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Ich sah ihr in die Augen, bewegte mich aber nicht. Sie starrte mich mit wildem Blick an.

»Nein.«

Sie stöhnte, versuchte, ihre Atmung zu beherrschen. Ihr ganzer Körper war gespannt wie eine Bogensehne.

Wir lagerten zweihundert Pasang westlich des Jahrmarktes von En’Kara am Rande der Straße des Clearchus – und damit direkt am Waldrand. Ich war die letzten Tage bei Boots’ Theatertruppe mitgereist, ohne eigentlich dazuzugehören. Wir hatten den Clearchuswald ohne Zwischenfall zügig durchquert; an diesem Nachmittag hatte Boots am Waldrand für die Menschen der umliegenden Dörfer eine Vorstellung gegeben. Es war die erste Vorstellung seit dem Verlassen des Jahrmarkts gewesen, von dem die Truppe wie erwartet ausgeschlossen worden war; die Jahrmarkts-Verwaltung hatte auf verschiedene Beschwerden einer gewissen freien Frau, der Lady Telitsia aus Asperiche, reagieren müssen. Boots mußte wegen der angeblichen Schwere seiner Untaten drei Silbertarsk zahlen; außerdem war er öffentlich ausgepeitscht worden.

An jenem Abend war der Theaterdirektor nicht gerade guter Laune gewesen. Natürlich sind im Leben eines Schauspielers derartige Vorkommnisse nichts Ungewöhnliches. Viel schlimmer war vielleicht noch die Tatsache gewesen, daß zwei Mitglieder seines Ensembles – die beiden Männer, die gewöhnlich die Rollen des lächerlichen Vaters und des lächerlichen Pedanten gespielt hatten – die sich auf dem Jahrmarkt bietenden Gelegenheiten beim Schopfe ergriffen und sich bei einer anderen Truppe verdingt hatten. Boots versuchte nun, mit dem Chino, dem Lecchio, Bina, der neuen schönen Kurtisane und zwei anderen Männern auszukommen. Die Dinge standen so schlecht, daß er die Nachmittagsvorstellung mit Gauklerkunststücken gestreckt hatte. Manchmal muß man die Dinge eben nehmen, wie sie kommen.

Glücklicherweise waren sein Chino ein geschickter Jongleur und der Lecchio ein ausgezeichneter Seiltänzer. Boots selbst beherrschte die Kunst der Taschenspieler und Zauberer. Sein mit einem ovalen Dach ausgestatteter Wagen schien ein richtiges Lager aller Arten wunderbarer Gerätschaften zu sein, von denen viele der Illusion und der Täuschung dienten. Es ist nicht ungewöhnlich, daß Schauspieler über derart viele Talente verfügen. Die meisten von ihnen beherrschen das Flöten- oder Kalikaspiel, können singen, tanzen, Witze erzählen und dergleichen mehr. Es sind im allgemeinen vielseitige und talentierte Menschen.

Boots’ Kaissa-Spieler, der mürrische maskierte Bursche, den man im Lager gewöhnlich ›das Ungeheuer‹ nannte, blieb ebenfalls bei der Truppe. Den aufgeschnappten Unterhaltungen des Nachmittags hatte ich entnommen, daß er sich beharrlich und auf beleidigende Weise weigerte, Boots den Wunsch zu erfüllen, gelegentlich ein Spiel zu verlieren oder doch zumindest weniger gut zu spielen, und sei es nur um der Einnahmen willen. Trotzdem erbrachte er seinen Anteil an den Einnahmen der Truppe. Seine Spiele brachten gewöhnlich ein paar Münzen ein.

»Bitte, Herr«, wimmerte das Mädchen.

»Bist du bereit?« fragte ich.

»Ja, ja, ja!«

»Also gut«, sagte ich und bewegte mich unvermittelt.

Sie schrie unwillkürlich laut auf und fing an, unter mir zu zucken. Sie klammerte sich verzückt an mich, ihre Fingernägel gruben sich in meinen Rücken.

Ich hörte, wie Boots draußen umherging. Er hielt sich nur ein paar Meter entfernt am Lagerfeuer auf. Chino und Lecchio leisteten ihm Gesellschaft. Die beiden waren so mit ihren Rollen verwachsen, daß sie sich sogar ständig mit den Rollennamen ansprechen ließen. Das galt übrigens auch für Petrucchio, den furchtsamen Kapitän. Vielleicht hatten sie Gründe, ihren wahren Namen zu verbergen.

»Was heißt denn hier klagen?» brüllte der Theaterdirektor. »Wir sind ruiniert! Wir werden sicherlich verhungern! In dem Münztopf liegen keine zwei Kupfertarsk! Welche Hoffnung haben Artisten wie wir in diesen Zeiten? Da wird die talentierte und berühmte Theatertruppe von Boots Tarskstück, dem Schauspieler, Theaterdirektor und Impresario, die beste Theatertruppe von ganz Gor, deren Auftritte von mächtigen Städten und hohen Ubars bestellt werden, dazu gezwungen, als Gaukler zu arbeiten. Sie ist so tief gesunken, daß sie mit Jonglierkunststücken und Saltos, mit einfachen Tricks und Illusionen Dorftrottel unterhält – auch wenn das aufrichtige, anständige Burschen sein mögen. Das ist fast schon zuviel, um es noch ertragen zu können. Ich frage mich, welches Schicksal uns zuerst ereilt. Werden wir erhobenen Hauptes verhungern oder doch zuerst an Scham über eine solche Demütigung sterben?«

»Zumindest bei einer Sache liegst du falsch, Boots«, sagte Chino.

