Snip hörte jemanden kommen, hob den Kopf und sah, daß es Meister Drummond war.
»Wasch dir die Hände, Snip.«
Snip hob die Arme und schüttelte einen Teil des Seifenwassers ab. »Jawohl, Sir.«
Er schnappte sich ein in der Nähe hängendes Handtuch, während ihn ein alles durchdringendes Gefühl des Wohlbehagens daran erinnerte, wie er am Abend zuvor mit ›Sir‹ angesprochen worden war.
Meister Drummond hatte ein eigenes, weißes Handtuch, um sich die Hände daran abzuwischen. Mit seinem schweißgesprenkelten Schädel wirkte er, als hätte er sich am Abend zuvor ebenfalls ordentlich einen genehmigt und sei auch nicht ganz auf der Höhe. Die Vorbereitungen für das Fest hatten eine Unmenge Arbeit bedeutet, daher nahm Snip, wenn auch widerstrebend, an, daß Meister Drummond es ebenfalls verdient hatte, ordentlich einen zu heben. Immerhin wurde der Mann stets mit ›Sir‹ angesprochen.
»Lauf hinauf in Meister Campbells Büro.«
»Sir?«
Meister Drummond stopfte das weiße Handtuch hinter seinen Gürtel. Die in der Nähe stehenden Frauen sahen herüber; Gillie machte schon wieder ein finsteres Gesicht, zweifellos wartete sie auf eine erneute Gelegenheit, Snip das Ohr zu verdrehen und ihn für sein unverschämtes hakenisches Benehmen zu verwünschen.
»Soeben hat Dalton Campbell Bescheid gegeben, daß er dich zu sehen wünscht. Könnte mir denken, damit meinte er jetzt sofort, Snip. Also beeil dich und sieh nach, was er will.«
Snip verbeugte sich. »Ja, Sir, sofort.«
Noch bevor sie dazu kam, ihn groß zu beachten, hatte Snip bereits einen großen Bogen um Gillie geschlagen, um gar nicht erst in ihre Reichweite zu gelangen, und sich so schnell wie möglich aus dem Staub gemacht. Das war ein Auftrag, auf den er sich nur zu gerne stürzte, außerdem hatte er keine Lust, mit der sauertöpfischen Soßenköchin aneinanderzugeraten.
Als er die Treppe, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinaufsprang, war sein wummernder Schädel kaum mehr als eine geringfügige Beschwernis. Im dritten Stock angelangt, fühlte er sich mit einem Schlag ziemlich gut. Er passierte jene Stelle, wo Beata ihn geohrfeigt hatte, lief dann noch ein kleines Stück weiter rechts in den Flur hinein, bis dorthin, wo er eine Woche zuvor noch spätabends einen Teller mit aufgeschnittenem Fleisch hinaufgebracht hatte, in Dalton Campbells Büro.
Die Tür zum Vorzimmer stand offen. Snip verschnaufte und trat, den Kopf respektvoll gesenkt, zögernd ein. Er war erst ein einziges Mal hier gewesen und nicht völlig sicher, wie er sich im Büro des Adjutanten des Ministers zu benehmen hatte.
Im Zimmer standen zwei Tische. Einer war mit unordentlichen Stapeln von Papieren übersät, zwischen denen zwei Botentaschen und Siegelwachs herumlagen. Der andere, dunkel glänzende Tisch war, von einigen Büchern und einer nicht brennenden Lampe abgesehen, fast leer. Die durch die hohen Fenster hereinfallende Morgensonne spendete reichlich Licht.
An der fernen Wand zur Linken, gegenüber der Fensterseite, lungerten vier junge Burschen auf einer langen, gepolsterten Bank herum und plauderten. Sie unterhielten sich über den Zustand der Straßen in die umliegenden Ortschaften und Städte. Es waren Boten, ein begehrter Posten bei Hofe, daher vermutete Snip, daß es für sie ganz logisch war, sich über dieses Thema zu unterhalten, wenn er auch angenommen hätte, sie würden sich eher über die großartigen Dinge unterhalten, die sie bei ihrer Arbeit zu sehen bekamen.
Die vier waren gut gekleidet, alle auf dieselbe Art, in der vornehmen Livree des Adjutanten des Ministers, die sich aus schweren schwarzen Stiefeln, dunkelbraunen Hosen, weißen Hemden mit Rüschenkragen und mit Ärmeln bestückten Wämsern zusammensetzte, auf die ein ineinander verschlungenes Füllhornmuster gesteppt war. Die Säume der Wämser waren mit ausgeprägten, schwarzbraunen Zopfmustern abgesetzt. In Snips Augen verlieh der Anzug jedem der Boten ein fast nobles Aussehen, vor allem aber jenen, die zum Adjutanten des Ministers gehörten.
