»Bist du dankbar?« fragte ich den Theaterdirektor.
»Ja.«
»Für ewig und alle Zeiten?«
»Sicher.«
»Dann könntest du etwas für mich tun.«
»Sag es, Bruder.«
»Ich möchte noch immer ein Mitglied deiner Truppe werden.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Boots. »Ausgeschlossen.«
»Nun gib dir schon einen Ruck«, sagte ich.
»Ja, gib dir einen Ruck«, bat Chino.
»Genau«, bestätigte Lecchio.
»Richtig«, sagte Petrucchio.
»Gib dir einen Ruck!« drängte Andronicus.
»Meine Entscheidung steht unverrückbar fest«, sagte Boots.
»Vielleicht könntest du noch einmal darüber nachdenken«, schlug ich vor und griff nach dem Bündel Sattelmesser, das jetzt an meiner Hüfte hing.
Boots ließ mich nicht aus den Augen.
»Mein lieber Boots, sei kein undankbarer Narr«, rügte ihn der eindrucksvolle Andronicus.
»Ich habe gesprochen«, verkündete der Theaterdirektor von oben herab.
Ich zog ein Messer, warf es in die Höhe und fing es an der Klinge auf. »Vielleicht könntest du noch einmal sprechen«, schlug ich vor.
»Niemals!«
»Ach so?« Ich warf das Messer wieder in die Höhe und fing es am Griff auf. Die Spitze schien auf Boots’ Kehle zu zielen.
»Was könntest du denn tun?« fragte Boots unbehaglich und ließ die Messerspitze nicht aus den Augen.
Das Messer wirbelte wieder durch die Luft. Ich sah Boots unverwandt an. »Ich bin Messerwerfer«, sagte ich. »Schon vergessen?«
»Und ein guter dazu«, versicherte Boots mir.
»Erlaube ihm, sich uns anzuschließen«, drängte Chino.
»Ja«, schloß sich Lecchio ihm an.
»Auf jeden Fall«, meinte Petrucchio.
»Das ist wenig genug für das, was er getan hat«, sagte Andronicus.
»Wir können nicht jeden streunenden Sleen aufnehmen, der winselnd um die Wagen herumstreicht«, sagte Boots. »Sind wir eine Zuflucht für die Heimatlosen, eine Feldküche für leichtsinnige Reisende, eine Ausbildungsstätte für Amateure, ein fahrendes Rasthaus für bühnenbesessene Dilettanten, ein Refugium für jeden begeisterten, hoffnungslosen Dummkopf, den das verzweifelte Sehnen antreibt, den thespischen Mantel um die Schultern zu legen? Sollen wir auf unserer Bühne, die zu den Titanen des Theaters gehört, unsere Reichtümer teilen, und zwar die materiellen wie auch die geistigen? Den Ruhm und die Größe der besten Theater Vereinigung Gors teilen? Was ist mit unserer Berufsehre? Was ist mit unserem Ruf?«
»Das ist doch Urtdung«, meinte Chino.
»Urtdung?«
»Ja.«
»Vielleicht bist du ja dazu bereit, dir deinen Standpunkt in dieser Angelegenheit noch einmal zu überlegen«, meinte ich und ließ das Messer sich drehen. Die Spitze zeigte wieder auf Boots.
»Du bist geschickt«, sagte er. »Daran besteht kein Zweifel. Natürlich bist kein ausgebildeter, erfahrener Schauspieler.«
»Das ist richtig«, gestand ich ihm zu. Die Klinge war jetzt vielleicht noch zehn Zentimeter von seinem Hals entfernt.
»Natürlich gibt es da eine Unzahl anderer Dinge, die du erledigen könntest, Arbeiten, die für die – sagen wir – Erfahreneren unter uns nicht zumutbar sind.«
»Das ist wahr.«
»Vielleicht könntest du dem Ungeheuer helfen«, meinte er nachdenklich.
»Ja.«
»Die Bühne muß aufgebaut werden, ebenso die Zelte.«
»Genau«, ermunterte ich ihn.
»Sei nicht undankbar, Boots«, sagte Andronicus. »Wir schulden ihm unser Leben.«
»Die Sache hätte auch weniger glimpflich ausgehen können«, meinte ich.
Boots schluckte sichtlich. »Ich bin kein sturer, starrsinniger Bursche«, sagte er. »Es ist allgemein bekannt, daß ich beweglich und anpassungsfähig bin, dazu vielschichtig, einfühlsam und talentiert. Ich habe oft gehört, wie gesagt wurde: ›Dieser Boots ist ein großzügiger Bursche, er ist sympathisch und tolerant, manchmal sogar mehr, als für ihn gut wäre. Ja, dieser Boots ist ein prächtiger Kerl, er ist jemand, der immer offen für Argumente ist, immer auf die Stimme der Vernunft hört.‹ Das sagen sie alle.«
»Ich nehme also an, daß du einen Entschluß noch einmal überdenkst«, sagte ich.
