Der Adjutant lächelte bei sich. »Nimm die Münze, Snip. Das ist ein Befehl. Wenn du die Tasche in Fairfield abgeliefert hast, habe ich heute nichts mehr für dich, ich möchte daher, daß du einen Teil davon ausgibst – oder alles, wenn du willst, und zwar für dich. Mach dir einen schönen Tag. Kauf dir Süßigkeiten, oder etwas zum Trinken. Das Geld gehört dir, du kannst damit machen, was du willst.«
Snip unterdrückte seine Aufgeregtheit. »Ja, Sir. Danke, Sir. Dann werde ich also tun, was Ihr verlangt.«
»Gut. Da wäre allerdings noch etwas.« Campbell stützte einen Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich vor. »Gib es nicht für die Prostituierten in der Stadt aus. Dieses Frühjahr gehen unter den Huren in Fairfield einige äußerst unangenehme Krankheiten um. Es wäre eine höchst unschöne Art zu sterben. Wenn du zur falschen Hure gehst, lebst du nicht mehr lange genug, um ein guter Bote zu werden.«
Die Vorstellung, mit einer Frau zusammenzusein, hatte zwar etwas geradezu quälend Verlockendes, Snip sah jedoch nicht recht, wie er jemals den Mumm aufbringen sollte, die Sache bis zum Ende durchzustehen und sich vor einer nackt auszuziehen. Er mochte es, Frauen anzusehen, so wie er Claudine Winthrop gerne betrachtete oder auch Beata, und er stellte sie sich gerne nackt vor, nie jedoch stellte er sich vor, sie könnten ihn nackt sehen, womöglich noch in erregtem Zustand. Es bereitete ihm genug Mühe, seinen erregten Zustand vor den Frauen zu verbergen, wenn er angezogen war. Er sehnte sich danach, mit einer Frau zusammenzusein, vermochte sich aber einfach nicht vorzustellen, daß die Peinlichkeit der Situation nicht alles Lustvolle nehmen würde.
Wenn es sich um ein Mädchen handelte, das er kannte und mochte, das er eine Weile küßte und liebkoste und dem er den Hof machte – das er richtig gut kennenlernte –, vielleicht konnte er sich dann vorstellen, zur Sache zu kommen, aber wie jemand zu einer Frau, die er nicht einmal kannte, gehen und sich vor ihr nackt ausziehen konnte, war ihm völlig unbegreiflich.
Vielleicht, wenn es dunkel wäre. Vielleicht war das der Trick. Vielleicht war es in den Zimmern der Prostituierten dunkel, so daß die beiden Menschen sich in Wirklichkeit gar nicht sehen konnten. Trotzdem würde er…
»Snip?«
Snip räusperte sich. »Nein, Sir. Ich schwöre es, ich werde in Fairfield zu keiner Prostituierten gehen. Nein, Sir, ganz bestimmt nicht.«
24
Dalton gähnte, nachdem der Junge gegangen war. Er war seit lange vor dem Hellwerden auf den Beinen, hatte Personal herbeizitiert, sich mit vertrauten Helfern getroffen, ihren Berichten über verwertbare Gespräche während des Festessens gelauscht und sich anschließend um das Abfassen der vielen Nachrichten gekümmert. Das – unter anderem – mit dem Kopieren und Abfassen der Nachrichten beschäftigte Personal belegte die sechs nächsten Zimmer auf dem Flur, doch um die Aufgabe kurzfristig durchführen zu können, hatten sie sein Vorzimmer benötigt.
Dalton hatte seine Boten beim ersten Morgengrauen zu den Ausrufern in jedem Winkel Anderiths geschickt. Später, wenn der Minister aufgestanden sein und er sein Techtelmechtel mit der Person, die in seinem Bett gelandet war, beendet haben würde, konnte er den Mann über den Wortlaut der Erklärung in Kenntnis setzen, damit dieser nicht überrascht wäre; schließlich war er der Unterzeichner der Bekanntmachung.
Die Ausrufer würden die Mitteilung dann in Versammlungssälen verlesen, in Gildensälen, in Händler- und Kaufleutehallen, in den Ratssälen der Ortschaften und Städte, in Gasthäusern, Schenken, auf jedem Standort der Armee, an jeder Universität, in jedem Gottesdienst, bei jeder Bußversammlung, in jeder Walk-, Papier- und Getreidemühle, auf jedem Marktplatz – überall dort, wo Menschen zusammenkamen, von einem Ende Anderiths zum anderen.
