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Hildemara zeigte ein gewinnendes Lächeln und wandte sich applaudierend ihrem Gatten zu. Im Saal brach donnernder Beifall und begeisterter Jubel aus.

Bertrand erhob sich strahlend und legte seiner Gemahlin einen Arm um die Hüfte. Sie blickte bewundernd hoch in seine blauen Augen, er blickte liebevoll hinunter in die ihren. Der Jubel der Menschen nahm noch zu, alles war erfüllt von der Freude, mitzuerleben, daß ein so hochherziges Paar Anderith so beherzt anführte.

Als Dalton sich erhob, die Hände applaudierend über den Kopf erhoben, riß er alle von den Sitzen. Er setzte sein breitestes Lächeln auf, damit selbst der entferntest stehende Gast es noch zu erkennen vermochte, drehte sich weiterhin Beifall klatschend um, den Blick auf den Minister und seine Gemahlin geheftet.

Dalton hatte bereits für eine Anzahl von Männern gearbeitet. Manchen hatte er nicht mal trauen können, wenn sie ein Runde warfen, manche vermochten Daltons Plänen gut zu folgen, wenn er sie umriß, begriffen sie jedoch erst in vollem Umfang, wenn sie sie Gestalt annehmen sahen. Keiner von ihnen hätte Bertrand auch nur das Wasser reichen können.

Der Minister hatte Konzept und Ziel sofort verstanden, als Dalton ihm beides kurz erläuterte. Er war zweifellos in der Lage, es auszuschmücken und zu seinem eigenen zu machen. Einem so aalglatten Menschen wie Bertrand Chanboor war Dalton noch nicht begegnet.

Lächelnd, eine Hand in die Luft gereckt, nahm Bertrand den Jubel der Menge entgegen und brachte sie gleichzeitig zum Verstummen.

»Meine lieben Freunde aus Anderith«, hob er mit tiefer, aufrichtig klingender Stimme an, die dröhnend bis in den entlegensten Winkel des Saales trug, »ich möchte Euch heute abend bitten, über die Zukunft nachzudenken. Die Zeit ist mehr als reif, den Mut aufzubringen, die Günstlingswirtschaft unserer Vergangenheit dorthin zu verbannen, wo sie hingehört – in die Vergangenheit. Stattdessen müssen wir die Gedanken auf die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder richten.«

Er war gezwungen, innezuhalten und lächelnd zu nicken, als sich donnernder Applaus im Saal erhob. Er brachte die Zuhörerschaft zum Schweigen und setzte erneut an.

»Unsere Zukunft ist zum Scheitern verdammt, wenn wir zulassen, daß Neinsager unsere Phantasie beherrschen, anstatt dem uns vom Schöpfer geschenkten Geist der Möglichkeiten den nötigen Raum zu lassen, sich in höchste Höhen aufzuschwingen.«

Wieder wartete er, bis sich der ungestüme Beifall gelegt hatte. Dalton staunte, wie Bertrand es verstand, aus dem Stand derart begeisternde Worte aus dem Ärmel zu schütteln.

»Uns allen hier im Saal wurde die Verantwortung für alle Menschen Anderiths auferlegt, nicht nur für die vom Glück begünstigten. Es ist an der Zeit, daß unsere Kultur alle Menschen Anderiths einschließt, nicht nur die vom Glück begünstigten. Es wird Zeit, daß unsere Gesetze allen Menschen Anderiths dienen, nicht nur einigen wenigen.«

Dalton sprang auf, applaudierte und pfiff.

Augenblicklich folgten alle seinem Beispiel, man erhob sich und spendete jubelnd Beifall. Hildemara, immer noch das liebevolle Lächeln der hingebungsvoll umsorgenden Gemahlin im Gesicht, erhob sich, um ihrem Gatten ebenfalls zu applaudieren.

»Als ich noch jung war«, fuhr Bertrand, als die Menge sich beruhigt hatte, mit leiser Stimme fort, »war mir das Gefühl nagenden Hungers wohlbekannt. In Anderith herrschten schwere Zeiten. Mein Vater war ohne Arbeit, und ich mußte mit ansehen, wie meine Schwester sich in den Schlaf weinte, während der Hunger in ihrem Bauch sie quälte. Ich mußte mit ansehen, wie mein Vater stumm vor sich hinweinte, weil er sich schämte, keine Arbeit zu haben, weil er sich schämte, nichts gelernt zu haben.« Er hielt inne und räusperte sich. »Er war ein stolzer Mann, trotzdem hat es ihm fast das Herz gebrochen.«

Ganz nebenbei fragte sich Dalton, ob Bertrand überhaupt eine Schwester hatte.

