»Dann steck das Schwert weg!«
»Du zuerst!« beharrte Larius.
Ich war mittlerweile zu dem Schluß gekommen, daß Abdar davon überzeugt war, seinen Kumpan besiegen zu können. Darum ließ er sich jetzt auch Zeit die Angelegenheit zu bedenken.
»Laß uns nicht streiten«, drängte Larius, der anscheinend der Vertraute des Anführers gewesen war. »Hier könnten sich Sleen herumtreiben.«
Abdar sah sich unbehaglich um, ohne dabei jedoch sein Gegenüber aus den Augen zu lassen. Mich konnte er nicht sehen, denn ich wurde von der Dunkelheit verborgen. Beide Männer standen in Wurfweite der Quiva. Ich drehte die Klinge in meiner Hand um.
»Steck dein Schwert weg«, drängte Larius.
»Ich traue dir nicht.«
»Warum sollten wir kämpfen? Hier ist nicht genug
Beute, als daß es sich lohnen würde.«
»Finde ich nicht«, sagte Abdar. Ich sah, daß er eine Entscheidung getroffen hatte.
»Es gibt genug für zwei!«
»Aber für einen ist es noch mehr!« sagte Abdar. »Was
ist?«
Sein Gegenüber versteifte sich plötzlich, zog die Schultern nach hinten. Die Hand mit dem Schwert senkte sich. Er taumelte einen Schritt vor. Abdar hob das Schwert, um einen möglichen Hieb abwehren zu können. Larius brach zusammen. Die Sklavinnen, die noch immer aneinandergefesselt waren, schrien entsetzt auf. Boots’ Männer schrien ebenfalls auf. Aus dem Rücken des Toten ragte ein Messergriff, der Griff eines besonderen Messers, eines Sattelmessers aus dem Land der Wagenvölker, das allgemein unter der Bezeichnung Quiva bekannt war. Ich hatte es nicht so kräftig geworfen, daß die Klinge den Körper ganz durchdrungen hatte. Das war nicht nötig gewesen. Der Wurf war ohne großen Kraftaufwand erfolgt. Die Quiva selbst mit ihrer Schärfe und ihrem Gewicht tat die Arbeit. Ich nahm das nächste Messer an der Klinge.
Der Mörder sprang aus dem Lichtschein des Feuers. Er war wirklich nicht besonders klug, denn er hatte das Feuer nicht auseinandergetreten, sondern sich nur davon zurückgezogen. Ich konnte ihn noch immer gut sehen. Verständlicherweise zögerte er, blindlings in die unbekannte Dunkelheit zu flüchten, in der eine unbekannte Zahl an Feinden lauerte.
»Wer ist da?« schrie er.
Nur die nächtlichen Geräusche des Waldes antworteten ihm.
»Wenn ihr Wächter seid, so wißt, daß ich zufällig auf dieses Lager von Straßenräubern gestoßen bin. Als ich erkannte, in welche Lage ich mich begeben hatte, machte ich mich dazu bereit, mein Leben zu verteidigen!« Er sah sich mit wilden Blicken um und trat noch einen Schritt zurück. »Zeigt euch«, schrie er, »wie es sich für euer Amt schickt! Ihr führt so mutig Krieg gegen die Räuber, ihr verteidigt und vollstreckt das Gesetz. Wenn ihr die einfachen, ehrlichen Männer seid, für die ich euch halte, will ich mich euch anschließen, damit wir uns gegenseitigen Schutz anbieten, nein, schwören können, gegenseitigen Schutz und Beistand auf diesen dunklen und gefährlichen Straßen.«
Von dem ständigen Zirpen der Insekten abgesehen, war es sehr still. Irgendwo in der Ferne hörte ich die Schreie einer winzigen gehörnten Gim.
»Ihr zeigt euch nicht!« schrie der Mann. »Gut! Dann wißt, daß auch ich ein Straßenräuber bin! Ich fürchtete, ihr könntet Wachen sein. Nur darum habe ich so gesprochen. Wir hatten Streit, deswegen mußte ich mich verteidigen. Ich bin Abdar, der zur Bande von Ho-Dan gehörte. Vielleicht habt ihr von mir gehört. Ich werde in fünf Städten gesucht. Kommt näher. Auch wenn hier nur wenig Beute zu holen ist, will ich sie doch gern mit euch teilen; ihr könnt als Geste meines guten Willens auch alles haben. Seht euch die Frauen an. Ich bin sicher, ihr findet beide Sklavinnen annehmbar. Wenn ihr sie wollt, nehmt sie euch. Zeigt euch! Ich will mich euch anschließen! Wer seid ihr? Zeigt euch!«
Ich sparte mir jede Erwiderung, während ich die Entfernung abschätzte.
