Ein Mann in mittleren Jahren in bäuerlicher Kleidung trat vor.
„Seht, dieser Bürger lebt seit zwei Wochen oben", fuhr Doktor Boril fort.
„Am Tag hält er sich in einem verdunkelten Zelt auf, nachts verläßt er es und bleibt bis zum Morgengrauen draußen. Darin besteht der Versuch, den ich mir ausgedacht habe. So, und jetzt erzählt, Freund Wenjeno, wie es Euch geht!"
„Ich gewöhne mich allmählich an das Licht", erwiderte schüchtern Wenjeno. „Gestern blieb ich fast bis zum Sonnenaufgang draußen, es hat mir nicht geschadet."
Donnernder Beifall war die Belohnung für den tapferen Bauern.
Auf der Versammlung wurde noch eine andere wichtige Frage aufgeworfen.
Die Höhle war reich an Erzen, die es in der oberen Welt nicht gab. Woher sollte man es nun nehmen?
Ein Erzgräber meldete sich zu Wort.
„Kumpel", sagte er, „sollen wir gerade jetzt zu arbeiten aufhören, wo wir's endlich zu unserem eigenen Wohl tun? Früher war das anders, da mußten wir uns für die Könige schinden. ." Ein Gezisch unterbrach den Redner, der sofort innehielt. Er hatte ja vergessen, daß auch die ehemaligen Könige zugegen waren. „Ich wollte nur vorschlagen", verbesserte er sich, „daß wir bereit sind, der Reihe nach zu arbeiten. Wenn wir zwei Monate im Jahr in der Grube arbeiten, wird es uns gewiß nichts schaden, dafür wird unsere Erholung oben um so angenehmer sein!"
„Sehr richtig! Auch wir werden der Reihe nach arbeiten!" riefen die Gießer. So entschied das Volk selbst alle wichtigen Fragen, und die Höhle begann sich allmählich zu leeren. Die Arbeiter und Bauern des unterirdischen Reiches fühlten sich von der schönen Sonne, dem blauen Himmel und der klaren Luft angezogen — dankbar dachten sie an die Ereignisse, die ihnen die Befreiung aus dem düsteren unterirdischen Reich gebracht hatten.
Elli und Fred warteten natürlich nicht, bis die Umerziehung aller Eingeschläferten und die allgemeine Umsiedlung zu Ende gingen. Es war höchste Zeit, nach Hause zurückzukehren, zu den Angehörigen, die über ihren vermeintlichen Tod trauerten. Vor der Abreise wollte Elli noch die Königin der Feldmäuse, die gute Ramina, sehen, nach der sie große Sehnsucht verspürte. Sie bat ihren Cousin, das Hündchen an einen Baum zu binden und blies in die Silberpfeife. Im gleichen Augenblick raschelte es im Gras, und vor Elli stand Ramina mit einer goldenen Krone auf dem Kopf. Hofdamen begleiteten sie. Toto begann zu bellen und zerrte an der Leine, während Fred mit weit aufgerissenen Augen dastand. Er wußte, daß dies eines der letzten Wunder der seltsamen Welt war, in die ihn das Schicksal verschlagen hatte. Die Mäusekönigin piepste: „Ihr habt mich gerufen, meine liebe Fee?" ja, Majestät! Ich sehnte mich nach Euch und wollte Euch noch einmal sehen, bevor ich das Wunderland verlasse." „Ich danke Euch für die Güte", sagte die Königin, „es ist ja auch unsere letzte Begegnung!" „Ich werde also nie mehr in dieses Land zurückkehren?" „Es ist uns Feldmäusen gegeben, die Zukunft vorauszuahnen. Diese Vorahnung sagt mir, daß Euch ein langes und schönes Leben in der Heimat erwarte. Eure hiesigen Freunde aber werdet Ihr nie wiedersehen." Elli brach in Tränen aus: „Ich werde mich so sehr nach ihnen sehnen… " „Das menschliche Gedächtnis ist barmherzig", sagte Ramina. „Zuerst werdet Ihr Euch grämen und bittere Tränen weinen, aber dann wird das Vergessen Euch zu Hilfe kommen. Ein Schleier wird sich über die Vergangenheit breiten, und Ihr werdet Euch an sie wie an einen dunklen Traum, wie an ein liebes altes Märchen erinnern." Das Mädchen fragte:
„Soll ich dem Scheuch, dem Holzfäller und dem Löwen sagen, daß ich sie für immer verlasse?"
