefen Blick zu. Sie kannte ihn gut genug, um an seiner spitzfindigen Antwort zu erkennen, daß eine Intrige im Gange war. Außerdem war sie informiert genug, seinen Fingerzeig zu verstehen und die Rolle zu spielen, die er ihr zugedacht hatte. Lächelnd hakte sie eine Hand in seinen dargebotenen Arm. Claudine war nicht die einzige intelligente und einfallsreiche Frau bei Hofe.

Claudine erschrak, als Teresa sie von hinten an der Schulter berührte. Sie hob kurz den Kopf und bedachte sie mit einem nervösen Lächeln.

»Guten Abend, Teresa.« Sie machte einen knappen Knicks vor Dalton. »Mr. Campbell.«

Teresa, die Stirn sorgenvoll in Falten gelegt, beugte sich hinüber zu der Frau. »Claudine, was ist geschehen? Ihr scheint Euch nicht wohl zu fühlen. Und Euer Kleid – ich erinnere mich nicht, Euch damit hereinkommen gesehen zu haben.«

Claudine strich sich eine Locke aus dem Gesicht. »Es geht mir gut … ich war nur nervös wegen der vielen Gäste. Manchmal schlagen mir große Menschenansammlungen auf den Magen. Ich ging hinaus, um ein wenig Luft zu schnappen. Wahrscheinlich bin ich im Dunkeln in ein Loch oder ähnliches getreten. Ich bin gestürzt.«

»Bei den Gütigen Seelen. Wollt Ihr Euch vielleicht setzen?« fragte Dalton, den Ellenbogen der Frau ergreifend, als wolle er sie stützen. »Hier, erlaubt, daß ich Euch in einen Sessel helfe.«

Sie sperrte sich dagegen. »Nein, es geht mir gut. Trotzdem vielen Dank. Ich habe mir das Kleid schmutzig gemacht und mußte mich umziehen, das ist alles. Daher ist es nicht dasselbe. Aber es geht mir gut.«

Als er von ihr abließ, fiel ihr Blick auf sein Schwert. Er hatte sie eine Menge Schwerter betrachten sehen, seit sie in den Versammlungssaal zurückgekehrt war…

»Es scheint, als wärt Ihr…«

»Nein«, beharrte sie. »Ich habe mir den Kopf gestoßen, deswegen sehe ich so mitgenommen aus. Es geht mir gut, wirklich. Nur mein Selbstvertrauen ist ein wenig angeschlagen.«

»Verstehe«, meinte Dalton voller Mitgefühl. »Derartige Dinge lassen einen erkennen, wie kurz das Leben sein kann. Lassen einen erkennen, daß man« – er schnippte mit den Fingern – »jederzeit abtreten kann.«

Ihre Lippe bebte. Sie mußte schlucken, bevor sie fähig war zu sprechen. »Ja, ich verstehe, was Ihr meint. Aber jetzt fühle ich mich schon viel besser. Ich habe mich wieder gefangen.«

»Tatsächlich? Ich bin da nicht so sicher.«

Teresa drängte ihn weiter. »Dalton, siehst du nicht, wie mitgenommen die Dame ist?« Sie versetzte ihm einen weiteren leichten Stoß. »Geh und rede über deine Geschäfte, ich kümmere mich derweil um die arme Claudine.«

Dalton machte eine Verbeugung und entfernte sich, um Teresa den nötigen Raum zu lassen, herauszufinden, was immer sich herausfinden ließ. Er war mit den beiden hakenischen Burschen zufrieden. Alles deutete darauf hin, daß sie ihr eine Höllenangst eingejagt hatten. Ihr wankender Gang ließ vermuten, daß sie ihr die Nachricht offenbar genau so übermittelt hatten, wie er sie übermittelt sehen wollte. Mit Gewalt begriffen die Menschen Anweisungen stets schneller.

Er empfand Genugtuung, daß er Snip richtig eingeschätzt hatte. So wie der Junge Daltons Schwert angestarrt hatte, hatte er sofort Bescheid gewußt. Der Junge war ehrgeizig. Morley war ebenfalls zu gebrauchen, wenn auch nur als Schläger, er hatte wohl nichts als Gewalt im Kopf. Snip begriff die Anweisungen schneller und würde, eifrig wie er war, von größerem Nutzen sein. In diesem Alter hatten sie noch keinen Schimmer, wie wenig sie tatsächlich wußten.

Dalton schüttelte einem Mann die Hand, der sich auf ihn gestürzt hatte, um ihm ein Kompliment über seine neue Stellung zu machen. Er setzte eine höfliche Miene auf, konnte sich aber weder an den Namen des Mannes erinnern, noch lauschte er auf dessen überschwengliche Lobhudeleien. Dalton war mit seiner Aufmerksamkeit woanders.

Direktor Linscott war soeben dabei, ein Gespräch mit einem untersetzten Mann über die Besteuerung von Weizen zu beenden, der in dessen Lagerhaus eingelagert war. Keine geringe Angelegenheit, wenn man die unermeßlichen Kornbestände bedachte, die Anderith besaß. Dalton befreite sich ebenso höflich wie kühl von dem namenlosen Herrn und schob sich näher an Linscott heran.