Выбрать главу

»Nein.«

»Du bist am Zug.«

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Brett zu. »Ich glaube nicht, daß das Spiel noch lange dauert.«

»Da hast du recht.«

»Bei keiner unserer verschiedenen Partien habe ich einen so großen Vorsprung genossen, was die Spielsteine angeht.«

»Du hast einen Vorsprung?« fragte der Spieler.

»Offensichtlich«, erwiderte ich. »Was aber noch viel wichtiger ist, ich genieße einen immensen Vorteil hinsichtlich der Position.«

»Wie denn das?«

»Sieh her.« Ich schob meinen Tharlarionreiter auf Ubars-Wissender acht. »Wenn du dich nicht verteidigst, wird beim nächsten Zug dein Heimstein fallen.«

»So sieht es aus«, sagte er.

Sein Heimstein stand auf Ubars-Wissender eins, flankiert von einem Hausbauer auf Ubars-Hausbauer eins. Es war zu spät, um den Hausbauer defensiv einzusetzen. Kein Hausbauerzug konnte jetzt noch den Heimstein beschützen. Er konnte nicht einmal mehr einen Fluchtweg schaffen. Der Spieler mußte etwas mit seiner Ubara tun, die auf Ubaras-Tarnkämpfer fünf stand.

Die Spielsteine auf dem Brett standen in der folgenden Anordnung: Mein Heimstein befand sich in der ersten Reihe auf Ubars-Wissender eins; auf Ubars-Schriftgelehrter eins stand ein Hausbauer. In meiner zweiten Reihe waren ein Speerträger auf Ubars-Hausbauer zwei, ein Schriftgelehrter auf Ubara zwei und ein weiterer Tharlarionreiter auf Ubaras-Schriftgelehrter zwei. Meine dritte Reihe bestand aus einem Speerträger auf Ubaras-Wissender drei und einem weiteren Speerträger auf Ubars-Schriftgelehrter drei. Wie bereits gesagt stand einer meiner Tharlarionreiter jetzt auf Ubars-Wissender acht und drohte beim nächsten Zug den gegnerischen Heimstein gefangenzunehmen.

Der Spieler hatte in seiner achten Reihe einen Speerträger auf Ubars-Hausbauer acht der von meinen beiden Speerträgern in der dritten Reihe beidseits flankiert wurde. Sein Speerträger wurde von einem weiteren Speerträger auf Ubars-Schriftgelehrter sieben gedeckt. Seine Ubara stand wie bereits gesagt auf Ubaras-Tarnkämpfer fünf und wurde von einem Schriftgelehrten auf Ubaras-Schriftgelehrter vier gedeckt. Diese Anordnung von Ubara und Schriftgelehrter jagte mir keine Angst ein. Sollte der Spieler so dumm sein, mit seiner Ubara auf meine Bretthälfte nach Ubars-Hausbauer eins zu ziehen – aus der Sicht des Spielers war es das Feld Ubars-Hausbauer zehn –, würde sie dem Hausbauer auf Ubars-Schriftgelehrter eins zum Opfer fallen. Sein Schriftgelehrter konnte das Feld zwar zurückerobern, aber er hatte seine Ubara an einen Hausbauer verschwendet. Seine letzten beiden Spielsteine standen in seiner ersten Reihe, der Heimstein auf Ubars-Wissender eins und ein Ubars-Hausbauer auf Ubars-Hausbauer eins.

»Wie würdest du dich verteidigen?« fragte der Spieler.

»Du könntest deine Ubara hinüber auf Ubars-Wissender fünf bringen und den Tharlarionreiter bedrohen«, sagte ich.

»Aber du zögst dich dann auf deinen Ubars-Wissender sieben zurück, und der Tharlarionreiter wäre dann von deinem Schriftgelehrten auf Ubara zwei gedeckt«, sagte er. »Dieser Zug könnte die Ubara blockieren und dir erlauben, deinen Druck auf die Linie von Ubars-Wissender aufrechtzuerhalten. Außerdem könnte er dir Zeit verschaffen, einen noch stärkeren Angriff aufzubauen.«

»Natürlich«, sagte ich.

Er schob seine Ubara auf Ubaras-Tarnkämpfer zwei.

»Das ist der bessere Zug«, sagte ich,

»Das glaube ich auch.«

Ubars-Wissender neun, das Feld, von dem aus ich die Gefangennahme des Heimsteins hätte durchführen können, wurde nun von seiner Ubara geschützt.

»Sieh her«, sagte ich.

»Ja?«

Ich schob den Schriftgelehrten von Ubara zwei nach Ubaras-Tarnkämpfer drei. Das brachte ihn in die Diagonale, auf deren Linie das entscheidende Feld Ubars-Wissender neun lag. Der Spieler konnte ihn nicht mit seiner Ubara schlagen, indem er seine Ubaras-Tarnkämpfer-Linie entlangzog, denn der Schriftgelehrte wurde nun durch den zweiten Tharlarionreiter gedeckt, der bis zu diesem Augenblick ganz unschuldig und unverdächtig scheinbar völlig nutzlos auf Ubaras-Schriftgelehrter zwei gestanden hatte. Jetzt zeigte sich der wahre Grund, warum er auf diesem Feld lauerte, und zwar auf dramatische Weise. Ich hatte meine Züge gut geplant.

