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Als Giovanni geendet hatte, sagten sie eine ganze Weile kein Wort. Sie lauschten nach dem Wasser, auf dem das Lied noch nachzuklingen schien.

«Sdiön hast du gesungen, Giovanni», sagte Giannina dann.

Paolo, Marcos Diener, nahm die Ruder in die Hände und steuerte auf die Villa zu. Die Fischer achteten wieder auf ihre Netze, kleine Wellen spülten um die Eichenstämme, die in den Grund des Wassers gerammt waren, um den Schiffen der Kauffahrer den Weg zu weisen.

Marco zog sich Strümpfe und Schuhe an. Er gab Giannina die Hand und umarmte den Freund. «Wunderbar kannst du singen, Giovanni! Bald komme ich wieder!» Dann sprang er behende ins Boot. Paolo lächelte den Kindern freundlich zu und stieß das Boot ab.

«Addio Giannina! Addio Giovanni!» rief Marco und winkte noch lange den Freunden.

Über den Palästen, Kirchen und Hütten von Venedig stand der Sonnenball, das helle Blau des Himmels ging in ein zartes Rosa über. Marcos Boot verschwand im sommerlichen Dunst. «Komm, Giannina», sagte Giovanni. «Ich helfe dir Wasser tragen.»

EIN KNABE MUSS VERSCHWINDEN

NÄCHTLICHES DUNKEL LAG UBER VENEDIG. DIE Straßen und Kanäle wurden von den in weiten Abständen aufgehängten Öllampen spärlich erleuchtet. Manche brannten nur in der ersten Hälfte der Nacht, weil die gewinnsüchtigen Ölpächter mit dem Öl sparten. Die vom Senat in den einzelnen Sestieren eingesetzten Signori di notte, die den Polizeidienst leiteten und nächtliche Diebstähle, Raub und Mord aburteilten, hatten schon mehrere Ölpächter mit empfindlichen Geldstrafen belegt, weil sie durch ihren Geiz die öffentliche Sicherheit gefährdeten.

Eines Nachts war sogar ein hoher Beamter der Signori di notte, ein peinlicher Nachtrichter, von einer Diebesbande überfallen worden. Sie raubten seinen scharlachroten Mantel und die Geldbörse und wollten ihm gerade den Finger abschneiden, um in den Besitz eines kostbaren Ringes zu kommen, als einige Arsenalarbeiter dem Edelmann zu Hilfe eilten. Die Diebe verschwanden, als hätte die Nacht sie verschluckt, und der Richter kam noch einmal mit einem Schrecken davon.

Es war gefährlich, um diese Zeit durch die schmalen, ungepflasterten Straßen zu gehen. Besonders dunkel war es im Sestier di Castello, in der Nähe des Arsenals, das mit seinen Mauern wie eine Burg, rings umgeben von Wasser, dalag. In diesen mächtigen Gebäuden waren die wichtigsten Werkstätten der Stadt untergebracht, in denen die geschickten Hände der Handwerker die Schiffe bauten und vom Ruder bis zum Segelwerk ausrüsteten. Hier waren nach den Seeschlachten mit den Normannen oder Genuesen die beschädigten Schiffe repariert worden. Hier befand sich das riesige Waffenlager der Stadt, hier lagen Kauffahrerschiffe, Kriegsschiffe und Galeeren.

Gegen die zweite Nachtstunde näherte sich eine Barke dem an der Wasserseite liegenden Eingang. Zwei Fackelträger, einer im Vorderteil, der andere im hinteren Teil der Barke stehend, beleuchteten das dunkle Wasser. Vier Soldaten tauchten ohne sonderliche Eile im gleichmäßigen Takt die Ruder ein und zogen sie zurück. Hinter ihnen stand ein junger Offizier und spähte zu den beiden Wachtürmen hinauf, die den Eingang links und rechts flankierten. Auf den Anruf der Wachposten sagte der Offizier die für diese Nacht gültige Parole. Gleich darauf wurde das schwere eichene Schutzgitter aufgezogen, und die Barke glitt lautlos hinein.

Pietro Bocco, einer der sechs Patroni dell'Arsenale, welche die Oberaufsicht über die gesamte Verwaltung des Ortes führten, hatte diese Nacht noch nicht geschlafen. Seine Stirn war gefurcht von den Gedanken, die ihn in den Nächten, da er als Patrone di guardia in einem besonderen Wachzimmer schlief, bedrängten.

