»Komm näher!« lud sie mich ein.
Ich schob den Stoff beiseite und ließ ihn hinter mir zurückfallen. Dann stand ich vor ihr in ihrem Privatgemach, nur ein paar Schritte von ihr entfernt. Auf dem Boden lagen Kissen und Seidenbahnen. Ich stand aufrecht da, mit verschränkten Armen, und betrachtete sie.
Die Luft roch eindeutig nach Parfüm.
»Du hast meine Erlaubnis zu knien«, sagte sie.
Ich sah sie bloß an.
»Draußen stehen genug Wachen«, erinnerte sie mich.
Ich kniete nieder und legte die Hände auf die Oberschenkel.
»Du hast breite Schultern«, sagte sie, »eine schmale Taille, kräftige Oberschenkel. Deine Hände sind groß und stark.«
Ich schwieg.
»Du bist ein großer, kräftiger, gutaussehender Bursche«, sagte sie. »Du hast etwas von einem Tier an dir. Wenn du nicht unter meiner völligen Herrschaft ständest, würde ich mich vielleicht etwas unbehaglich fühlen.«
»Du siehst mich im Nachteil«, sagte ich, »da du verschleiert und vollständig bekleidet bist.«
»Wenigstens riechst du nicht mehr nach Fisch.«
»Das ist richtig«, sagte ich.
»So haben wir dich und deine Kameraden aus Port Kar herausgeschmuggelt«, sagte sie. »Wir haben euch einen nach dem anderen betäubt zum Boot gebracht. Dort haben wir euch ausgezogen und an die Kette gelegt. Dann wurde jeder von euch in ein Faß mit gesalzenem Parsitfisch gesteckt; über euren Köpfen hatten die Fässer falsche Böden, die ebenfalls mit Parsits bedeckt wurden. Winzige Löcher in den Fässern sorgten für Atemluft. Dann wurden die Fässer versiegelt.«
»Die Entführung war schlau eingefädelt und ging schnell vonstatten«, bemerkte ich.
»Vielen Dank.«
»Bist du eine Sklavenhändlerin?«
»Nein«, lachte sie. »Obwohl ich mir vorstellen könnte, daß ich in diesem Beruf sehr erfolgreich gewesen wäre.«
Die meisten Sklavenhändlerinnen machen nicht bei der Sklavenjagd mit. Es ist einfach zu gefährlich für sie. Außerdem besteht immer die Gefahr, daß ihre Männer sie einfach zu dem Fang hinzufügen. Deshalb haben sich die meisten Sklavenhändlerinnen in den Städten niedergelassen, wo sie ihre eigenen Häuser führen. Hier kaufen und verkaufen sie Sklaven oder vermieten sie, bilden sie aus und dergleichen mehr. Statistisch gesehen gibt es auf Gor nur wenige Sklavenhändlerinnen. Die meisten goreanischen Frauen sind sehr attraktiv, und die meisten goreanischen Männer sind sehr stark. Deshalb ist es in einem Geschäft wie dem Sklavenhandel nicht ungewöhnlich, daß die Sklavenhändlerinnen früher oder später den Kragen am eigenen Hals spüren. Dann sind auch sie der Peitsche ausgeliefert.
»Ich bin nur die demütige Herrin eines kleinen Arbeitssklaventrupps«, sagte sie.
»Es ist doch sicherlich ungewöhnlich für eine Person in deinem Beruf, sich auf diese Weise Arbeitskräfte zu besorgen«, sagte ich.
»Das ist billiger, als sie zu kaufen.«
»Das ist zweifellos richtig«, mußte ich zugeben. Ich glaubte keinen Augenblick lang, daß diese Frau tatsächlich die Herrin eines Arbeitssklaventrupps war. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens üben nur sehr wenige Frauen eine derartige Tätigkeit aus. Zweitens schien sie nicht darin ausgebildet zu sein, mit Männern umzugehen. Zum Beispiel hätte ich sie in dieser Situation mühelos angreifen und töten oder zu meiner Gefangenen machen können, um sie als Faustpfand für eine Flucht zu benutzen. Drittens schien sie nicht die Härte einer Frau zu haben, die sich in einer solchen Stellung behauptet. Das Zelt zeigte in keiner Weise den Geschmack einer derartigen Frau. Ihre Kleider enthüllten Eitelkeit und eine Vorliebe für überschwenglichen Luxus, was auf einen Hang zur Zügellosigkeit und Prunksucht schließen ließ, ein ebenfalls unwahrscheinlicher Wesenszug für eine solche Frau. Es gab nur fünf Wächter, was eindeutig zu wenig war, um einen normalen Arbeitstrupp zu betreuen, allerdings nicht wegen des Zahlenverhältnisses, sondern der Notwendigkeit, Nachtwachen aufzustellen.