»Du magst nun deinen Heimstein schützen, aber das wird dich deine Ubara kosten.« Ich würde meinen Tharlarionreiter nach Ubars-Wissender neun schieben und seinen Heimstein bedrohen. Seine einzige Verteidigungsmöglichkeit wäre die Gefangennahme des Tharlarionreiters durch seine Ubara, die ich im Gegenzug mit dem Schriftgelehrten schlagen würde. Ein Tharlarionreiter gegen eine Ubara, ein Tausch zu meinen Gunsten. Danach wäre es bei meinem überwältigenden Vorsprung in der zahlenmäßigen Überlegenheit ein leichtes, das Spiel in kurzer Zeit zu beenden.

»Ich verstehe«, sagte er.

»Und ich hatte Rot«, erinnerte ich ihn. Gelb eröffnet. Das erlaubt ihm, die ersten Züge zu diktieren, was natürlich die Offensive zur Folge hat. Viele Kaissa-Spieler – nicht nur Mitglieder der Kaste der Spieler – kennen verschiedene Eröffnungen mit zahlreichen Varianten, die etliche Spielzüge vorausbestimmen. Das ist einer der Gründe, warum die Spieler, die Rot haben, sich gelegentlich gewisser ungewöhnlicher oder exzentrischer Verteidigungszüge bedienen, die zumindest theoretisch von schwacher Natur sind. Auf diese Weise wird das Spiel aufgelockert, und man ist gezwungen, sich neue Züge einfallen zu lassen, selbst wenn sie zweifelhaft sind. Haben diese ungewöhnlichen oder exzentrischen Verteidigungen dann Erfolg, halten sie natürlich bald Einzug in die allgemeine Spiellehre. Übrigens ist es auf der Meisterebene nicht ungewöhnlich, daß Rot wegen der mit dem zweiten Zug einhergehenden Nachteile auf ein Unentschieden spielt.

»Du hast noch immer Rot«, bemerkte mein Gegner.

»Ich habe lange auf diesen Augenblick der Vergeltung gewartet«, sagte ich. »Mein Triumph wird um so süßer sein, da ich so viele schnelle, überaus demütigende Niederlagen von deiner Hand hinnehmen mußte.«

»Deine Einstellung ist bemerkenswert«, sagte er. »Ich bezweifle, daß mir ein Sieg einen befriedigenden Ausgleich für hundert irgendwie peinliche Niederlagen bringen würde.«

»Es ist nicht so, daß ich so schlecht bin«, sagte ich bescheiden. »Du bist nur ziemlich gut.«

»Vielen Dank.«

Um ehrlich zu sein, ich war noch nie gegen einen besseren Gegner angetreten. Viele Goreaner sind in diesem Spiel recht geschickt, und ich hatte mit ihnen gespielt. Ich hatte sogar gelegentlich mit Mitgliedern der Spielerkaste gespielt, aber ich hatte noch nie jemandem gegenübergesessen, der auch nur annähernd die Klasse meines Gegners gehabt hatte. Sein Spiel war normalerweise genau, fast pedantisch, der geringste Fehler oder die geringste Positionsschwäche des Gegners wurde gnadenlos und vernichtend ausgenutzt; darüber hinaus zeigte er eine glänzende Methodik, wie sie nur bei hochrangigen Spielern vorkam. Sie zeichnete sich durch erstaunliche Kreativität aus. Er gehörte zu den Spielern, die das Spiel nicht bloß spielten, sondern es bereicherten. Außerdem schien er diese Dinge oft – zu meinem Verdruß viel zu oft – mit einer scheinbaren Mühelosigkeit, fast schon anmaßenden Lässigkeit aus dem Ärmel zu schütteln.

Es ist eine Sache, von jemanden geschlagen zu werden; es ist aber eine ganz andere Sache, wenn es ständig passiert und man schwitzend und verbissen dort sitzt, während der Gegner die meiste Zeit – von dem gelegentlichen Blick auf das Brett und dem damit verbundenen schnellen Zug abgesehen – damit zu verbringen scheint, über den Lagerklatsch oder den Flug der am Himmel vorbeitreibenden Wolken nachzusinnen. Falls das Spiel dieses Mannes eine Schwäche hatte, dann die Neigung, gelegentlich seltsamen oder sogar leichtsinnigen Experimenten zu frönen. Außerdem war ich der festen Meinung, daß er manchmal seine Aufmerksamkeit zu sehr abschweifen ließ, im Vertrauen darauf, Fehler zu meistern. Vielleicht neigte er auch einfach nur dazu, den Gegner zu unterschätzen.

Er interessierte sich auch für die Psychologie des Spiels. In einem Spiel hatte er die Ubara en prise gesetzt. Ich war der festen Überzeugung gewesen, daß es sich um den Köder einer raffinierten Falle handelte, und hatte mich nicht nur geweigert, ihn anzunehmen, sondern mir die ganze Zeit darüber Sorgen gemacht. Ich hatte die Ubara gemieden und es schließlich geschafft, mein Spiel selbst zum Zusammenbruch zu bringen. Er hatte es dann wieder getan, mit ziemlich dem gleichen Ergebnis. »Mir war gar nicht aufgefallen, daß es en prise stand«, hatte er später zugegeben. »Ich bin in Gedanken ganz woanders gewesen.« Hätte ich es gewagt, diesen Fehlzug auszunutzen, hätte ich nicht bis heute warten müssen, um ein Spiel gegen ihn zu gewinnen. Ja, manchmal konnte er einen aus der Fassung bringen. Ich zweifelte jedoch keinen Augenblick lang, daß die Partien mit ihm mein Kaissa-Spiel wesentlich verbessert hatten.