„Ausgezeichnet“, meinte Jason, als er die Tür des Raumes öffnete, in dem Ijale auf ihn wartete. Der Wachtposten schob Mikah hinein und verschloß die Tür von außen. Jason verriegelte sie von innen und wandte sich an die beiden.
„Heute sind neue Sklaven gekommen“, berichtete er, „und einer von ihnen stammt aus Appsala. Ein Söldner oder Soldat, der in Gefangenschaft geraten ist. Er weiß, daß er hier nicht lange zu leben hat, deshalb war er sofort begeistert, als ich mich mit ihm über meine Absichten unterhielt.“
„Davon verstehe ich nichts, das ist Männersache“, meinte Ijale und wollte an den Herd zurückgehen.
„Du wirst es gleich verstehen“, antwortete Jason und hielt sie am Ärmel fest. „Der Soldat kennt den Weg nach Appsala und kann uns führen. Jetzt brauchen wir nur noch unsere Flucht zu inszenieren.“
Ijale und Mikah hörten gespannt zu. „Wir können wirklich fliehen?“ erkundigte sich das Mädchen ungläubig.
„Ich habe alles vorbereitet. Ich habe genügend Dietriche, um jede Tür aufschließen zu können, einige Waffen, den Schlüssel zur Waffenkammer und sämtliche Sklaven auf meiner Seite.“
„Und was hast du vor?“ fragte Mikah.
„Ich will einen Sklavenaufstand entfesseln. Während die Sklaven mit den d’zertanoj abrechnen, nützen wir die Gelegenheit und suchen das Weite. Das ist vielleicht nicht sehr vornehm, aber die einzige Möglichkeit.“
„Das ist eine Revolution!“ rief Mikah entsetzt aus. Jason warf sich auf ihn und riß ihn mit sich zu Boden. Ijale hielt Mikahs Beine fest, während Jason auf seiner Brust hockte und ihm den Mund zuhielt.
„Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Willst du den Rest deines Lebens als Mechaniker verbringen? Wir werden so gut bewacht, daß wir nur fliehen können, wenn wir Verbündete finden. Und die haben wir bereits — alle Sklaven.“
„Brevuluschion“, murmelte Mikah durch Jasons Finger hindurch.
„Selbstverständlich ist es eine Revolution. Aber gleichzeitig ist es die einzige Chance, die diese armen Teufel jemals haben werden. Jetzt sind sie nichts anderes als menschliches Vieh, mit dem man nach Belieben umspringt. Die d’zertanoj brauchen dir nicht leid zu tun, Mikah — jeder von ihnen hat mindestens zehn Menschenleben auf dem Gewissen. Du hast selbst erlebt, wie sie einen Sklaven umbringen, ohne mit der Wimper zu zucken. Findest du etwa, daß sie zu nett sind, um ihnen das anzutun?“
Jason nahm seine Hand von Mikahs Mund, hielt sie aber über das Gesicht des Mannes, um jeden Hilferuf sofort ersticken zu können.
„Natürlich sind sie nicht nett“, sagte Mikah. „Sie sind alle miteinander Verbrecher, die vernichtet werden müßten, wie Sodom und Gomorra vernichtet worden sind. Aber das darf nicht durch eine Revolution geschehen: Revolutionen sind verwerflich.“
Jason zuckte mit den Schultern. „Das kannst du zwei Dritteln aller gegenwärtiger Regierungen erzählen, die auf genau diese Weise an die Macht gekommen sind — durch Revolutionen. Nette, liberale, demokratische Regierungen, die von Männern mit Gewehren und dem dringenden Wunsch nach einer Veränderung ins Leben gerufen wurden. Wie soll man sich sonst eine Regierung vom Hals schaffen, die man nicht abwählen kann? Wer nicht wählen darf, schießt eben.“
„Aber eine blutige Revolution darf es einfach nicht geben!“
„Schön, dann eben keine Revolution“, sagte Jason, stand auf und wischte sich angewidert die Hände ab. „Wie wäre es mit einem anderen Namen? Was hältst du von einem Gefangenenausbruch? Nein, das gefällt dir bestimmt auch nicht. Jetzt habe ich den richtigen Namen — Befreiung! Wir werden diese armen Menschen aus ihren Ketten befreien und ihrem Sklavendasein ein Ende setzen. Der kleine Haken, daß die d’zertanoj die Sklaven als ihr Eigentum betrachten und im Verlauf der Befreiung zu Schaden kommen könnten, dürfte dich eigentlich nicht stören. Schließt du dich also der Befreiungsaktion an?“
„Es ist und bleibt eine Revolution.“
„Du kannst es nennen, wie du willst!“ schrie Jason ihn an. „Entweder machst du mit — oder du bleibst hier, wenn wir fliehen. Das verspreche ich dir.“ Er ging an den Herd und ließ sich von Ijale einen Teller Suppe geben.
