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„Das kostet uns wieder ein Streichholz", seufzte Fred. „Aber die Späne sind ja auch schon fast zu Ende…"

Die Schnecken waren also ungenießbar, und wieder erhob sich das Gespenst des Hungers drohend vor unseren Wanderern. Fred zündete einen Span an, und man fuhr schweigend weiter. Plötzlich blitzte etwas auf. Eben war eine Schnecke von der Wand gerutscht und ins Wasser gefallen, und im gleichen Augenblick hatte sie ein großer Fisch, der aus dem Wasser schnellte, geschnappt. Auf der Oberfläche bildeten sich ein paar Kreise… „Bin ich aber dumm!" rief Fred. „Wie lange werde ich noch wachsen müssen, um ein richtiger Mann zu werden? Alle unsere Mißgeschicke kommen von meiner Dummheit! Warum hab ich nicht an die Fische gedacht?" „Aber Fred, wie willst du sie denn fangen?" „Ha, ha, ha", lachte Fred, „das laß meine Sorge sein!" Fred nahm aus dem Futter seiner Mütze eine Angelschnur mit einem Haken heraus, löste dann eine Schnecke von der feuchten Wand, schnitt ein Stück davon ab, spießte es auf den Haken auf und warf ihn über Bord. Es verging nur kurze Zeit, da straffte sich die Angelschnur, Fred riß sie an sich, und schon lag auf dem Boden des Bootes ein kurzer dicker Fisch mit grauen Schuppen und blaßrosa Flossen. Anstelle der Augen hatte er zwei kurze runde Auswüchse: Der Fisch war blind.

„Vielleicht ist der Fisch giftig?" sagte Fred nachdenklich. „Lieber Fred, laß mich ihn probieren!" bat Elli.

„Nein", entgegnete Fred entschieden. „Das soll Toto tun. Ich werde ihm aber nur ein ganz kleines Stückchen geben."

Der Junge schlug dem zuckenden Fisch das Ruder auf den Kopf, schabte die Schuppen ab und gab ein Stückchen dem Hund. Toto verschlang es gierig, beleckte sich das Maul und wollte mehr.

„Nein, Freundchen, das geht nicht", sagte Fred sanft. „Du mußt dich ein bißchen gedulden!"

Eine Stunde verging. Toto fühlte sich gut und blickte gierig auf die Fische,

die der Junge mittlerweile gefangen hatte.

„Schade, daß wir sie nicht braten können", sagte Elli bedauernd.

„Wir werden sie eben roh essen, aber nur stückchenweise, sonst wird uns

noch übel."

Die Kinder aßen kleine Stückchen, aber in kurzen Abständen, und in wenigen Stunden waren sie satt. Obwohl ihnen nicht mehr der Hungertod drohte, wünschten sie doch sehnlichst, daß ihre unfreiwillige Reise recht bald ein Ende nehme.

DIE GEHEIMNISVOLLE STADT

Das Kienspanbündel wurde immer kleiner, und dann kam der Augenblick, da das zitternde Flämmchen des letzten Spans noch einmal aufflackerte und erlosch. Sekundenlang war noch der glimmende Kohlenrest zu sehen, dann verschwand auch er. Fred und Elli glaubten, sich in völliger Finsternis zu befinden, denn kein Lichtstrahl konnte ja durch die dicke Erdschicht dringen, die sie von Himmel und Sonne trennte. Aber, o Wunder! Während sich die Augen der Kinder langsam an die Finsternis gewöhnten, begannen sie einiges zu unterscheiden.

„Fred, was ist das?" rief Elli freudig aus. „Oh, ich sehe meine Finger… da, auch Toto, und dich sehe ich auch!"

„Komisch, auch ich sehe jetzt! Ich erkenne deine rote Jacke. Ich sehe, wie du die Arme bewegst! Hurra, ich sehe!"

So unglaublich es schien — aber sie sahen wirklich. Unsere Wanderer trieben jetzt auf einem breiten, ruhigen Fluß dahin, vor ihnen lag ein Felsvorsprung, an dem der Strom nach rechts abbog. Die Uferfelsen und die Decke schimmerten in einem schwachen, gleichmäßigen, unverkennbar goldigrosigen Licht. Natürlich waren jetzt weder Kienspan noch Fackel nötig. Aber woher kam nur das Licht? Elli sagte überzeugt:

„Fred, hier muß irgendwo das Land der unterirdischen Erzgräber liegen!" Zum erstenmal nach dem Unglück lachte sie.