»Seid ihr noch da?« schrie er. »Seid ihr noch da draußen?«
Dann fuhr Abdar plötzlich mit einem leisen Aufschrei voller Not auf dem Absatz herum und rannte los. Ich tat einen Schritt vorwärts und ließ die Klinge fliegen. Der flüchtende Räuber keuchte auf und stürzte ein paar Schritte vom Feuer entfernt zu Boden. Er erhob sich auf die Knie, kroch ein, zwei Schritte weiter und sank nach vorn. Er stemmte den Oberkörper hoch und fiel erneut nach vorn. Er wand sich, versuchte vergeblich, mit der Hand die in seinem Rücken steckende Klinge zu erreichen, erbebte noch einmal und blieb dann still liegen.
Ich trat vor und betrachtete den Toten. Dann zog ich das Messer aus seinem Rücken und säuberte es an seiner Tunika. Ich schob es in eine der sieben Scheiden, die an dem geschmeidigen Ledergürtel festgenäht waren, der mir über der linken Schulter hing.
»Du!« rief Boots Tarskstück.
Ich sah ihn an. Er schluckte mühsam.
Dann ging ich neben ihm in die Hocke und löste seine Fesseln. Sein erleichterter Seufzer war deutlich hörbar.
»Wo sind die anderen Räuber?« wollte er wissen.
Ich schnitt das letzte Seil durch. »Da und dort. Keine Angst. Ich habe mich um sie alle gekümmert.«
»Wie viele Männer sind bei dir?«
»Ich bin allein.«
»Du hast das allein geschafft?«
»Ja.«
»Wo hast du gelernt, ein Messer so zu werfen?«
»Im Süden«, antwortete ich, »Im tiefen Süden.«
»Du hast uns allen das Leben gerettet«, sagte er.
Wir befreiten die anderen von ihren Fesseln, nur die Sklavinnen nicht.
»Wir sind dankbar«, versicherte mir der Theaterdirektor.
»Danke«, sagte der Spieler mürrisch und unwillig, als ich seine Handfesseln löste. Er bückte sich schnell und wütend, um den Strick um die Füße zu lösen.
»Beachte ihn nicht«, sagte Boots. »Er ist ein komischer Vogel. Er hätte es vermutlich vorgezogen, sich die Kehle durchschneiden zu lassen.«
»Aber du bist dankbar?« fragte ich Boots.
»Ja«, antwortete er. »Ich bin dir dankbar.«
»Für alle Zeiten?« fragte ich mit einem Lächeln.
»Natürlich.«
»Ich glaube, daß ich dir noch mehr von Nutzen sein kann.«
»Wieso?« fragte Boots interessiert.
»Kommt alle mit mir«, sagte ich. »Und nehmt eine Fackel mit, ich will euch etwas zeigen.«
»Was denn ?« fragte Boots.
»Ich habe es vor ein paar Ehn im Wald gefunden, als ich in meinem Lager die Waffen holte.«
»Was ist es denn?« fragte er.
»Komm mit, dann wirst du es sehen.«
8
»Da, seht ihr?«
Wir standen auf einer kleinen Lichtung, nicht weit von der Straße entfernt.
»Ja!« sagte Boots anerkennend.
»Halt die Fackel tiefer! Seht genauer hin!«
Die beiden vom Licht geblendeten Frauen sahen blinzelnd auf und stießen ein Wimmern aus. Boots bückte sich und hielt die Fackel noch näher an sie heran. Die eine Frau trug ein ärmelloses, langes weißes Gewand; es war ziemlich dünn und stellte ihre einzige Bekleidung dar. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie sich das Gewand selbst ausgesucht hatte; bestimmt hatte man sie gezwungen, es anzuziehen. Es fiel nicht schwer, sich das darunter verborgene Ausmaß ihrer Schönheit vorzustellen; sie hatte prächtige Rundungen. Das galt auch für die andere Frau. Allerdings lag ihre Schönheit offen zu Tage. Sie war nackt. Beide Frauen trugen Ketten an Hand- und Fußgelenken und waren völlig hilflos.
»Hübsch«, sagte Boots.
»Ja«, sagte Chino.
»Doch«, meinte Lecchio.
Auch Petrucchio und Publius Andronicus gaben ihrer Zustimmung lautstark Ausdruck. Der mürrische Spieler war nicht bei uns. Nachdem er sich von seinen Fesseln befreit hatte, war er losgestürzt, um den Pokal aufzuheben, für den sich die Straßenräuber so interessiert hatten. Anscheinend wollte er verhindern, daß die anderen ihn zu Gesicht bekamen oder seine Bedeutung erfuhren. Er hatte den Pokal aufgehoben, war im Wagen verschwunden und auch dort geblieben. Es hatte den Anschein, als sei er nicht besonders dankbar für die Hilfe gewesen, die er erhalten hatte. Vielleicht war er einfach zu stolz. Vielleicht verabscheute er von ganzem Herzen den Gedanken, einem anderen etwas zu schulden. Zog man andererseits den Haß und die Scham in Betracht, die sein Leben zu bestimmen schienen, war es durchaus nicht unvorstellbar, daß er die Klinge des Banditenmessers willkommen geheißen hätte.