Ich sah auf die Frau in dem dünnen weißen Kleid hinunter. »Hast du das Brandzeichen erhalten?«
»Nein«, sagte sie angespannt. »Ich bin frei!« Das stimmte vermutlich sogar, da man ihr das Kleid gelassen hatte, damit ihr Schamgefühl nicht verletzt wurde.
»Du mußt verstehen, daß wir uns vergewissern müssen.«
»Natürlich«, sagte sie. Das Ergebnis dieser Kontrolle hatte unter Umständen großen Einfluß auf die Art und Weise, wie man sie behandelte und was von ihr erwartet wurde. Eine freie Frau ist eine Sache, eine Sklavin eine ganz andere.
Ich drehte sie auf die Seite, schob das Kleid hoch und drehte sie erneut um. Einen Augenblick später hatte ich die Stellen überprüft, an denen goreanische Sklavinnen normalerweise gebrandmarkt werden. Meistens befindet sich die Stelle hoch auf dem linken Oberschenkel, eine Handbreit unter dem Hüftknochen, damit sie selbst von der kürzesten Sklaventunika so gerade eben noch verhüllt wird. Auf diese Weise bleibt einem erst einmal verborgen, welches Zeichen die Sklavin trägt.
Ich überprüfte auch die weniger üblichen Stellen wie den linken Unterbauch, die Innenseite des linken Unterarms und den Spann des linken Fußes. Man sollte solch ein Zeichen nicht übersehen. Man stelle sich die Peinlichkeit vor, wenn man ein Mädchen anspricht, als gehörte es zu den freien Frauen, nur um später herausfinden zu müssen, daß sie die ganze Zeit eine legale Sklavin war!
»Anscheinend trägt sie kein Mal«, verkündete ich. »Sie ist wohl tatsächlich eine freie Frau.«
»Ja!« sagte sie. »Ja!«
Ich zog das Kleid, das ich ihr bis über die Brüste geschoben hatte, langsam und vorsichtig wieder hinunter, denn ich wollte es nicht zerreißen. Es war sehr dünn und paßte sich den Konturen ihres Körpers an. Ich zog den Saum bis zu der Stelle, an die er gehörte, nämlich bis zu den Fußknöcheln. Dann zupfte ich den Stoff glatt, damit für ihre Sittsamkeit gesorgt war – soweit es der dünne Stoff gestattete. Zugegeben, ich zog das Kleid an ein paar Stellen enger an ihren Körper, als unbedingt nötig war. Aber das war zu entschuldigen. Sie war schön und gefesselt.
»Da sie frei zu sein scheint«, sagte ich, »beanspruche ich sie, und zwar nach den Regeln der freien Gefangenen.«
»Nein!« schrie sie.
»Gut«, sagte Boots.
»Nein!« schluchzte sie und kämpfte gegen die Fesseln an.
Ich kannte diese Frau.
Ich zog sie in eine sitzende Haltung hoch und sah ihr in die Augen. »Du bist meine Gefangene.«
»Bitte, nein.«
»Es liegt an dir, wie die Art deiner Gefangenschaft aussehen wird.«
Sie sah mich ängstlich an.
Ich holte die Kette aus dem Beutel, die ich vorher auf dem Weg zur Lichtung aus meinem Lager mitgenommen hatte, und hielt sie ihr vors Gesicht. Die Kette bestand aus kleinen stabilen Eisenmanschetten und vier schweren kurzen Verbindungsringen. Ich legte sie ihr an. »Wie kommt es, daß du in die Hände der Räuber gefallen bist?« fragte ich.
»Meine Vorgesetzten waren unzufrieden mit mir«, sagte sie. »Man hat mir meine Männer weggenommen und eine kurze Tunika angezogen, als wäre ich eine gemeine Sklavin. Man verbot mir sogar, den Schleier zu tragen. Ich erhielt einen kleinen Beutel mit Münzen, der gerade eben für die erwarteten Ausgaben gereicht hätte, und befahl mir, allein und zu Fuß ins Hauptquartier zu reisen, um dort Bericht zu erstatten.«
»Allein und zu Fuß?«
»Ja«, sagte sie bitter.
»Ich nehme an, sie haben nicht erwartet, daß du dein Ziel je erreichst«, meinte ich.
»Anscheinend hatten sie recht.«
Ich lächelte. Es war eigentlich unvorstellbar, daß ihre Vorgesetzten nicht wußten, wie gefährlich die Reise auf den goreanische Straßen war. Es war unwahrscheinlich, daß eine schöne Frau, die kaum bekleidet und nicht einmal verschleiert war, ungestraft die goreanische Wildnis durchquerte. Der Befehl kam praktisch einer Versklavung gleich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie erwartet hatten, ihre Agentin je wiederzusehen, es sei denn in den Lumpen und mit dem Kragen einer Sklavin.