„Oh, welch ein Glück! Ich werde meinen lieben Scheuch, den Holzfäller und den Löwen wiedersehen!. ." Fred entgegnete bedachtsam:

„Irrst du dich auch nicht? Vielleicht kommen wir in einganz anderes unterirdisches Reich?"

„Wie viele kann es denn hier schon geben? Ich habe im Land der Erzgräber genauso ein goldgelbes Licht gesehen, nur war es viel heller, und man konnte darin auch ferne Gegenstände unterscheiden." „Na, wenn dem so ist, so sind unsere Leiden zu Ende!" rief Fred frohlockend. „Und auch deine Prahlerei hat aufgehört", fügte er schmunzelnd hinzu. „Dann werde auch ich das Wunderland sehen." „Ja, das wohl, nur werde ich es zum drittenmal sehen und du zum erstenmal!"

Bald kamen sie in eine riesige Grotte, deren Ende selbst in dem goldigen Licht nicht zu erkennen war. Die Grotte war zwar sehr groß, aber mit dem Land der unterirdischen Erzgräber doch nicht zu vergleichen. Hier gab es keine Hügel, keine Wälder, und auch eine Stadt war nicht zu sehen… Und doch war eine Stadt da! Weit vom Ufer entfernt sahen Elli und Fred etwas, das an Häuser erinnerte.

„Eine Stadt, eine Stadt!" rief Elli lebhaft. „Fred, lieber Fred, gehen wir sie uns ansehen. ."

Jetzt, da sie nicht mehr um ihr Leben bangten und auf ein gutes Ende ihrer Reise hofften, kamen den beiden Wünsche, die sie noch vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten hätten. Fred hatte Bedenken, das Boot am Ufer zurückzulassen. „Aber Toto kann es ja bewachen", sagte das Mädchen. Fred ließ sich leicht überreden, denn er brannte ja darauf, die geheimnisvolle Stadt zu sehen. Die beiden zogen das Boot auf das Ufer, beschwerten es mit Steinen und banden Toto daran fest. „Wenn was passiert, bellst du!" befahl Elli dem Hündchen. Die Stadt schien etwa eine halbe Meile entfernt zu sein. Der Weg führte über eine Ebene, auf der kleine und große Steine umherlagen, über die die Kinder viele Male stolperten. Je näher sie kamen, desto klarer wurde ihnen, daß es sich um eine von Menschen erbaute Stadt handelte. Die vielen Gebäude standen wahrscheinlich auf einem Hügel, denn sie stiegen terrassenartig an. Die Stadt erinnerte an ein riesiges Nest. Die Häuser waren rund und von Kuppeln gekrönt. Sie hatten keine Fenster, aber in den Wänden waren runde Öffnungen zu sehen, die wohl zur Belüftung dienten. Manche Häuser sahen verfallen aus, und man hatte den Eindruck, daß in der Stadt schon lange niemand mehr lebte. Als sie ganz nahe herangekommen waren, sahen Fred und Elli eine Festungsmauer von vierfacher Mannshöhe.

Mit Staunen gewahrten sie, daß die Mauer mit ungewöhnlich grellen Bildern bedeckt war, die unter der unterirdischen Feuchtigkeit nicht gelitten hatten, obwohl sie gewiß schon jahrhundertealt waren. Das waren nämlich Mosaikbilder aus winzigen farbigen Glasstücken, denen die Zeit nichts anhaben konnte. Eines stellte einen König dar, der über seine Untertanen Gericht hielt. Er saß in prächtigem Gewande auf einem Thron, vor dem die Angeklagten, jeder mit einem Strick am Hals, knieten. Ein anderes zeigte ein Festgelage, ein drittes Sportspiele. Die Gesichter und Figuren kamen Elli bekannt vor. Sie hatte diese kleinen, dicken Menschlein mit den großen Köpfen auf dicken Nacken und mit mächtigen Fäusten schon irgendwo gesehen…