Äußerlich in lebhaftem Kontrast zu dem Krieger aus der Alten Welt trug Bertrand Chanboor ein eng sitzendes, ärmelloses, wattiertes, violettes, reich mit feinen Stickereien, Goldbesatz und Silberlitzen verziertes Wams über einer schlichten kurzen Ärmeljacke. Beides zusammen verlieh seiner weichen, eher rundlichen Figur den Anschein eines männlicheren Körperbaus. Über dem niedrigen, hochgestellten Kragen des Wams’ stand eine weiße Krause. Ähnliche Rüschen schauten an Handgelenken und Hüfte hervor.
Über den Schultern von Wams und kurzer Jacke lag ein prächtiger Ausgehrock aus dunklerem Violett mit Pelzbesatz am Kragen und entlang der gesamten Vorderfront. Die weiten Ärmel wiesen unterhalb der wattierten Umschläge an den Schulterenden mit roter Seide gefütterte Schlitze auf; zwischen diesen spiralförmigen Schlitzen befanden sich von Borten unterteilte Perlenreihen.
Er gab, mit seinen wachsamen Augen, seinem ungezwungenen Lächeln – das, gleich den Augen, stets auf niemand anderes gerichtet schien als auf jene Person, mit der er gerade Blickkontakt hielt – sowie seinem Schopf dichten, ergrauenden Haars, eine stattliche Figur ab. Dies, die gesamte Erscheinung Bertrand Chanboors, oder besser gesagt, die Präsenz jener Macht, über die er als Minister für Kultur verfügte, versetzte manchen Mann in einen Zustand ehrfürchtiger Bewunderung und löste bei mancher Frau atemloses Verlangen aus.
Wenn sie nicht gerade die Tafel des Ministers im Auge behielten, warfen die Gäste verstohlene Blicke auf den angrenzenden Tisch, an dem der Herrscher, seine Frau sowie deren drei erwachsene Söhne und zwei erwachsene Töchter saßen. Niemand wagte es, den Herrscher offen anzustarren, schließlich war der Herrscher des Schöpfers Stellvertreter in der Welt des Lebendigen – sowohl ein heiliger religiöser Führer als auch der Regent ihres Landes. Viele in Anderith, Anderier und Hakenier gleichermaßen, gingen in ihrer Vergötterung des Herrschers so weit, daß sie sich klagend auf die Erde warfen und ihre Sünden bekannten, sobald seine Kutsche vorüber fuhr.
Der Herrscher, dessen Aufmerksamkeit trotz seiner nachlassenden Gesundheit nichts entging, war in ein glitzerndes, goldenes Gewand gehüllt. Eine rote Weste betonte die bauschigen Ärmel seines Aufzugs. Über seinen Schultern lag eine lange, prachtvoll bunte, bestickte Seidenstola. Leuchtend gelbe Strümpfe waren in Oberschenkelmitte mit dem unteren Rand der tränenförmig gebauschten, wattierten und mit bunten Schlitzen versehenen Kniehosen verschnürt. Juwelen hingen schwer an jedem einzelnen Finger. Der Kopf des Herrschers ruhte tief zwischen seinen herabhängenden Schultern, als laste das einen mit einer Diamantkruste überzogenen Berg zeigende Goldmedaillon so schwer auf seinem Genick, daß es ihm den Rücken beugte. Seine Hände waren mit Leberflecken, groß wie die Juwelen, übersät.
Der Herrscher hatte vier Ehefrauen überlebt. Mit liebevoller Sorgfalt tupfte ihm seine jüngste Ehefrau die Essensreste vom Kinn. Dalton bezweifelte, daß sie schon zwanzig war.
Söhne und Töchter hatten zwar ihre jeweiligen Ehegatten und Gattinnen mitgebracht, dankenswerterweise aber ihre Kinder zu Hause gelassen. Die Enkelkinder des Herrschers waren unerträgliche Blagen. Wenn die kleinen Lieblinge hemmungslos herumtobten, wagte niemand, anders als mit beifälligem Schmunzeln zu reagieren. Einige von ihnen waren beträchtlich älter als ihre neueste Stiefgroßmutter.
Hinter dem Minister, von Dalton aus gesehen, gab Lady Hildemara Chanboor in ihrem eleganten, plissierten silbernen Kleid, das ebenso tief ausgeschnitten war wie alle anderen, einen Wink mit einem einzigen Finger, woraufhin die Harfenspielerin, die zwar vor, allerdings auch unterhalb der erhabenen Plattform der Ehrentafel plaziert war, ihre leise Musik ausklingen ließ, bis es still im Saal wurde. Die Frau des Ministers führte bei dem Fest Regie.
