»Ich verstehe«, sagte sie ärgerlich. »Das alles ist bloß ein Plan, der dir die Flucht ermöglichen soll.«
»Ragnars Gasthaus befindet sich außerhalb des Jahrmarkts«, sagte ich. »Wie wäre es damit, wenn ich ihn dazu bringen könnte, dorthin zu kommen, allein?«
»Wie soll das geschehen?« fragte Yanina begierig.
»Ich würde deine Hilfe brauchen.«
»Ja, und?«
»Man sagt, daß er Frauen sehr begehrenswert findet.«
»Ja«, sagte sie. »Ja!«
»Ich könnte zu ihm gehen und ihm sagen, daß ich als Bote einer reichen freien Frau komme, die sich sehr von ihm angezogen fühlt und das Verlangen hat, ihm zu dienen, sogar als Sklavin.«
»Ich verstehe.«
»Glaubst du, du würdest es schaffen, dich als einfache Sklavin zu verkleiden?«
»Ich lege keinen Kragen an!«
»Natürlich nicht«, sagte ich. »Mein Plan beruht ja darauf, daß die Herrin eine freie Frau ist.«
»Du würdest ihn also in Ragnars Gasthaus locken«, sagte sie, »angeblich zu einem geheimen Stelldichein.«
»Meine Herrin begreift den Plan schnell.«
»Am besten könnte man ihn in einem Alkoven überwältigen, in dem ich als Köder liege«, sagte Yanina nachdenklich.
»Eine glänzende Idee«, gestand ich ihr zu.
»Er betritt den Alkoven, legt seine Waffen beiseite«, dachte sie weiter laut nach. »Dann kommen meine Männer und stürzen sich in dem engen Raum auf ihn.«
»Ich beglückwünsche meine Herrin zu ihrer Klugheit«, sagte ich.
Yanina ballte die kleinen Fäuste. »Welch ein Triumph!« rief sie. »Welch ein Sieg! Bosk aus Port Kar in meine Ketten zu legen! Und ihn dann fast beiläufig, ohne Aufhebens, Flaminius zu übergeben!«
Flaminius war, vermutete ich, der Name des Fremden, der uns eben verlassen hatte. Bei dem Namen dachte ich sofort an die Stadt Ar oder einen ihrer Verbündeten. Ich hatte einmal einen Arzt namens Flaminius gekannt, der in Ar gelebt hatte. Natürlich hatten die beiden nichts miteinander gemeinsam. Es gibt auf Gor viele Namen, die weit verbreitet sind, wie vermutlich in den meisten Zivilisation. Mein Name Tarl kommt auf Gor häufig vor, vor allen in den nördlichen Gebieten wie Torvaldsland und seiner Umgebung, Bei Sklavennamen findet man dieselben Namen noch häufiger. Gewöhnliche Sklavennamen auf Gor sind zum Beispiel Tuka, Lana und Lita. Es gibt möglicherweise Hunderte von Mädchen, die auf diese und andere Namen hören, die genauso süß klingen. Übrigens werden auf Gor irdische Mädchennamen oft als Sklavennamen benutzt, wie wohl bekannt ist.
»Warum sollte er auf dich hören?« fragte Yanina plötzlich und sah auf mich herab.
»Ich bin davon überzeugt, daß er mir vertraut«, sagte ich.
»Wirst du es schaffen?«
»Du darfst nicht vergessen, daß sich Bosk möglicherweise gar nicht auf dem Jahrmarkt aufhält.«
»Das ist wahr«, bemerkte sie ärgerlich. »Oder er ist dort, und du verpaßt ihn.«
»Wenn er dort ist, werde ich ihn finden«, sagte ich.
»Wieso?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kenne ihn. Außerdem kenne ich ein paar seiner Lieblingsorte.«
»Ausgezeichnet!« sagte Yanina. »Es könnte gelingen!« Sie musterte mich. »Wenn ich dich aus meiner Sichtweite lasse, dann besser in kurzen Ketten. Dann wird es leichter sein, dich wieder einzufangen.«
»In solchen Ketten könnte ich mich kaum bewegen«, sagte ich. »Es würde meine Nachforschungen auf dem Jahrmarkt ziemlich unmöglich machen.«
»Dann müssen dich zwei meiner Männer im Auge behalten«, sagte sie.
»Ich versichere dir, dieser Bosk ist ein aufmerksamer Bursche. Ihm entginge es bestimmt nicht, wenn zwei Männer in meiner Umgebung herumlungern.«
»Dann gehst du eben in Ketten, Brinlar!« sagte Yanina ärgerlich.
»Wie du wünschst, aber würde es Bosk nicht verdächtig vorkommen, daß sich ihm ein mit guten Absichten kommender Gefährte aus Port Kar in Ketten nähert?«
»Vermutlich«, stimmte sie mir gereizt zu.
