„Was machst du da?“ keuchte der andere. „Sie werden uns sehen, werden uns umbringen — geflohene Sklaven…“
„Laß das meine Sorge sein, Snarbi, dann brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Von hier aus ist der Lichtschein nicht sichtbar — dafür habe ich schon gesorgt, als ich diesen Platz hier ausgesucht habe. Und jetzt müssen wir tüchtig arbeiten, bevor wir die Flucht fortsetzen können — wir müssen einen caro bauen.“
Sie brauchten nicht von Anfang an zu beginnen, aber trotzdem hatte Jason nicht ganz unrecht gehabt. Die zuletzt reparierte und verbesserte Dampfmaschine stand noch auf dem Teststand, womit Jason kaum noch zu rechnen gewagt hatte, weil er am Tag zuvor Mikah die ganze Arbeit überlassen hatte. Nach einer Stunde harter Arbeit hatte Jason den Teststand so weit verwandelt, daß er jetzt einem dreirädrigen, steuerbaren, dampfgetriebenen Fahrzeug ähnlich sah, das auf Stützen ruhte. Genau das hatte Jason beabsichtigt, als er die Konstruktion entwarf. Die Stützen ließen sich ebenso rasch entfernen, wie die Räder angeschraubt worden waren, so daß jetzt ein caro vor ihnen stand, der vollkommen betriebsbereit war.
Snarbi schleppte die Tonkrüge mit Öl, Wasser und Treibstoff heran, während Jason die Tanks füllte. Er entzündete das Feuer unter dem Kessel und belud das Fahrzeug mit verschiedenen Werkzeugen und einem Vorrat an krenoj, die er von seinen Tagesrationen abgezweigt hatte. Das alles brauchte eine gewisse Zeit; als die Vorbereitungen getroffen waren, blieb Jason nur noch eine Stunde bis zum Morgengrauen, in der er seine Entscheidung treffen mußte.
Er wollte Ijale nicht zurücklassen, aber wenn er sie holte, konnte er Mikah nicht gut abweisen. Schließlich hatte der Mann ihm einmal das Leben gerettet, obwohl er später eine Dummheit nach der anderen begangen hatte. Jason wußte, daß er seinem Lebensretter zu Dank verpflichtet war, überlegte sich aber, wieviel er Mikah noch schuldete, falls er ihm überhaupt noch etwas schuldete. Vielleicht ein letztesmal…
„Paß auf die Maschine auf — ich komme so schnell wie möglich wieder zurück“, sagte er zu Snarbi und sprang von dem Fahrzeug herab, um seine Waffen aufzunehmen.
„Was soll ich? Hier bei dieser Teufelsmaschine bleiben? Das ist unmöglich! Vielleicht spuckt sie plötzlich Feuer und verbrennt mich!“
„Benimm dich gefälligst wie ein Mann, Snarbi! Dieser fahrbare Schrotthaufen hier ist von Menschen hergestellt und verbessert worden — Dämonen haben nichts damit zu tun gehabt. Er verbrennt Öl, damit Dampf entsteht, der die Räder bewegt, mit deren Hilfe wir uns fortbewegen. Mehr brauchst du über Dampfmaschinen nicht zu wissen. Vielleicht verstehst du etwas anderes besser — ich, nur ich, kann dich in Sicherheit bringen. Deshalb bleibst du schön hier und tust, was ich dir sage, sonst schlage ich dir den Schädel ein. Hast du das begriffen?“
Snarbi nickte schweigend.
„Ausgezeichnet. Du brauchst nur hier zu sitzen und die kleine grüne Scheibe zu beobachten — siehst du sie? Wenn sie nach oben schnellt, bevor ich zurückkomme, drehst du diese Kurbel in diese Richtung. Ist das klar? Sonst spricht nämlich das Sicherheitsventil an und weckt die ganze Stadt, während der kostbare Druck verlorengeht.“
Jason ging an dem noch immer bewußtlosen Posten vorbei auf die Raffineriegebäude zu. Statt einer Keule war er mit einem Schwert bewaffnet, das er trotz der strengen Bewachung geschmiedet hatte. Die Posten hatten alles kontrolliert, was er abends mit in sein Zimmer nahm, um noch daran zu arbeiten, aber niemand hatte sich um die Dinge gekümmert, die er tagsüber herstellte, weil die meisten ohnehin völlig unverständlich erschienen. Diese Auffassung hatte sich als nützlich erwiesen, denn Jason trug nicht nur sein Schwert, sondern auch einen Beutel voller Molotails in der Hand — eine simple Angriffswaffe, deren Ursprung sich in der Vorgeschichte verlor. Kleine Tonkrüge mit leicht entflammbarem Inhalt wurden mit einem Lappen umhüllt, der mit der gleichen Flüssigkeit getränkt war. Jason hatte die Molotails noch nie ausprobieren können und hoffte nun, daß sie ihren Zweck erfüllen würden, wenn die Zeit dafür gekommen war. Vor dem Gebrauch zündete man die Umhüllung an und warf erst dann den Krug, der beim Aufprall zerplatzte, wodurch der Inhalt in Flammen aufging. Wenigstens theoretisch.