»Die Straßenräuber haben mich gestern abend gefangengenommen«, erzählte sie weiter.
»Du scheinst aber nicht wie eine Sklavin gekleidet zu sein.«
»Die Räuber haben mir die Kleidung abgenommen, die mir meine Vorgesetzten gegeben hatten. Sie hielten sie für eine freie Frau nicht geeignet. Statt dessen mußte ich dieses Kleid hier anziehen.«
»Das war rücksichtsvoll von ihnen.«
»Aber es ist so dünn!« protestierte sie.
»Natürlich«, sagte ich.
»Ich nehme an, es läßt mich wie eine freie Frau aussehen und hätte meinen Preis noch gesteigert, hätten sie mich für den Verkauf an einen Sklavenhändler vorgesehen.«
»Davon abgesehen ist es, mit allem nötigen Respekt, sehr enthüllend und schmeichelt dir. Der Händler hätte viel Vergnügen dabei gehabt, es dir bei seiner Schätzung auszuziehen, um deine Schönheit zu enthüllen, die in diesem Fall die Schönheit einer Sklavin gewesen wäre.«
»Ja«, sagte sie bitter.
»Keine Angst«, sagte ich. »Ich werde für dich schon etwas zum Anziehen finden.«
»Danke.«
»Haben die Räuber noch ein anderes Lager benutzt?«
»Nein«, sagte sie. »Es hat eins gegeben, aber das haben sie heute morgen abgebrochen. Am Nachmittag trafen sie dann im Wald heimlich einen Kerl mit einem Wagen. Dem haben sie das meiste ihrer Beute verkauft.«
»Offensichtlich haben sie ihm nicht alles verkauft«, meinte ich mit einem bezeichnenden Blick auf sie und die andere gefesselte Frau, die nackt im Staub lag.
»Nein. Er war kein Sklavenhändler. Ich glaube, er wollte auch vermeiden, daß seine Verbindung zu den Räubern bekannt würde, was vermutlich geschehen wäre, hätte er ihre Sklaven verkauft.«
»Wo wollten sie hin?«
»Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich habe nur erfahren, daß man uns an einen Ort bringen wollte, an dem wir an einen richtigen Sklavenhändler verkauft werden sollten.«
»Besnit, Esalinus oder Harfax«, meinte Boots.
Ich zuckte mit den Schultern. »Möglich.« Diese Städte befanden sich alle hundert Pasang im Umkreis unseres derzeitigen Aufenthaltsortes. Natürlich konnten Frauen überall verkauft werden. Auf Gor sind Sklaven und Sklavenmärkte etwas ganz Normales.
»Wie es aussieht, habt ihr hier vor einigen Ahn euer Lager aufgeschlagen«, sagte ich.
»Wir haben ziemlich früh haltgemacht«, berichtete sie. »Ich glaube, sie hatten ein Lager entdeckt, das sie dann überfallen wollten.«
»Das stimmt.«
»Uns hat man hier hilflos und gefesselt zurückgelassen.«
»Sie werden nicht zurückkommen«, sagte ich.
»Ich verstehe.« Sie schauderte.
»Wo sind die anderen Wertsachen, ihr Geld, ihr Ertrag von dem Handel mit dem Mann im Wald?« fragte ich.
»Es ist alles dort hinten«, sagte sie und wies mit dem Kopf in die Richtung. »Das Gold ist in einer kleinen Truhe, die mit Eisenbändern und Silbernägeln beschlagen und mit einem vergoldeten Vorhängeschloß verriegelt ist. Sie befindet sich in dem ersten Ballen.«
»Es gehört alles dir«, sagte ich zu Boots.
»Alles?« fragte Boots ungläubig.
»Alles.«
»Danke«, sagte Boots inbrünstig. »Es wird einem guten Zweck dienen.«
»Vielleicht könntest du es für die Künste verwenden«, schlug ich vor.
»Genau das ist meine Absicht«, meinte Boots.
»Zum Beispiel könnte man mit dem Gold eine vielversprechende, von Schwierigkeiten geplagte Theatertruppe unterstützen.«
»Das ist ein vernünftiger, geradezu glänzender Vorschlag«, gratulierte Boots mir.
»Vielleicht kennst du ja eine derartige Truppe.«
»Und ob.«
»Uns«, sagte Lecchio.
»Das ist etwas kraß ausgedrückt«, rügte Boots seinen Schauspieler, »aber es trifft den Kern der Sache.«