Eigentlich hatte sie auch gar keinen richtigen Arbeitstrupp, sondern nur fünfzehn Männer, die sie in Port Kar aufgegriffen hatte. Ein Arbeitssklaventrupp besteht gewöhnlich aus fünfzig bis hundert Männern; einige umfassen sogar fünfhundert bis tausend Männer. Wäre sie tatsächlich die Herrin eines solchen Trupps gewesen, hätten wir ihn nicht gebildet, sondern nur verstärkt. Wir hatten nicht einmal die nötige Ausrüstung, Dinge wie Schaufeln, Hämmer und Spitzhacken.
»Womit hat man uns betäubt?« fragte ich.
»Tassapulver«, sagte sie. »Ich habe genug davon in die Botas meiner Männer gefüllt, um damit ein Kailiauk zu betäuben.«
»Wie lange waren wir bewußtlos?«
»Fünf Tage, in denen wir euch mit Schläuchen künstlich ernährt haben – mit tassaversetzter Suppe.«
»Und wo sind wir?« fragte ich. Ich wußte es, aber ich wollte ihre Antwort hören.
»Ich finde es amüsanter, wenn ich dich darüber im Ungewissen lasse«, sagte sie.
»Wie du wünschst«, erwiderte ich. Von unserem Lager aus sah man in der Ferne das Sardargebirge. Es war unverwechselbar. Ich hielt diese Frau für eine Agentin der Priesterkönige. Doch anscheinend hatte sie mich nicht erkannt. Ich war nur einer von fünfzehn Gefangenen. Falls sie tatsächlich Agentin der Priesterkönige war, entbehrte es nicht der Ironie, daß sie nicht merkte, wer da an ihre Kette gefesselt war.
Daß wir uns so nahe bei den Sardar befanden, und das nach angeblichen fünf Tagen der Bewußtlosigkeit und zwei Tagen des Marsches, in denen wir ihren Wagen gezogen hatten, war ein weiteres Indiz dafür, daß sie bestimmt nicht die Herrin eines Arbeitstrupps war. In so kurzer Zeit wären wir von Port Kar aus niemals so weit gekommen, hätte man uns nicht den größten Teil des Weges mit Tarns transportiert, vermutlich in Tarnkörben. Gewöhnliche Arbeiter werden nur selten auf solche Weise transportiert. Vermutlich hatte man uns vor zwei Tagen nur aus dem Grund geweckt, daß wir in der Nähe der Sardar tatsächlich den Anschein von Arbeitssklaven erwecken sollten. Diese Frau mußte für die Priesterkönige arbeiten. Andererseits schien sie nicht zu wissen, wer ich war.
Und wenn sie doch nicht in den Diensten der Priesterkönige stand? Vielleicht war sie ja tatsächlich eine Sklavenhändlerin und hatte vor, uns auf dem Jahrmarkt von En’Kara zu verkaufen.
Ich entschied, sie nicht zu überwältigen, zumindest im Augenblick noch nicht.
»Wie heißt du?« fragte sie.
»Man hat mich schon alles mögliche genannt zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten.«
»Ah ja«, sagte sie. »Ich kenne euch Kerle aus Port Kar. Ihr seid alle Schurken, Piraten, Diebe und Sklavenhändler. Ich glaube, ich werde dich… Brinlar nennen.«
»Und wie soll ich dich ansprechen?« fragte ich.
»Als ›Herrin‹!«
»Wie kommt es, daß du in Port Kar zugeschlagen hast?«
»Ich war geschäftlich in Port Kar«, sagte sie, »und daß gerade Karneval war, hat die Sache vereinfacht.«
»Ich hatte angenommen, du kämst aus Tyros oder Cos«, sagte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
Jetzt war ich sicherer als je zuvor, daß sie Agentin der Priesterkönige war.
»Damit keine Mißverständnisse aufkommen«, fuhr sie fort, »meine Sympathien liegen bei Cos und Tyros, den wichtigsten Metropolen der Aufklärung und Zivilisation des Thassas. Insofern ist die Wahl meines Jagdortes auf amüsante Weise sehr passend, eine Wahl, die der Fang wunderbarer Männer, den ich dort gemacht habe, eindeutig rechtfertigt.« Sie sah mich an. »Hättest du gern einen Lumpen, um deine Lenden zu bedecken?«
»Was immer du wünschst«, sagte ich.
Sie lachte,
»Werden ich und meine Mitgefangenen zu Sklaven gemacht?«
»Das wäre doch sicherlich richtig so, oder nicht?«
»Natürlich«, sagte ich.
»Das wird vermutlich geschehen, irgendwo, irgendwann; wenn ich den Augenblick für gekommen halte, an einem Ort meiner Wahl.«