Als er draußen Schritte hörte, stand er auf, zog seine rote Weste zurecht und warf den violetten Rock über. Nachdem der junge Offizier eingetreten war, meldete Pietro Bocco, daß im Gelände des Arsenals alles in Ordnung sei. Pietros Miene hatte sich mit einem Schlage verändert. Keine Spur von Mißstimmung war mehr zu bemerken. Er plauderte mit dem Offizier wie mit einem Menschen, der eben eine gute Botschaft gebracht hat. Pietro Bocco verstand es, seine wahren Gedanken zu verbergen. Nur die grauen Augen behielten im Gespräch den kalten Glanz.

Nach wenigen Minuten schon verließ der Offizier, zufrieden, daß es keine Zwischenfälle gegeben hatte, das Wachzimmer und ging zu der wartenden Barke.

Die Schildwache auf dem Mittelturm, die genau wußte, daß der Offizier im Arsenal war, rief die Namen der Wachposten auf den übrigen Türmen: «Dimitro!» «Ernesto!» «Benedetto!» «Danielo!» hallte es durch die Nacht. Und jedesmal antwortete der Angerufene mit einem lauten «Ja!» als Zeichen, daß er nicht schliefe.

Das Eichengatter wurde aufgezogen und die Barke mit den bewaffneten Fackelträgern fuhr wieder in die Nacht hinaus.

Pietro Bocco setzte sich in den mit Holzschnitzereien reichverzierten Stuhl, stützte die Unterarme auf den Tisch und starrte in das trübe Licht der Lampe. Es war so wie jede Nacht. Er hörte die Rufe der Schildwachen und stellte sich im Geiste vor, wie die Patrouille rings um die dicken Mauern des Arsenals ging. Das waren Gedanken, die am Rande seines Bewußtseins waren. In Wirklichkeit kreisten sie nur um den einen Hauptgedanken und tasteten sich wie Diebesfinger immer näher an ihn heran.

Es war so wie jede Nacht, aber in seinem Gesichtsausdruck lag etwas, das anzeigte, daß heute die Entscheidung fallen würde. Woher kam plötzlich die Müdigkeit in seinem schmalen Gesicht, das durch den ergrauten Spitzbart noch schmaler wirkte? Waren es die nächtelangen Überlegungen und inneren Kämpfe, die ihn so müde machten, oder schöpfte er Kraft für die bevorstehenden Handlungen? Pietro Bocco, Patrone dell'Arsenale, schloß die Augen und neigte den Kopf über die Tischplatte.

Das matte Lampenlicht spiegelte sich in der Fenstersdieibe. Ganz fern klangen jetzt die Rufe der Schildwache: «Dimitro!» «Ernesto!» «Danielo!» «Benedetto!» Die Zeit verrann unendlich langsam.

Das letzte kaufmännische Unternehmen des Pietro Bocco war nicht glücklich gewesen. Zwei Schiffe mit Glaswaren, Tuch und Goldschmiedearbeiten waren in die Hände kroatischer Seeräuber gefallen. Dachte der einsame Mann in der Wachstube jetzt an diesen Verlust? Sein Vermögen war zusammengeschrumpft. Aber Kaufleute wie Pietro Bocco lassen sich nicht so schnell zu Boden werfen; sie sind zäh und schiau, und wenn es um Gold und Dukaten und politische Macht geht, sind sie bereit, mit dem Teufel zu paktieren.

Pietro schlief. Sein Kopf lag auf den Unterarmen, der Lichtschein fiel auf die grauen Haare. Es war kein beruhigender Schlaf; schon nach kurzer Zeit hob er den Kopf und sah benommen auf die Fensterscheibe. Er glaubte das Gesicht des Knaben, das ihm im Traum erschienen war, darin zu erblicken. Es war das Gesicht Marco Polos, seines Neffen, das er auf der dunkel schimmernden Scheibe sah. Ärgerlich wischte er sich mit der Hand über die Augen, drehte sich um und ging im Zimmer auf und ab. Dann öffnete er die Tür und rief den Wachposten. Eilig griff dieser nach seiner Pike und trat ins Zimmer.

«Geh, hol mir den Sdireiber Luigi!»

«Jawohl, Herr!»

Der Posten lief schnell den Flur entlang, ging im normalen Schritt die Treppe hinunter und tappte dann langsam über den Hof, der Wohnung Luigis zu. Er murmelte ärgerliche Worte über die Verrücktheit des Patrone, mitten in der Nacht einen armen Schreiber wecken zu lassen.

Die Entscheidung war gefallen. Wenn alles nach dem Kopfe des Pietro Bocco ging, würde er bald im Besitz des Vermögens von Nicolo Polo sein; und dann hatte er Geld genug, um den Wahlherrn seines Sestiers, den vornehmen Messer Morosini, zu veranlassen, ihn als Senator zu wählen.