»Auch heute gibt es unter uns stolze Männer, die bereit sind zu arbeiten, gleichzeitig gibt es genügend Arbeit, die getan werden muß. Es gibt mehrere im Bau befindliche Regierungsgebäude, weitere sind geplant. Wir lassen Straßen anlegen, damit der Handel sich ausweiten kann. Wir haben die Absicht, Brücken auf den Pässen in den Bergen errichten zu lassen. Flüsse harren der Arbeiter, die Pfeiler aufstellen sollen, um die zu jenen Straßen und Pässen führenden Brücken zu stützen.

Doch keiner dieser stolzen, arbeitswilligen Männer kommt für eine dieser Arbeiten oder für viele andere offene Stellen in Frage, weil keiner von ihnen etwas gelernt hat. Genau wie mein Vater.«

Bertrand Chanboor blickte in die Menge, die mit gespannter Aufmerksamkeit seiner Antwort harrte.

»Wir können diesen Männern Arbeit geben. Als Minister für Kultur ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß diese Männer Arbeit bekommen, damit sie ihre Kinder ernähren können, die unser aller Zukunft sind. Ich bat die klügsten Köpfe unter uns, eine Lösung vorzutragen, und sie haben weder mich noch das Volk Anderiths im Stich gelassen. Gerne würde ich mich mit den Federn dieses brillanten neuen Erlasses schmücken, doch das kann ich leider nicht.

Diese durchdachten, neuartigen Vorschläge wurden mir von Menschen überbracht, die mich mit Stolz erfüllen, dieses Amt zu bekleiden, denn es ermöglicht mir, dieses neue Gesetz zu verkünden. In der Vergangenheit hat es immer wieder Menschen gegeben, die ihren Einfluß geltend gemacht haben, um solch aussichtsreiche Ideen in den düsteren Winkeln entlegener Kammern verkommen zu lassen. Ich werde nicht zulassen, daß diese eigensüchtigen Interessen die Hoffnung auf unserer Kinder Zukunft zunichte machen.«

Bertrand setzte eine finstere Miene auf, und seine finsteren Mienen waren dazu angetan, Menschen erbleichen und vor Angst erzittern zu lassen.

»In der Vergangenheit hat es immer wieder Menschen gegeben, die das Beste für ihresgleichen zurückbehalten und verhindert haben, daß andere sich beweisen konnten.«

Die Anspielung war unmißverständlich. Wenn es um das Verheilen der von den hakenischen Oberherren beigebrachten Wunden ging, spielte Zeit keine Rolle – diese Wunden würden stets offen und blutig bleiben. Es war recht nützlich, sie in diesem Zustand zu belassen.

Bertrands Gesicht entspannte sich und nahm wieder das vertraute, ungezwungene Lächeln an, das nach seiner finsteren Miene fast noch freundlicher wirkte. »Diese Hoffnung bietet das ›Winthrop-Gesetz für gerechte Arbeitsverhältnisse‹.« Er deutete mit ausgestreckter Hand auf Claudine. »Lady Winthrop, würdet Ihr Euch bitte erheben.«

Sie blickte sich errötend um, während ihr die Menschen zulächelten. Beifall setzte ein und drängte sie, sich von ihrem Platz zu erheben. Sie wirkte wie ein bei Dämmerung hinter einem Gartenzaun gefangenes Reh. Zögernd erhob sie sich von ihrem Platz.

»Liebe Freunde, Schirmherr des neuen Gesetzes ist Lady Winthrops Gemahl Edwin, und wie viele von Euch wissen, ist Lady Winthrop seine fähige Assistentin als Abgeordneter. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß Lady Winthrop bei dem neuen Gesetz ihres Gatten eine ausschlaggebende Rolle spielte. Edwin ist in Geschäften unterwegs, trotzdem möchte ich sie zu ihrer hervorragenden Arbeit in dieser Angelegenheit beglückwünschen und hoffe, daß sie unsere Wertschätzung bei seiner Rückkehr an Edwin weitergeben wird.«

Der Saal schloß sich Bertrands Beifall an und bejubelte sie und ihren abwesenden Gatten. Claudine, das Gesicht gerötet, nahm die Verehrung mit einem zurückhaltenden Lächeln entgegen. Dalton fiel auf, daß die Direktoren, die nicht wußten, was es mit dem neuen Gesetz auf sich hatte, höflich, aber zurückhaltend Beifall spendeten. Leute beugten sich zu ihr, berührten sie, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und sprachen ihr ihre Anerkennung aus, daher dauerte es eine Weile, bis alle wieder auf ihre Plätze zurückgekehrt waren, um endlich zu erfahren, was es mit dem neuen Gesetz denn nun tatsächlich auf sich hatte.