»Glaubst du ernsthaft, daß alle freie Frauen nicht viel besser als Sklavinnen sind?«
»Ich würde sagen, daß alle Frauen letztlich ziemlich gleich sind«, erwiderte Boots.
»Ich bin eine freie Frau«, sagte sie eisig.
»Vergib mir, meine Lady.«
»Ich werde noch vor Einbruch der Dunkelheit meine Beschwerde beim Magistrat vorgebracht haben, darauf kannst du dich verlassen«, sagte sie. »Außerdem werde ich veranlassen, daß du eine Strafe zahlen mußt und öffentlich ausgepeitscht wirst. Und wenn du das Gelände des Jahrmarkts nicht bis morgen abend verlassen hast, werde ich außerdem dafür sorgen, daß man deine Truppe auflöst und deine Wagen, deine Gewänder, deine Schlampen – eben alles konfisziert!«
»Du willst also meinen Ruin?« fragte Boots.
»Ja!«
»Vielen Dank, gnädige Lady.«
Sie drehte sich auf dem Absatz um, hob das Gewand ein Stück an, damit der Saum nicht durch den Staub schleifte, und ging.
»Es hat den Anschein, als wäre ich ruiniert«, sagte Boots Tarskstück zu mir.
«Vielleicht auch nicht«, erwiderte ich.
»Wie soll ich genug Geld aufbringen, um überhaupt den Jahrmarkt verlassen zu können?« fragte er.
»Verkauf mich, Herr«, sagte Brigella, die noch immer auf der Bühne kniete. Fünf oder sechs Männer standen vor ihr und starrten sie hingerissen an.
»Was wird geboten?« fragte Boots resigniert.
»Zwei Silbertarsk«, sagte ein Mann.
»Zwei?« wiederholte Boots angenehm überrascht.
Das Mädchen stieß einen leisen Freudenschrei aus. Das war ein hoher Preis für eine Frau.
Augenblicke später hatte Brigella in Ketten die Bühne verlassen und eilte begierig ihrem neuen Herrn hinterher, einem breitschultrigen blonden Mann. Sie war für fünf Silbertarsk verkauft worden.
»Ein großartiger Erlös«, gratulierte ich Boots.
Er stand da, ihren Kragen in der Hand. »Ich bin ruiniert«, sagte er mürrisch. »Was soll ich ohne Brigella machen?«
»Davon verstehe ich nichts«, sagte ich. »Aber ich glaube, bei einem anderen deiner Probleme könnte ich dir helfen.«
»Kenne ich dich von irgendwoher?« fragte Boots.
»Wir haben uns vor ein paar Tagen in Port Kar kennengelernt.«
»Ja«, sagte er. »Der Karneval! Aber natürlich! Du bist ein Kapitän, nicht wahr?«
»Manchmal mag das schon zutreffen.«
»Was willst du von mir?« fragte Boots mißtrauisch,
»Keine Angst.« Ich lächelte. »Ich habe keinen Auftrag, dich zu verfolgen, ich treibe auch keine Schulden ein.«
»Ich fürchte«, sagte Boots, »ich stehe tatsächlich in deiner Schuld, und zwar was die fünf Silbertarsk angeht, die du in Port Kar für mich bezahlt hast. Hier sind sie.« Er streckte die Hand mit den fünf Silbertarsk aus, die er eben für Brigella bekommen hatte.
»Es waren sechs, nicht fünf.«
»Oh.«
»Falls ich etwas damit zu tun hatte – das heißt nicht, daß ich es zugebe –, so laß uns einfach von der Annahme ausgehen, daß sie in der Kupferschale lagen. Wie die Münzen, die du nach deinen üblichen Auftritten einsammelst.«
»Aber sechs Silbertarsk!«
»Sieh sie doch einfach als eine großzügige Spende für die Künste an, wenn dir das leichter fällt.«
»Dann nehme ich sie im Namen der Kunst an.«
»Gut.«
»Du hast ja keine Vorstellung, wie diese Übereinkunft die Gewissensqualen mildert, die mich sonst gepeinigt hätten«, sagte Boots.
»Davon bin ich überzeugt.«
»Übrigens«, fragte er dann, »hat dir die Vorstellung gefallen?«
»Ja.«
»Ich frage mich, ob du daran gedacht hast, deiner Begeisterung Ausdruck zu verleihen«, fuhr der Theaterdirektor eher kleinlaut fort.
»Das habe ich.«
»Es war eine ausgezeichnete Vorstellung.«
»Hier ist noch ein Kupfertarsk. Das sind dann drei.«
»Ich danke dir«, sagte er artig.
»Keine Ursache«, erwiderte ich und sah zu, wie die Münze irgendwo in seinem Gewand verschwand.