Der Rückweg fiel Jason ebenso leicht wie der Hinweg, aber Jason bedauerte diese Tatsache einen Augenblick lang. Im Unterbewußtsein hatte er bereits gehofft, er würde eine Entschuldigung dafür finden, daß er die beiden anderen doch nicht befreite, denn schließlich riskierte er dabei seinen eigenen Hals. Dann zuckte er aber doch mit den Schultern und schlich um die Ecke des Gebäudes, in dem er untergebracht gewesen war, um zu sehen, ob dort ein Posten stand. Dort lehnte tatsächlich einer an der Wand und schien zu dösen, aber irgend etwas erweckte seine Aufmerksamkeit — wahrscheinlich der Gestank, der von dem Feuerwasser in Jasons Molotails ausging. Der Posten sah Jason, bevor Jason sich zurückziehen konnte.
„Wer da?“ rief der Posten und kam herbeigerannt.
Jason warf sich auf den Mann. Die Klinge fuhr unter den Schild — der andere hatte offenbar noch nie ein Schwert gesehen — und traf den Posten an der Kehle. Der Mann sank mit einem Aufschrei in sich zusammen und alarmierte damit andere im Innern des Gebäudes. Jason setzte über den Posten hinweg, schob die Riegel an der Tür zur Seite und stürzte in den Raum.
„Kommt schnell, wir fliehen!“ rief er den beiden zu und stieß die verwirrte Ijale vor sich her. Dann versetzte er Mikah einen gewaltigen Fußtritt, so daß der Mann förmlich durch die Tür flog, wo er gegen Edipon prallte, der mit seiner Keule herangekommen war. Jason sprang über die beiden hinweg, schlug Edipon den Schwertknauf über den Kopf und zog Mikah hinter sich hoch.
„Lauft so schnell wie möglich zu unserem Arbeitsplatz hinaus!“ befahl er seinen verständnislos dreinblickenden Begleitern. „Ich habe dort einen caro stehen, in dem wir fliehen können.“ Endlich setzten die beiden sich in Bewegung.
Hinter ihnen ertönten laute Rufe, als eine Gruppe d’zertanoj am anderen Ende des Ganges erschien. Jason griff nach der an der Decke hängenden Öllampe, verbrannte sich daran die Hand und setzte den ersten Molotail an der offenen Flamme in Brand. Die Umhüllung flammte auf, und Jason warf den herbeistürmenden Soldaten den Krug entgegen, bevor er sich noch mehr verbrannte. Der Molotail zerschellte an der Wand und zerbrach; die brennbare Flüssigkeit spritzte auseinander, aber die Flamme erlosch.
Jason fluchte laut und griff nach dem zweiten Molotail, denn wenn auch dieser versagte, war er ein toter Mann. Die d’zertanoj zögerten einen Augenblick unentschlossen, bis sie ihre Scheu vor dem Feuerwasser überwunden hatten, das in großen Lachen auf dem Fußboden stand. In diesem Moment warf Jason die zweite Bombe. Sie zerschellte wie vorgesehen und erfüllte die Erwartungen ihres Herstellers, indem sie auch den ersten Molotail entzündete und den Gang mit einem Feuerwall abriegelte. Jason hielt die Hand vor die Lampe, damit die Flamme nicht erlosch, und rannte hinter Mikah und Ijale her.
Bisher war außerhalb des Gebäudes noch kein Alarm gegeben worden. Jason verriegelte die Tür von der Außenseite; bis sie wieder geöffnet worden war, hatten sie bestimmt die Stadt bereits hinter sich gelassen. Dann ertönte aus der Wüste ein schriller anhaltender Pfiff.
„Jetzt hat er es glücklich doch geschafft“, stöhnte Jason. „Das war das Sicherheitsventil an der Dampfmaschine!“
Er prallte gegen Mikah und Ijale, die wie blinde Hühner in der Dunkelheit umherliefen, versetzte Mikah noch einen Tritt und führte sie zu der Stelle, wo der caro wartete.
Daß sie unverletzt entkamen, verdankten sie vor allem der völligen Verwirrung, die überall herrschte. Die d’zertanoj schienen das ganze für einen noch nie dagewesenen Nachtangriff zu halten und wußten offensichtlich nicht recht, was sie tun sollten. Das in Brand gesetzte Gebäude und der bewußtlose Edipon, der aus den Flammen getragen wurde, erhöhten die allgemeine Verwirrung noch mehr. Sämtliche d’zertanoj waren durch den schrillen Pfiff des Sicherheitsventils geweckt worden, das noch immer unersetzlichen Dampf in die Nachtluft abließ.