Es gab bei Hofe eine ganze Reihe unterschiedlicher Boten, jeder von ihnen hatte eine eigene Uniform, und jeder arbeitete für eine bestimmte Person oder für ein bestimmtes Büro. Snip kannte Boten, die für den Minister arbeiteten, für Lady Chanboor, für das Büro des Kämmerers und das des Polizeichefs; der Ordnungsbeamte hatte mehrere, außerhalb des Anwesens arbeitete eine Reihe von Armeeboten, und schließlich gab es noch jene, die Botschaften auf das Anwesen brachten, aber außerhalb wohnten – sogar die Küche verfügte über einen eigenen Boten. Von Zeit zu Zeit begegnete er noch anderen, die er aber nicht kannte.
Snip verstand nicht, wozu sie alle gebraucht wurden. Ihm war unbegreiflich, wie ein Mensch so viele Botschaften verschicken konnte.
Bei weitem das größte Kontingent an Boten – fast eine komplette Armee, wie es schien – gehörte dem Büro des Hauptadjutanten des Ministers an: Dalton Campbell.
Die vier auf der gepolsterten Bank hockenden jungen Männer betrachteten ihn mit einem durchaus freundlichen Lächeln. Zwei von ihnen begrüßten ihn mit einem Nicken, was Boten schon des öfteren getan hatten, sobald er ihnen begegnet war. Snip war dies stets befremdlich vorgekommen, denn obwohl sie ebenfalls Hakenier waren, glaubte er stets, Boten seien etwas Besseres als er, so als stünden sie, obschon keine Anderier, eine nicht näher zu bestimmende Stufe über einfachen Hakeniern.
Snip erwiderte den Gruß mit einem ebensolchen Nicken. Einer der beiden, die ihm zugenickt hatten – er war leicht ein oder zwei Jahre älter als Snip –, deutete mit dem Daumen auf das dahinterliegende Zimmer.
»Meister Campbell erwartet dich, Snip. Du sollst sofort reingehen.«
Snip war überrascht, daß er beim Namen genannt wurde. »Danke.«
Er schlenderte zu der hohen, in das hintere Zimmer führenden Tür hinüber und blieb wartend auf der Schwelle stehen. Er hatte das Vorzimmer bereits einmal betreten – die Innentür war stets verschlossen gewesen –, daher erwartete er, Meister Campbells Hauptbüro würde mehr oder weniger genauso aussehen, es war jedoch, mit seinen kostbar aussehenden blaugoldenen Vorhängen vor den drei Fenstern, einer Wand mit einem reich verzierten Regal, das eine bunte Ansammlung voluminöser Bände enthielt, und mehreren prachtvollen anderischen Kriegsstandarten in der anderen Ecke, größer und eindrucksvoller. Jedes Banner hatte einen gelben Untergrund mit roten, von ein wenig Blau durchsetzten Mustern. Die Standarten waren zu einem von gewaltig aussehenden Lanzen flankierten Arrangement angeordnet.
Dalton Campbell saß hinter einem schweren Schreibtisch aus poliertem Mahagoni mit geschwungenen Füßen und geriffeltem Rand und sah auf, als er Snip gewahrte. In die Schreibtischplatte waren drei Lederquadrate eingelassen, zwei kleinere rechts und ein größeres links in der Mitte, deren Ränder jeweils mit einem verschlungenen Goldmuster bemalt waren.
»Da wärst du also, Snip. Gut. Mach die Tür zu und komm bitte herein.«
Snip tat, wie ihm geheißen, durchquerte den weitläufigen Raum und blieb vor dem Schreibtisch stehen. »Ja, Sir? Ihr habt einen Wunsch?«
Campbell lehnte sich in seinen braunen Ledersessel zurück. Sein fürstlicher Säbel und sein Schwert lehnten in ihrer eigens in der Form einer Schriftrolle angefertigten Halterung aus getriebenem Silber an einer mit Troddeln versehenen Bank, doch da Snip nicht lesen konnte, wußte er nicht, ob es sich um richtige Worte handelte.
Der Adjutant kippte seinen Sessel auf die beiden hinteren Beine und musterte, an einer gläsernen Schreibfeder nuckelnd, Snips Gesicht.
»Du hast gute Arbeit geleistet bei Claudine Winthrop.«
»Vielen Dank, Sir. Ich hab versucht, mir ganz genau zu merken, was Ihr mir zu sagen und zu tun aufgetragen habt.«