»Ich ziehe es in Betracht.«
»Nimm ihn auf«, meinte Andronicus.
»Ich werde schwach«, sagte der Theaterdirektor. »Andronicus’ Einwände machen mich schwankend.«
»Wenn du ihm nicht erlaubst, sich unserer Truppe anzuschließen«, sagte Andronicus, »werde ich ausscheiden.«
Boots starrte ihn entsetzt an.
»Jawohl«, sagte Andronicus entschlossen.
»Wir wären am Ende!« stöhnte der Theaterdirektor.
Andronicus verschränkte die Arme über der Brust und erwiderte den Blick.
»Überredet«, murmelte Boots.
Ich steckte das Messer schnell unter die Achsel, damit ich Publius Andronicus nicht verletzte, der siegreich und ungestüm nach meiner Hand griff. Chino, Lecchio und Petrucchio umringten mich, schlugen mir auf die Schultern und gratulierten mir. Schließlich griff sogar Boots herzlich nach meiner Hand.
»Willkommen bei der Theatertruppe von Boots Tarskstück«, sagte er. »Vergiß jedoch nie, daß dies keine gewöhnliche Truppe ist. Indem du dich uns angeschlossen hast, hast du eine ernste Verantwortung und schwere Bürde auf dich genommen. Bemühe dich darum, unserem hohen Standard gerecht zu werden.«
»Ich werde es versuchen«, versicherte ich ihm.
»Allerdings gibt es jetzt ein Problem«, wandte sich der Theaterdirektor an seine Leute.
»Was denn?« fragte der hochgewachsene Petrucchio.
»Wo soll er schlafen?« fragte Boots. »Ich habe keinesfalls die Absicht, meinen Wagen mit jemandem zu teilen, der so gut mit dem Messer umgehen kann.«
»Er kann meinen Wagen haben«, sagte Petrucchio. »Ich werde bei meinem Freund Andronicus einziehen, wenn er nichts dagegen hat, und mit ihm über das Handwerk des Schauspielers diskutieren.«
»Über die Kunst des Schauspielers«, sagte Andronicus.
»Das Handwerk«, widersprach Petrucchio.
»Die Kunst«, beharrte Andronicus.
»Bist du einverstanden?« fragte Petrucchio.
»Natürlich, sei willkommen«, antwortete Andronicus. »So habe ich endlich Gelegenheit, dich in den einhundertdreiundsiebzig Kopfhaltungen zu unterweisen.«
»Ich dachte immer, es seien einhundereinundsiebzig«, sagte Petrucchio.
»Ich habe in einem Text von Alamanius zwei neue Positionen entdeckt, jede mit mehreren Variationen.«
»Großartig«, sagte Petrucchio.
»Also ist das geklärt«, meinte Boots.
Die beiden Schauspieler nickten.
»Vielen Dank«, sagte ich.
»Aber nicht doch«, erwiderten sie wie aus einem Munde.
»Willst du mit mir den Wagen teilen?« fragte ich meine Gefangene.
»Nein!«
»Wenn du willst, kannst du sie im Mädchenwagen anketten, zusammen mit Rowena und Bina«, bot Boots großzügig an.
»Nein, nur keine Umstände. Ich werde sie einfach unter meinem Wagen anketten.«
»Wie du willst«, sagte Boots.
Sie warf mir einen wütenden Blick zu.
»Nehmt diese Kisten, Ballen und alles andere mit, das wertvoll sein könnte«, befahl Boots seinen Männern. »Vergeßt auf keinen Fall eine bestimmte kleine Truhe, die mit Eisenbändern und Silbernägeln beschlagen und einem vergoldeten Vorhängeschloß verriegelt ist und die angeblich im ersten Ballen zu finden ist. Wir werden diese Dinge in unser Lager transportieren. Der Sieg war unser. Aus diesem Grund gehört die Beute, deren einzelne Bestandteile ich sorgfältig nach Art, Menge und Wert auflisten werde, ab sofort uns.«
»Nein!« protestierte die andere Frau, die nackt und hilflos an Händen und Füßen gefesselt neben meiner Gefangenen auf dem Boden lag.
»Sagtest du etwas, meine Liebe?« fragte Boots Tarskstück.
»Ja! Befrei mich!«
»Warum sollte ich so etwas tun?«
»Ich bin eine freie Frau!«
»Chino, komm mit der Fackel näher heran«, sagte Boots.
Chino gehorchte.
»Da du ein Kavalier bist, wirst du mich befreien«, sagte sie. »Darauf kann ich als freie Frau zählen!«
Ich lächelte. Goreaner sind in erster Linie die Besitzer ihrer Frauen und erst dann Kavaliere.