Ausrufer, die die Nachricht nicht exakt so verlasen, wie sie abgefaßt war, wurden früher oder später angezeigt und durch Männer ersetzt, die ein größeres Interesse daran hatten, ihre zusätzliche Einkommensquelle zu behalten. Zusätzlich zu den Bekanntmachungen, die er den Ausrufern sandte, schickte Dalton gleichlautende Mitteilungen turnusmäßig wechselnd an Menschen im ganzen Land, die sich eine Kleinigkeit dazuverdienten, indem sie den Ausrufern zuhörten und Bericht erstatteten, sobald eine Nachricht abgeändert wurde. Alles dies war Teil der Wartung seines Spinnennetzes.
Nur wenige Menschen verstanden sich wie Dalton auf die Bedeutung einer präzise zugeschnittenen, überzeugend klingenden, gleichlautenden Mitteilung, die an jedes Ohr drang. Nur wenige Menschen verstanden, welche Macht jemand in Händen hielt, der die Worte kontrollierte, die die Menschen zu hören bekamen. Die Menschen glaubten, was sie hörten, vorausgesetzt, es wurde ihnen auf entsprechende Weise beigebracht, unabhängig davon, was diese Worte besagten. Nur wenige Menschen wußten, welche Waffe eine angemessen verdrehte Information darstellte.
Und nun galt landesweit ein neues Gesetz. Ein Gesetz, das eine einseitige Einstellungspraxis im Steinmetzhandwerk untersagte und die Einstellung williger Arbeiter anordnete, sofern diese sich zur Arbeit meldeten. Noch tags zuvor wäre ein solches Vorgehen gegen eine mächtige Gilde undenkbar gewesen. Seine Bekanntmachung hielt die Menschen dazu an, den höchsten kulturellen Idealen Anderiths gemäß zu handeln und nicht – was verständlich gewesen wäre – streitsüchtig Gerichtsverfahren gegen Steinmetze einzuleiten, weil diese sich in der Vergangenheit verachtenswerterweise diverser Praktiken bedient hatten, durch die Kinder verhungert waren. Stattdessen forderten seine Mitteilungen mit Nachdruck dazu auf, man solle sich den neuen, edleren Grundsätzen des Winthrop-Gesetzes für gerechtere Arbeitsverhälthisse gemäß verhalten. Die aufgescheuchten Steinmetze wiederum würden, statt gegen das neue Gesetz anzugehen, ebenso hektisch wie nachdrücklich zu beweisen versuchen, es habe keineswegs in ihrer Absicht gelegen, die Kinder ihrer Nachbarn Hungers sterben zu lassen.
Nicht lange, und Steinmetze im ganzen Land würden dem neuen Gesetz nicht nur zustimmen, sondern es begrüßen, als hätten sie schon längst selber auf dessen Verabschiedung gedrängt. Sie hatten die Wahclass="underline" entweder das, oder die aufgebrachten Menschenmassen würden sie steinigen.
Dalton bedachte gerne jede Eventualität im voraus und hatte die Straße gerne gepflastert, bevor der Karren eintraf. Hatte Rowley Snip erst einmal gewaschen und gekämmt, in seine Botenlivree gesteckt und den Jungen mit der Botentasche losgeschickt, wäre es für das Büro für Kulturelle Zusammenarbeit, sollten die elf Direktoren aus irgendeinem Grund auf die Idee verfallen, ihre Meinung zu ändern, bei weitem zu spät, irgend etwas zu unternehmen. Die Ausrufer wären längst damit beschäftigt, das neue Gesetz in ganz Fairfield zu verkünden, und bald darauf wäre es weit und breit bekannt. Keiner der elf Direktoren konnte seine auf dem Fest durch Handzeichen bekundete Meinung jetzt noch ändern.
Snip paßte gut zu Daltons übrigen Boten. Es waren alles Burschen, die er im Verlauf der vergangenen zehn Jahre zusammengesucht hatte, junge Männer, die er aus düsteren, verborgenen Orten hervorgeholt hatte und die ansonsten zu einem Leben voller harter Arbeit und Demütigungen bei kaum vorhandenen Chancen und wenig Hoffnung verdammt gewesen wären. Sie waren der Dreck unter dem Absatz der anderischen Kultur. Und jetzt halfen sie durch das Überbringen von Bekanntmachungen an die Ausrufer bei der Gestaltung und Kontrolle ebendieser Kultur.
Die Boten überbrachten nicht einfach bloß Mitteilungen; in mancherlei Hinsicht kamen sie fast einer von der Öffentlichkeit bezahlten Privatarmee gleich, die darüber hinaus eines jener Mittel darstellte, mit deren Hilfe Dalton zu seiner gegenwärtigen Position aufgestiegen war. Alle seine Boten waren niemand anderem als Dalton selbst ergeben. Die meisten würden bereitwillig in den Tod gehen, sollte er dies verlangen; dergleichen war bereits vorgekommen.