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»Du sollst sie auspeitschen!« verlangte die Frau.

»Soll ich das tun?« wandte sich Boots ans Publikum.

»Nein!« rief ein Mann.

»Macht weiter«, rief ein anderer.

»Hast du eine Erlaubnis für diese Vorstellung?« fragte die Schriftgelehrte.

»Habt Gnade mit mir, Lady«, sagte Boots. »Es sind harte Zeiten für mich. Erst gestern mußte ich meine schöne Kurtisane verkaufen, nur um die Rechnungen bezahlen zu können.«

Es ist schwierig, eine derartige goreanische Theatertruppe ohne schöne Kurtisane zu führen. In dieser Art von Theater stellt sie einen der wichtigsten Charaktere dar; sie tritt in etwa fünfzig bis sechzig Prozent der Farcen auf, die das Repertoire einer solchen Truppe ausmachen. Es wäre genauso, wie ohne komischen Kaufmann, Brigella, Bina, Lecchio oder Chino auskommen zu wollen. Boots’ Schwierigkeiten waren mir ja hinreichend bekannt.

»Hast du eine Erlaubnis?« Die Schriftgelehrte ließ nicht locker.

»Letztes Jahr hatte ich zugegebenermaßen keine Erlaubnis«, sagte Boots. »Aber das würde ich auf dem Jahrmarkt von Sardar kein zweites Mal wagen. Ich habe meine Schulden bezahlt. Tatsächlich kam es mir so vor, als hätten sich, kaum hatte ich die erste Schuld bezahlt, tausend Gläubiger mit ihren Wächtern im Rücken auf mich gestürzt, wie Jards auf einen Braten. Vor den Spitzen ihrer Schwerter lernte ich die Befriedigung kennen und schätzen, die das Streben nach peinlich genauer Ehrlichkeit mit sich bringt. Und wenn alles gesagt und getan ist, ist die Armut ein zweifellos geringer Preis für eine so wunderbare Sache wie die Läuterung des Charakters.«

»Also hast du eine Erlaubnis?« beharrte die Frau.

»Ich mußte meine schöne Kurtisane verkaufen, um eine zu erwerben«, sagte Boots.

»Dann werde ich veranlassen, daß man sie dir entzieht«, sagte die Frau.

»Gut«, meinte einer der Zuschauer. »Geh und kümmere dich darum.«

»Spielt endlich weiter«, rief ein anderer.

»Habt Mitleid, meine Lady«, bettelte Boots.

»Zieht die Schriftgelehrte aus und gebt ihr die Peitsche zu schmecken!« sagte ein Mann.

»Macht sie zur Sklavin!« knurrte ein dritter.

»Ruhe, ihr Abschaum!« rief die Frau und wandte sich der Menge zu.

»Abschaum?« wiederholte ein Mann. Das Publikum bestand offensichtlich hauptsächlich aus freien Männern.

»Besorgt ihr einen Kragen«, sagte jemand. »Dann wird sie sich schnell ändern.«

»Ich bin Telitsia, eine Lady aus Asperiche«, sagte die Schriftgelehrte. »Ich bin eine freie Frau! Ich habe keine Angst vor euch!«

Ich mußte lächeln. Natürlich konnte ihr nichts geschehen, da sie sich auf dem Gebiet des Sardar-Jahrmarkts aufhielt. Wie mutig Frauen unter solchen Bedingungen sein können! Ich fragte mich, ob ihnen eigentlich bewußt war, wie künstlich, zerbrechlich und widerrufbar solche Regeln waren. Verwechselten sie sie tatsächlich mit Mauern aus Stein und Reihen aus Stahl? Begriffen sie den Unterschied zwischen den Linien und Farben auf Landkarten und der Realität des tatsächlichen Geländes? Bis zu welchem Ausmaß verstanden sie die theoretische und mythische Natur jener Festungen, in denen sie Schutz suchten, von dessen Mauern aus sie versuchten, der Welt ihren Willen aufzuzwingen? Begriffen sie nicht, daß eines Tages ein Mann vielleicht sagen würde: ›Diese Festung existiert nicht wirklich‹? Dann würden sie, nachdem die Geduld der Männer erschöpft und das Spiel vorüber war, sich auf dem Platz in der Natur wiederfinden, der ihnen zukam, nämlich zu Knien ihres Herrn! Asperiche ist eine freie Insel im Thassa. Sie liegt südlich von Teletus und Tabor und wird von Kaufleuten regiert.

»Wir wollen die Vorstellung zu Ende sehen«, sagte ein Mann gereizt.

»Ja!« riefen andere.

»Mit deiner Erlaubnis, Lady Telitsia?« fragte Boots höflich die hochmütige, stolze, eitle, verschleierte, in Blau gekleidete Frau, die in der ersten Reihe am Bühnenrand stand.

»Du darfst weitermachen«, sagte sie.