»Nun, wenn ich mich recht erinnere, sagtest du etwas darüber, daß du mir bei der Lösung eines Problems behilflich sein könntest.«
»Richtig«, erwiderte ich. »Wie ich schon sagte, werde ich dir wohl nicht bei deinem Problem mit der fehlenden Brigella helfen können, aber ich weiß, wo du eine ideale Verkörperung der schönen Kurtisane findest.«
»Eine Sklavin?« fragte Boots sofort.
»Selbstverständlich.«
»Kann sie schauspielern?«
»Das weiß ich nicht«, mußte ich zugeben.
»Meine Mädchen müssen auch als Zeltmädchen arbeiten.«
»Was ihre Talente als Zeltmädchen angeht, da habe ich keinen Zweifel«, sagte ich.
»Du mußt wissen, meine Mädchen sind keine gewöhnlichen Mädchen. Sie müssen außerordentlich vielseitig sein.«
»Sie ist blond und üppig gebaut.«
»Das könnte angehen.«
»Und was die Schauspielkunst angeht, so könntest du ihr alles beibringen.«
»Das stimmt allerdings«, meinte Boots. »Glücklicherweise bin ich ein ausgezeichneter Lehrer. Wo finde ich sie?«
»Sie steht hier auf dem Jahrmarkt zum Verkauf«, sagte ich lächelnd.
»Das hier ist der Jahrmarkt von En’Kara«, erwidert er. »Hier stehen Tausende von Mädchen zum Verkauf, die von Hunderten von Besitzern angeboten werden.«
»Ich weiß, auf welcher Auktion sie auf ihren Käufer wartet.«
»Vielleicht wärst du so nett und ließest mich an diesem Wissen teilhaben«, meinte Boots.
»Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß du Probleme hättest, sie zu finden, da du den Jahrmarkt doch morgen abend verlassen willst.«
»Besonders«, fuhr Boots fort, »wenn wir versuchen, bis dahin noch eine oder zwei Vorstellungen auf die Bühne zu bringen.«
»Genau.«
»Was willst du?« fragte Boots.
»Du folgst auf deinen Reisen doch sicher einer gewissen Route, oder nicht?« fragte ich.
»Manchmal schon«, antwortete Boots mißtrauisch. »Manchmal auch nicht. Warum?«
»Du hast doch sicherlich schon einen Plan, was die nächsten paar Monate angeht.«
»Inwiefern?«
»Du weißt, welchen Dörfern und Städten du einen Besuch abstatten willst«, mutmaßte ich.
»Vielleicht.«
»Ich bin besonders an einer Stadt interessiert«, sagte ich. »Einer Hafenstadt an der Küste des Thassa, südlich des Voskdeltas.«
»Ja?«
»Brundisium…«
»Das ist ein treuer Verbündeter von Ar«, sagte er. »Dort wollen wir Ende des Sommers Halt machen.«
»Gut«, sagte ich.
»Warum?«
»Ich möchte Mitglied deiner Theatertruppe werden.«
»Was könntest du tun?«
»Alles mögliche, die schweren Arbeiten.«
»In Brundisium wird sehr auf die Sicherheit geachtet«, sagte er. »Aus irgendeinem Grund ist man in den letzten beiden Jahren sehr mißtrauisch geworden, was Fremde angeht. Es ist schwierig, in die Stadt hineinzukommen, sieht man einmal von dem abgeschlossenen Hafenbezirk und den Handelsplätzen ab.«
»Eine Truppe wie die deine könnte es jedoch schaffen«, spekulierte ich.
»Wir haben auf dem Platz in der Stadtmitte gespielt«, gab er zu. »Einmal sogar auf dem Hof des Palastes.«
»Nimm mich in deine Truppe auf«, bat ich ihn.
»Du bist bloß daran interessiert, dich nach Brundisium einzuschleichen«, sagte er.
»Vielleicht.«
»Wo kann ich die Frau finden, die deiner Meinung nach die Rolle der schönen Kurtisane spielen könnte?«
»Sie befindet sich bei den hundert neuen Sklavinnen des Samos aus Port Kar«, sagte ich. »Sie ist auf der Plattform Sh-27 im südwestlichen Teil des Pavillons der Schönheit angekettet.«
»Hat sie einen Namen?«
»Vermutlich nicht«, erwiderte ich. »Aber im Haus von Samos hatte sie zumindest einen Hausnamen; man rief sie Rowena.«
»Vielen Dank«, sagte Boots. »Du warst sehr hilfreich.«
»Und was ist mit meinem Vorschlag?«
»Welchem Vorschlag?«
»Mitglied bei deiner Theatertruppe zu werden.«
»Ach das?«
Ich nickte.
»Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
7
»Bitte, mach weiter!« flüsterte sie. »Ich bitte dich, Herr!«