„Nein", erwiderte die Mäusekönigin. „Sie sind so gut und weichherzig, daß Ihr besser tut, sie nicht zu betrüben. Laßt ihnen die Hoffnung, sie ist eine große Trösterin."
Die kluge Maus hätte Elli vielleicht noch viele gute Worte gesagt, aber in diesem Augenblick riß sich Toto los, und Ramina verschwand mit ihrem Gefolge, als hätte sie die Erde verschlungen. Fred stand wie vom Donner gerührt.
„Weißt du, Elli", sagte er nach einer Weile, „von allen seltsamen Wundern dieser seltsamen Welt ist das, was ich eben gesehen hab, das allerseltsamste.
Du mußt mir verzeihen", fügte er verlegen hinzu, „daß ich dich ein bißchen gehänselt habe."
Elli hatte keine Lust, wieder in die Smaragdenstadt zu gehen, denn, sagte sie, die Wunder dieser Stadt habe sie doch mehr als einmal gesehen, und Fred sei ja auch schon dort gewesen.
„Vom Blauen Land, in dem wir uns jetzt befinden, ist der Weg in das Tal des herrlichen Weins kürzer", erklärte sie ihrem Cousin. „Die Käuer werden uns begleiten und uns helfen, ein Wüstenschiff zu bauen." „Oh, ich bin schon auf Jachten gefahren und weiß, wie man mit einem Segel umgeht", stimmte ihr Fred zu. Als Rushero von diesem Plan hörte, runzelte er die Stirn. „Was ihr euch vorgenommen habt, ist nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich", sagte er. „Die Große Wüste lässt selten jemanden hinaus, der sich hineingewagt hat. Der Seemann Charlie, der sie zweimal durchqueren konnte, hat eben Glück gehabt, aber das kommt nicht alle Tage vor. Es wäre heller Wahnsinn, sich auf Freds Geschicklichkeit zu verlassen, er ist doch noch ein Junge! Wir, eure Freunde, können es nicht gestatten, daß Ihr ins Verderben geht."
„Aber wie sollen wir nach Hause kommen?" fragte Elli. „Ich kenne ein Mittel", erwiderte Rushero, verschmitzt lächelnd. „Sagt, wann ihr aufbrechen wollt, alles andere laßt nur meine Sorge sein." Der Scheuch, der Holzfäller und der Löwe wollten, daß Elli noch lange bei ihnen lebe, aber sie sagte, sie könne höchstens noch eine Woche bleiben. Die Nachricht von der baldigen Abreise Ellis wurde durch eine Vogelstafette der Smaragdenstadt überbracht. Von dort traf als erste Kaggi-Karr ein, der bald der langbärtige Soldat Din Gior, der Hüter des Tores Faramant und der Mechaniker Lestar folgten. Viele Einwohner der Smaragdenstadt scheuten nicht den langen Weg auf der gelben Backsteinstraße, die jetzt allerdings nicht mehr gefährlich war, um die liebe kleine Fee, die ihnen so viel Gutes getan hatte, noch einmal zu sehen. Zum Abschied versammelte sich die ganze Bevölkerung des Blauen Landes mit ihrem Herrscher Prem Kokus an der Spitze, und natürlich kamen auch die ehemaligen Einwohner der Höhle, die mittlerweile in die obere Welt übergesiedelt waren. Viele trugen schwarze Binden vor den Augen, um sie gegen das Sonnenlicht zu schützen.
Niemand wusste, wie Elli das Wunderland verlassen werde, aber alle glaubten an ihre Macht. „Wenn Elli sich etwas vorgenommen hat, so wird sie es auch schaffen", sagten die Leute.
Um die Wiese, auf der Elli in einem Zelt wohnte, war ein geräuschvolles Lager entstanden. Die sanften kleinen Käuer weinten vor Kummer darüber, daß die Fee des Tötenden Häuschens sie verlasse, und jauchzten vor Freude, daß sie den zahllosen Gefahren in der unterirdischen Welt entronnen war. Diese Menschlein fielen unwahrscheinlich schnell aus einer Stimmung in die andere. Aber, ob sie nun lachten oder weinten, die Schellen an ihren Hüten läuteten immer gleich lieblich. Fred Cunning war tief gerührt über die Ehre, die man seiner Cousine erwies, diesem einfachen Mädchen aus Kansas, das mit seinem guten Herzen so viel für die Einwohner des Wunderlandes getan hatte. Selbst er, Fred, ein gewöhnlicher Junge aus den Staaten, wurde so geehrt, als hätte er etwas besonders Schönes und Edles vollbracht.