Fred Cunning half den Zwinkerern, den Eisernen Holzfäller zu reparieren. Während des langen Aufenthalts im Faß hatte sich der eiserne Mann mit Öl vollgesogen, das dick geworden war und nun die Beweglichkeit seiner Gelenke behinderte. Lestar und seine Gehilfen nahmen ihren Herrscher auseinander, putzten sorgfältig alle seine Teile und legten sie in die Sonne zum Trocknen. Fred paßte auf, daß keine diebische Elster ein wichtiges Schräubchen klaute. Toto lief am Ufer hin und her und bellte die Fischchen an, die sich im Wasser tummelten. Es fehlten nur Kaggi-Karr, Faramant und Din Gior. Die Krähe war in die Smaragdenstadt geflogen, um den Einwohnern anzukündigen, daß ihr geliebter Herrscher nach seinen neuen Heldentaten in der unterirdischen Welt bald zurückkehren werde. Ihr waren der Langbärtige Soldat und der Hüter des Tores gefolgt, die einen festlichen Empfang für den Scheuch vorbereiten wollten. Alle fühlten sich wohl. Nachdem die sieben Könige und ihre Lakaien eingeschlafen waren, hatten die Gäste aus der oberen Welt mit Elli die Höhle verlassen. Dabei brauchten sie sich nicht einmal auf die Schutzurkunde zu berufen, denn niemand fragte sie danach. Es kam wie von selbst, daß die unterirdischen Menschen den Hüter der Zeit als ihren Herrscher anerkannten. Arrigo wurde Rusheros erster Gehilfe. Die beiden versammelten das Volk und erklärten ihm, welches Schicksal der Könige, ihrer Hofleute und Diener harre. Die Menschen jubelten, als sie erfuhren, daß diese famose Idee vom Scheuch stamme. Alle versprachen, den Königen und ihrem Gefolge beim Aufwachen nichts von deren Vergangenheit zu erzählen, denn das konnte ja ihrer Umerziehung schaden. Das Versprechen wurde gehalten. Es war ja auch niemand da, der es hätte brechen können, denn der einzige Verräter im Lande, Ruf Bilan, war vom Volk zur Einschläferung verurteilt und für 10 Jahre in die Heilige Höhle geschafft worden. Damit niemand zufällig vom Schlafwasser trinke, wurde die Höhle vermauert. Der erste Teil der Schlafenden mit König Mentacho erwachte eine Woche nach der großen Einschläferung. Rushero ließ, wie versprochen, Elli davon benachrichtigen, die sich mit ihrem Cousin sofort in die Stadt der Sieben Könige aufmachte, denn sie wollte sehen, wie die Umerziehung vor sich gehen werde. Als sie die Höhle betraten (das Handelstor war auf Rusheros Befehl beseitigt worden), fuhren sie entsetzt zurück. Auf dem Weg lag ein gewaltiger Drache, der sie aus seinen gelben Augen anstarrte und mit dem sägeartigen Schwanz die Erde schlug.
„Was sucht dieses Ungeheuer hier?" schrie Elli und wollte schon davonlaufen.
„Das ist ja Oicho", sagte der Mann, der ihnen die Botschaft Rusheros überbracht hatte, „der klügste und folgsamste unserer Drachen. Oicho, mach eine Verbeugung vor den Gästen!"
Der Drache nickte dreimal mit seinem häßlichen Kopf, worüber Elli und Fred unwillkürlich lachen mußten.
„Ihr dürft ihn streicheln", fuhr der Mann fort, „das gefällt ihm." Elli berührte den runzligen Hals der Echse, die vor Vergnügen mit dem Schwanz zu klopfen begann.
„Jetzt setzt euch da hinein", sagte Rusheros Bote und wies auf die Sänfte, die der Drache auf seinem Rücken trug. „Wozu? Wir gehen lieber zu Fuß", sagte Elli. Der Bote duldete aber keine Widerrede. „Das geschieht auf Befehl unseres Herrschers Rushero, außerdem ist es auch für euch besser so."