»Aber du könntest das folgende anstößig finden«, warnte Boote.

»Das wird ohne jeden Zweifel so sein«, sagte Lady Telitsia. »Und keine Angst, ich werde das bei meiner Beschwerde vor dem zuständigen Magistrat zur Sprache bringen.«

»Du willst bleiben?« fragte Boots verblüfft.

»Ja«, antwortete sie. »Aber erwarte keine Münze von mir.«

Ich lächelte. Lady Telitsia war offensichtlich genauso interessiert daran, den Rest des Stücks zu sehen, wie der Rest von uns. Ich fand das bemerkenswert.

»Allein die Ehre deiner Anwesenheit, die Anwesenheit einer freien Dame von Adel, ist schon ein weitaus größerer Lohn, als wir ihn verdienen«, versicherte Boots ihr.

»Was hat er gesagt?« fragte ein Mann.

»Er sagt, daß sie mehr ist, als wir verdienen«, knurrte ein anderer Zuschauer.

»Das stimmt«, lachte der Mann.

»Du darfst weitermachen«, sagte Lady Telitsia von oben herab.

»Vielen Dank, ehrenwerte Lady«, sagte Boots. Dann wandte er sich der Brigella zu. »Mädchen!« fauchte er sie an. Sein Benehmen ihr gegenüber unterschied sich von der Art, wie er die freie Frau behandelt hatte, aber sie war ja auch eine Sklavin. Sie sprang auf die Füße und hielt den Rocksaum wieder bis zum Hals hoch.

»Schamlos!« sagte die Schriftgelehrte.

Brigella sah sich nervös das Publikum an und versuchte herauszufinden, wer an ihr Interesse zeigte. Das hätte jeder der Männer sein können. Dann lächelte sie niedlich und wippte in den Knien. Das machte sie sehr geschickt. Ich glaube, sie hatte in jedem Mann im Publikum den Wunsch entfacht, sie zu besitzen. Sie nahm wieder den Ausdruck köstlicher, damenhafter Bestürzung an.

Boots Tarskstück gab ihr das Zeichen zum Weitermachen und wurde wieder zum lüsternen Kaufmann.

»Wenn ich den Rock hebe, muß ich wohl meine Sittsamkeit einem Fremden enthüllen«, jammerte Brigella ans Publikum gewandt. »Senke ich ihn jedoch, zeige ich ihm das nackte Gesicht, so schamlos wie eine Dirne! Oh, was soll ein armes Mädchen da nur nun?«

»Hör zu, du vermeintlich liebliche Dame«, verkündete Boots. »In meinem Rucksack trage ich die Lösung für dein Problem bei mir.«

»Sagt schon, edler Kaufmann, wie sieht sie aus?« rief Brigella.

»Es ist ein Schleier«, erwiderte er.

»Genau, was ich brauche!« jubelte sie.

»Aber es ist kein gewöhnlicher Schleier.«

»Zeig ihn mir«, bettelte sie.

»Ich weiß nicht, ob du ihn wirst sehen können.«

»Was meinst du damit?«

»Aber nein, natürlich wirst du ihn sehen können, du bist ja schließlich eine freie Frau!«

»Ich verstehe nicht.«

»Der Schleier wurde von den Magiern von Anango gewebt«, verkündete Boots.

»Nicht die Magier von Anango!« rief Brigella entsetzt.

»Doch«, sagte Boots ernst. Wie Asperiche ist Anango eine freie Insel im Thassa, die von Kaufleuten beherrscht wird. Allerdings liegt sie in weiter Ferne, südlich des Äquators, so weit südlich, daß sie für die meisten Goreaner ein entfernter und exotischer Ort ist. Die Dschungel von Anango dienen als Schauplatz verschiedener phantastischer Geschichten, in denen seltsame Völker, geheimnisvolle Pflanzen und Fabeltiere die Hauptrolle spielen. Die Magier von Anango scheinen auf ganz Gor bekannt zu sein – außer auf Anango. Dort hat anscheinend noch niemand von ihnen gehört.

»Das Besondere an diesem Schleier ist folgendes«, erklärte Boots dem Mädchen mit gebührendem Ernst. »Nur freie Personen können ihn sehen.«

»Es wäre also nicht schicklich, ihn vor Sklaven zu tragen.«

»Vielleicht nicht, aber wer stört sich schon daran, was Sklaven denken?«

»Das ist wahr«, sagte sie. »Zeig ihn mir! Zeig ihn mir!«

»Aber ich habe ihn hier, in meiner Hand!«

»Wie schön er ist!« Schallendes Gelächter ertönte. Das unsichtbare Tuch oder der unsichtbare Gegenstand, der alles von einem Stein bis zu einem Schiff sein kann und der nur von Leuten mit bestimmten Fähigkeiten gesehen werden kann, ist ein fester Bestandteil der goreanischen Folklore. Von dieser Geschichte gibt es viele Spielarten.