Genau genommen war es auf ihre Regie nicht angewiesen, trotzdem bestand sie darauf, als königliche Gastgeberin dieses majestätischen und stattlichen Ereignisses betrachtet zu werden. Und so steuerte sie ab und an ihren Teil zu den Geschehnissen bei, indem sie den Finger hob, damit die Harfenspielerin im rechten Augenblick verstummte und alle um ihre gesellschaftliche Stellung wußten und diese respektierten. Die Menschen waren wie gebannt. Sie glaubten, das gesamte Fest richte sich nach Lady Chanboors Finger.
Zweifellos wußte die Harfenspielerin ganz genau, wann ihre Musik wegen eines bevorstehenden geplanten Ereignisses zu enden hatte, trotzdem wartete sie ab und hielt jenen edlen Finger im Auge, bevor sie sich traute, die ihren verstummen zu lassen. Aus Angst, das Zeichen zu verpassen, harrte sie mit schweißgesprenkelter Stirn auf Lady Chanboors erhobenen Finger.
Obwohl nach allgemeinem Bekunden eine strahlende Schönheit, war Hildemara im Gesicht und an den Gliedern eher plump, was Dalton stets an die Skulptur einer Frau erinnerte, gemeißelt von einem Künstler, dessen Leidenschaft weit größer war als sein Talent. Es war kein Werk, das man eingehender betrachten mochte.
Die Harfenspielerin nutzte die Gelegenheit der Unterbrechung und langte nach einem Becher, der auf dem Fußboden neben ihrer goldenen Harfe stand. Während sie vornübergebeugt nach dem Becher griff, verschlang der Minister ihren Busen mit den Augen und versetzte Dalton dabei einen Stoß in die Rippen, damit ihm der Anblick nicht entging.
Lady Chanboor bemerkte den abschweifenden Blick ihres Mannes, ließ sich aber nichts anmerken; das tat sie nie. Sie genoß die Macht, über die sie verfügte, und war bereit, den erforderlichen Preis dafür zu zahlen.
Waren sie jedoch unter sich, schlug Lady Chanboor gelegentlich mit irgendeinem griffbereiten Gegenstand auf Bertrand ein, wahrscheinlich aber eher wegen einer gesellschaftlichen Kränkung denn eines ehelichen Vertrauensbruchs. Sie hatte keinen triftigen Grund, Einwände gegen seine Tändeleien zu erheben, auch sie war nicht gerade treu und erfreute sich gelegentlich der verschwiegenen Gesellschaft von Liebhabern. Dalton fertigte in Gedanken eine Liste ihrer Namen an.
Dalton vermutete, ihre Partner fühlten sich, wie viele Affären ihres Gatten, von ihrer Macht angezogen und hofften, sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Die meisten Menschen hatten nicht die geringste Ahnung, was sich auf dem Anwesen abspielte, und vermochten sie sich nicht anders vorzustellen denn als treue, liebende Gattin, eine Vorstellung, die sie selbst nach Kräften förderte. Das anderische Volk verehrte sie wie die Menschen anderer Länder eine Königin.
In vielerlei Hinsicht war sie die Macht hinter dem Amt des Ministers. Sie war geschickt, gut unterrichtet, konzentriert. Während Bertrand sich oft vergnügte, erteilte sie hinter verschlossenen Türen die Befehle. Er verließ sich auf die Sachkenntnis seiner Frau, oft gab er ihr in wirtschaftlichen Dingen nach, weder interessierte es ihn, welche Schurken sie mit ihrer Protektion bedachte, noch welches kulturelle Blutbad sie hinterließ.
Was immer sie privat über ihren Gemahl denken mochte, Hildemara arbeitete hingebungsvoll am Erhalt seiner Herrschaft. Stürzte er, würde sie gewiß mit ihm stürzen. Im Gegensatz zu ihrem Ehemann war Hildemara selten betrunken und beschränkte ihre Begattungsakte diskret auf mitten in der Nacht.
Dalton war nicht so unklug, sie zu unterschätzen. Sie unterhielt ihre eigenen Spinnennetze.
Die Gesellschaft verfiel in ein überrascht entzücktes Jauchzen, als ein ›Matrose‹ hinter dem Marzipanschiff hervorgesprungen kam, eine fröhliche Fischermelodie auf seiner Querflöte pfiff und sich dabei selbst auf einem an seinem Gürtel hängenden Tambourin begleitete. Wie viele andere auch, applaudierte Teresa lachend.
Sie drückte unter dem Tisch das Bein ihres Mannes. »Ach, Dalton, hast du je geglaubt, wir würden an einem so großartigen Ort wohnen, so prächtige Menschen kennenlernen und derart wundervolle Dinge zu sehen bekommen?«
»Selbstverständlich.«