»Kann das sein?« fragte der Theaterdirektor.

»Ja«, erwiderte Chino. »In dem Münztopf liegen mehr als zwei Kupfertarsk.«

»Was?«

Ich hörte Münzen in einem metallenen Topf klappern. »Hör doch«, sagte Chino. »Das ist mindestens Geld im Gegenwert von einem Silbertarsk.«

»Bist du sicher?« fragte Boots.

»Zähl doch selbst nach«, erwiderte Chino.

»Ja, tatsächlich«, sagte Boots einen Augenblick später. »Ah! Ich hatte gar nicht erkannt, daß meine Fertigkeiten in der Magie noch immer so geheimnisvoll und verblüffend sind. Sehr gut. Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Chino, mein Freund, du hast deine Arbeit natürlich ebenfalls gut gemacht, und du auch, Lecchio. Nun, wie ich immer sage, Abwechslung ist stets eine gute Sache. Man sollte die Künste nicht immer verbissen ernst sehen. Bei Gelegenheit sollte man sogar dem klassischen Drama eine Pause gönnen. Pausenlose Bedeutungsschwere kann auf Dauer der Verdauung schaden. Außerdem fehlt uns noch immer eine Brigella, und ich glaube, es würde uns nicht schaden, wenn wir in unsere anspruchsvolleren Darbietungen gelegentlich ein paar Taschenspielertricks und Gaukeleien einfließen lassen, also Dinge, in denen ihr so gut seid. Vor allem in weniger gebildeten und entfernter gelegenen Gegenden. Natürlich werden wir den fundamentalen Prinzipien des Theaters treu bleiben, denn wir sind in der Hauptsache, wenn alles gesagt und getan ist, ernsthafte Schauspieler. Außerdem beruht unser Ansehen darauf. Wie ist eure Meinung dazu? Ich bin froh, daß ihr mir zustimmt.«

Ich ließ von dem Mädchen ab, legte mich auf den Rücken und sah zur Zeltdecke. Die Wange des Mädchens ruhte auf meinem Oberschenkel; ich spürte seinen heißen, noch immer keuchenden Atem. Ich dachte an die Zeit zurück, als sie noch eine freie Frau namens Rowena aus Lydius gewesen war, der ich zum ersten Mal im Haus von Samos begegnet war. Wie stolz war sie damals doch gewesen! Jetzt war sie nur noch Rowena, die ihr Schicksal angenommen hatte. Boots hatte sie für zwei Silbertarsk erstanden.

»Der Salto auf dem Seil war sehr gut«, sagte der Theaterdirektor zu Lecchio. »Du solltest versuchen, ihn zweimal zu machen.«

Boots’ kleine Bina war in einem anderen Zelt angekettet. Ich dachte daran, sie irgendwann einmal auszuprobieren.

»Vielleicht sogar dreimal, und dann rückwärts«, sagte Boots.

Ich lächelte. Er sprach natürlich noch immer von Lecchios Salto. Die kleine Bina war sehr hübsch, aber sie war in den Sklavendisziplinen noch nicht besonders versiert. Wie ich verschiedenen Andeutungen entnommen hatte, war Boots nicht besonders zufrieden mit ihr. Als mit einem Kragen versehene Sklavin hatte sie meiner Meinung nach noch viel zu lernen. Außerdem trug sie eine Neigung zur Grausamkeit in sich. Ich war mehr als einmal Zeuge gewesen, wie sie das ›Ungeheuer‹ verspottet hatte. Damit bewies sie schlechte Urteilskraft. Er war immerhin ein freier Mann, während sie nur eine Sklavin war – was sie anscheinend noch nicht richtig begriffen hatte.

»Dein Sturz vom Seil war ebenfalls sehr lustig«, sagte Boots. »Vielleicht solltest du das in den Auftritt einbauen.«

»Das habe ich nicht absichtlich getan«, erwiderte Lecchio. »Ich bin außer Übung. Ich hatte mir beinahe den Hals gebrochen.«

Vermutlich war es besser, Boots’ Theatertruppe bald zu verlassen. Es kam mir ziemlich sinnlos vor, hinter ihr herzuziehen. Mein eigenes kleines Lager befand sich etwa hundertfünfzig Meter vom Rastplatz der Truppe entfernt. Es bestand aus wenig mehr als einer Bettrolle, ein paar Vorräten und Waffen, die ich auf dem Jahrmarkt gekauft hatte. Ich hatte sogar davon abgesehen, Schild, Speer und Bogen zu erstehen, da ich befürchtete, daß ich dadurch wie ein Mann wirkte, vor dem man sich in Acht nehmen mußte. Vermutlich würde ich in der Umgebung Brundisiums auch so schon genug Verdacht erregen, wenn ich mich der Stadt als einsamer Reisender näherte, ohne einen handfesten Grund für einen Besuch vorweisen zu können. Ich besaß mein Schwert; außerdem hatte ich einen Satz Tuchuk-Quivas gekauft, die berühmten Sattelmesser, Ein Satz besteht aus sieben Messern, je eines für die sieben Scheiden, die am Tuchuk-Sattel angebracht sind. Sie sind als Wurfmesser ausbalanciert. Ich hatte den Umgang mit ihnen schon vor langer Zeit im Land der Wagenleute – oder den Ebenen von Durra, wie es auch genannt wird – gelernt und konnte recht geschickt mit ihnen umgehen.