»Außerdem wäre es sicher schwierig, einige der Orte, wo sich Bosk aufhält, in Ketten zu betreten. Man ließe mich als Sklaven gar nicht hinein.«
»Wenn ich dir diesen Dienst erlaube«, fragte Yanina, »wie soll deine Belohnung aussehen?«
»Vielleicht könnte meine Herrin darüber nachdenken, mir die Freiheit zu schenken.«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich habe mir fest vorgenommen, dich zusammen mit den anderen zu versklaven. Aber wenn du mir diesen Dienst erfüllst, könntest du vielleicht Gefallen in meinen Augen finden. Möglicherweise wäre ich sogar versucht, dir größere Nachsicht entgegenzubringen, als du sonst verdient hättest. Unter Umständen behalte ich dich sogar als persönlichen Zeltsklaven. Vielleicht gebe ich dir sogar etwas Hübsches zum Anziehen.«
»Meine Herrin ist großzügig«, sagte ich.
»Wie kann ich sicher sein, daß du, gleichgültig, ob du nun erfolgreich warst oder nicht, auch zurückkommst?«
»Ich gebe dir mein Wort als freier Mann!«
»Ich glaube, da fällt mir etwas Besseres ein«, sagte Yanina. »Falls du nicht zurückkehrst, werden deine vierzehn Gefährten einer nach dem anderen getötet, in jeder Ahn einer.«
»Ich kehre zurück«, sagte ich.
»Die Kunde von deinem Verrat wird Port Kar erreichen«, fügte sie hinzu. »Man wird dich jagen. Man wird Sleen auf deine Spur hetzen. Auf dem Jahrmarkt wird deine Beschreibung zirkulieren, und zwar als entflohener Sklave.«
»Meine Herrin hat mir viele Gründe gegeben, um zurückzukehren.«
»Das ist richtig.«
»Aber in ihrer Bescheidenheit hat sie einen bedeutsamen Anreiz übersehen«, sagte ich.
»Was denn?«
»Daß ich noch einmal ihre Schönheit sehen möchte.«
»Brinlar, du bist ein Schmeichler!« lachte sie. »Aber du bist nicht der erste Mann, der sich im Netz meiner Schönheit verfangen hat. Ich habe viele in den Untergang gelockt, wenn mir der Sinn danach stand.«
»Meine Herrin ist so schön, daß sie beinahe eine Sklavin sein könnte.«
»Das stimmt.«
»Ich werde morgen früh zum Jahrmarkt gehen und zusehen, daß ich Bosk aus Port Kar finde.«
»Solltest du ihn aufspüren, dann mach mit ihm aus, daß er zur achtzehnten Ahn in Ragnars Gasthaus eintrifft. In der Zwischenzeit werde ich Flaminius eine Nachricht schicken, daß er mich dort in der neunzehnten Ahn treffen soll. Das läßt mir genug Zeit, daß ich Bosk gefangennehmen, ihn ausziehen, in Ketten legen und mein schönstes Gewand anlegen kann, um Flaminius willkommen zu heißen, als wäre nichts geschehen.«
5
Ich pochte an die Tür von Ragnars Gasthaus an der alten Weststraße, das nicht länger geöffnet war. Es war eines von mehreren Gebäuden, die nun ebenfalls verlassen und dunkel waren. Hinter einem der mit Brettern verrammelten Fenster regte sich etwas. Es war kurz nach der siebzehnten Ahn. Die Tür öffnete sich einen Spalt.
»Es ist Brinlar«, sagte eine Stimme, die einem von Lady Yaninas Männern gehörte. »Ich hätte nicht gedacht, daß du zurückkommst«, meinte er.
»Er ist ein Narr«, sagte ein zweiter Mann.
»Er fürchtet die Sleen«, sagte ein dritter.
»Laßt ihn herein! Laßt ihn herein!« rief Lady Yanina.
Man ließ mich in die dunkle Eingangshalle des Gasthauses eintreten, und die Tür schloß sich hinter mir.
»Hattest du Erfolg?« fragte Yanina begierig.
»Ja.«
»Wunderbar!« flüsterte sie.
»Er fühlt sich geschmeichelt«, berichtete ich. »Er kann es kaum erwarten, sich mit dir zu treffen. Ihn hat besonders beeindruckt, daß du ihn so anziehend findest und ihm, obwohl du eine freie Frau ist, als Sklavin dienen willst!«
»Ausgezeichnet!« sagte sie. »Dieser einfältige Narr!«
»Er wird zur achtzehnten Ahn hier sein.«
»Ausgezeichnet, Brinlar«, sagte sie. »Ausgezeichnet. Alles läuft nach Plan!« Als sich meine Augen der Dunkelheit angepaßt hatten, sah ich, daß sich Yaninas fünf Wächter um sie versammelt hatten – wie ich es vermutet hatte. Auf dem Rückweg vom Jahrmarkt hatte ich in unserem Lager Halt gemacht, um ein paar Dinge mitzunehmen, und da waren die Wächter fort gewesen. Man hatte die Arbeitssklaven mit schweren Ketten an zwei Bäume gefesselt. Die Gefangenen waren für Yanina unwichtig geworden; sie wollte alle ihre Kämpfer um sich haben. Wie ich sah, trug sie einen Morgenmantel. Auf den Schleier hatte sie verzichtet.