„Ich kann nicht… ich kann einfach nicht…“, murmelte Mikah vor sich hin, während er auf seinen Teller starrte, als habe er eine Wahrsagerkugel vor sich. Jason wandte ihm den Rücken zu.
„Sieh dich vor, damit du nicht wie er endest“, warnte er Ijale und wies mit dem Löffel über die Schulter. „Die Aussichten dafür sind allerdings gering, denn schließlich stammst du aus einem Volk, das mit beiden Füßen fest auf der Erde steht. Oder im Grab, um es genauer auszudrücken. Ihr seht nur Tatsachen, aber dieser verrückte Vogel denkt in Abstraktionen von Abstraktionen, je unwahrscheinlicher, desto besser. Ich wette, daß er sich sogar darüber Sorgen macht, wie viele Engel auf einem Stecknadelkopf tanzen können.“
„Ich mache mir deswegen keine Sorgen“, warf Mikah beleidigt ein. „Aber ich denke gelegentlich darüber nach. Probleme dieser Art kann man nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun.“
„Siehst du?“
Ijale nickte. „Wenn er unrecht hat, und ich unrecht habe — dann mußt du recht haben.“ Sie nickte nochmals und schien mit dieser Überlegung sehr zufrieden zu sein.
„Vielen Dank“, antwortete Jason lächelnd. „Aber das stimmt auch. Ich bin keineswegs unfehlbar, aber ich kann Tatsachen von Abstraktionen unterscheiden und weiß besser als ihr, wie man mit schwierigen Situationen fertig wird.“ Er klopfte sich selbst auf die Schulter. „Das Treffen der Jason-Fans ist hiermit für heute beendet.“
„Arroganter Lümmel!“ rief Mikah.
„Selbst einer.“
„Hochmut kommt vor dem Fall! Du bist ein böser Antichrist…“
„Ausgezeichnet.“
„… und ich bedaure, daß ich jemals auch nur für eine Sekunde in Erwägung gezogen habe, dir zu helfen, während du sündigst. Ich beklage die Schwachheit meiner Seele, weil ich der Versuchung nicht widerstanden habe. Das bekümmert mich, aber ich muß trotzdem meine Pflicht tun.“ Er schlug mit der Faust gegen die Tür und rief: „Wache! Wache!“
Jason ließ seinen Teller fallen, wollte aufspringen, rutschte aber in der verschütteten Suppe aus und fiel zu Boden. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, klirrten die Riegel vor der Tür. Wenn er Mikah erreichen konnte, bevor die Tür geöffnet wurde, konnte er ihn vielleicht noch zum Schweigen bringen, damit dieser Idiot den angerichteten Schaden nicht noch vergrößerte.
Zu spät. Narsisi streckte seinen Kopf durch die Tür und blinzelte schläfrig; Mikah nahm eine dramatische Pose ein und wies anklagend auf Jason. „Nimm den Mann fest. Ich klage ihn an, eine Revolution vorbereitet zu haben!“
Jason blieb stehen, machte auf dem Absatz kehrt und rannte zu dem Sack hinüber, in dem er sein persönliches Eigentum aufbewahrte. Er suchte darin herum und wühlte einen Kupfertreibhammer heraus, dessen Kopf aus Blei bestand.
„Selbst Verräter!“ rief Jason Mikah zu und ging auf Narsisi los, der noch immer zu überlegen schien, was er nun tun solle. Der junge Mann dachte vielleicht etwas langsam, aber seine Reflexe waren jedenfalls in bester Ordnung. Er riß den Schild hoch, fing Jasons Schlag damit ab und holte selbst mit seiner Keule aus. Der Hieb traf Jason auf den Handrücken; die betäubten Finger ließen den Hammer fallen.
„Kommt beide mit“, befahl Narsisi. „Mein Vater muß entscheiden, was geschehen soll.“ Er schob die beiden Männer vor sich her, nachdem er die Tür wieder verriegelt hatte, und trieb sie den Gang entlang. Sie schlurften in ihren Fußeisen dahin; Mikah mit stolz erhobenem Kopf, Jason dagegen zähneknirschend und mit geballten Fäusten.
Edipon begriff sofort, was sich ereignet haben mußte, denn er wartete nicht einmal, bis Narsisi berichtet hatte.