Obwohl die Kinder die letzten Worte nicht verstanden, taten sie, wie ihnen geheißen. Der Mann nahm vorne Platz, ergriff die Zügel, und der Drache flog. Elli und Fred setzte fast das Herz aus, sie klammerten sich krampfhaft aneinander, denn die Erde raste unter ihnen blitzschnell hinweg. Aber nach ein paar Minuten gefiel ihnen der schnelle Flug, und als sie am Ziel anlangten, tat es ihnen leid, daß die Reise schon zu Ende war und sie aussteigen mußten. Die Umerziehung machte den Zuschauern viel Spaß, aber auf Befehl Rusheros durfte niemand lachen. Mentacho, der erste der aufgewachten Könige, war auch der Hochmütigste unter ihnen. Er war furchtbar stolz auf seine Abstammung vom legendären Bofaro und verachtete das einfache Volk. Ihm flüsterte nun Rushero ein, daß er Weber sei. Ein Werkmeister unterwies den ehemaligen König in den Grundlagen des Gewerbes, und bald setzte er sich an den Webstuhl und begann das Schiffchen hin und her zu bewegen. Dabei summte er leise:,Wie hab ich mich nach meiner Arbeit gesehnt!"
Elli und Fred platzten beinahe vor Lachen, doch Rushero warf ihnen einen wütenden Blick zu, worauf sie schnell aus dem Zimmer gingen. Der Plan der Umerziehung gelang. Die Könige, ihre Minister und Räte wurden nun Erzgräber, Gießer, Schlosser, Schneider und Köche; die Lakaien, Soldaten und Spione wurden Bauern, Gärtner, Tierfänger und Fischer…
Das Gespenst des Hungers war für immer aus dem unterirdischen Land verbannt.
Aber das unterirdische Land sollte bald aufhören zu bestehen. Der Herrscher Rushero und der neugebildete Altestenrat (dem jetzt auch zwei ehemalige Könige angehörten) verkündeten nämlich:
„Wer die Höhle verlassen und in die obere Welt ziehen will, darf dies unangefochten tun. Der Ältestenrat hat schon eine Übereinkunft mit den Käuern erzielt. Ihr Blaues Land ist groß genug, unsere Menschen werden dort Land bekommen, das sie bestellen können."
Zur Entscheidung dieser außerordentlich wichtigen Frage wurde eine große Volksversammlung einberufen. Als erster nahm Arrigo das Wort.
„Unsere Vorfahren sind vor tausend Jahren aus der oberen Welt vertrieben worden wegen eines Verbrechens, das Prinz Bofaro begangen hat", sagte er. „Ob das Urteil gerecht war oder nicht — darüber zu streiten hat heute keinen Sinn. Jedenfalls blieben die Menschen in der Höhle. Aber wie leben wir da? Schaut, wie blaß eure Gesichter, wie dünn eure Arme und Beine sind! Und wie kränklich sehen unsere Kinder aus, wie viele sterben schon im ersten Lebensjahr!"
„Richtig! Er sagt die Wahrheit!" riefen viele Stimmen. „Natürlich kann man in der Höhle leben, das haben wir ja bewiesen", fuhr Arrigo fort. „Aber wer will es abstreiten, daß das Klima hier sehr schädlich ist? Die Doktoren Bord und Robil werden es bestätigen, daß das Leben bei uns viel kürzer ist als oben."
„Ja, ja!" riefen Bord und Robil.
„Selbst Zauberwesen wie der Scheuch und der Eiserne Holzfäller sind bei uns beinahe gestorben, und der König der Tiere hat die Apotheke leergefressen. Der Apotheker selber hätte beinahe daran glauben müssen, weil ihm ein so starker Arzneigeruch anhaftete. Die Menge lachte.
„Ihr werdet zugeben, Freunde", schloß Arrigo, „daß wir jetzt, da uns niemand zwingt, in der Höhle zu leben, der tausendjährigen Verbannung ein Ende machen und in die obere Welt umsiedeln müssen." „Eine Frage!" rief der Doktor Robil, der, groß und mager, die Tribüne bestieg. „Der verehrte Arrigo hat sehr gut gesprochen, jetzt soll er mir aber sagen, wie wir mit unseren schwachen Augen in der oberen Welt leben werden!"
„Mit Verlaub!" rief der dicke Doktor Boril, der wie ein Ball aus der Menge hervorrollte. „Durch diese Frage hat der verehrte Doktor Robil seine völlige Unwissenheit in medizinischen Dingen verraten." Robil schnaubte vor Wut, als er dies hörte. Die Rivalität, die vor Jahrhunderten zwischen den Ahnen der beiden Ärzte bestanden hatte, hatte sich auf ihre Nachfahren vererbt. „Meine Unwissenheit, sagt Ihr? Wollt Ihr es mir auch beweisen?" schrie Robil.
„Jawohl, das will ich!" erwiderte Boril. „Die Augen unserer Vorfahren haben sich an das Halbdunkel der Höhle gewöhnt, und auch unsere Augen
werden sich an das Licht der oberen Welt gewöhnen. Das kann ich beweisen. Bürger Wenjeno, tretet bitte vor!"