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Ich nickte. Aus Sheilas Aussage, die von anderen Quellen gestützt wurde, hatten wir geschlossen, daß sich die Kurii der langsamen Strategie schrittweiser Machtübernahme zuwandten, der Kontrolle einzelner Städte, der dann der Aufbau eines mächtigen Netzwerkes folgen würde. So wollten sie eine Welt für sich gewinnen, die zumindest theoretisch dem Gesetz der Priesterkönige unterlag. Damit eine derartige Strategie überhaupt zur Anwendung kommen konnte, mußten die Sardar sie zumindest dulden. Ich bekam eine Gänsehaut. Es wird nichts Gutes für die Menschen verheißen, dachte ich, sollten die Priesterkönige und die Kurii irgendeine Übereinkunft treffen oder Verbindung eingehen.

»Hast du nichts von den Sardar gehört?« fragte ich.

Samos sah vom Brett auf.

Draußen lärmte die nächste Gauklertruppe mit ihren Trommeln und Trompeten.

»Gegen Ende des Se’Var brachte Yngvar der Weitgereiste, ein Fallensteller aus Torvaldsland, an Bord der Vier Ketten Paga mit«, sagte Samos.

Ich nickte. Die Vier Ketten war mir bekannt. Sie gehörte Procopius dem Kleineren und hatte ihren Ankerplatz in der Nähe von Pier Sechzehn. Man darf Procopius den Kleineren nicht mit Procopius dem Großen verwechseln, einem wichtigen Kaufmann aus Port Kar, dem nicht nur Schenken gehören, sondern der auch mit Papier, Eisenwaren, Wolle und Salz handelt. Der Name Yngvar der Weitgereiste war mir erst seit kurzem bekannt, ich hatte ihm allerdings noch nie persönlich gegenübergestanden. Der Tag, von dem Samos gesprochen hatte, lag etwa zwei Monate in der Vergangenheit.

»Wenn Yngvar betrunken ist, erzählt er viele Geschichten. Eine davon verwirrt mich und macht mir angst. Er behauptet, etwa fünfzig Pasang nordöstlich von Scagnar hätten er und seine Mannschaft etwas in der Luft schweben sehen, eine Art mit einem Netz durchzogenes Glas, in dem sich das Licht brach. Dann erblickten sie in seiner Nähe ein scheibenähnliches silbriges Objekt. Die beiden Objekte schienen in die Tiefe zu schweben, als wollten sie ins Meer eintauchen. Kurze Zeit später verschwand das silberne Objekt wieder. Neugierig und ängstlich ruderten die Männer zu dem Ort, an dem die beiden Flugobjekte anscheinend niedergegangen waren. Aber dort war nichts, nicht einmal ein Riff. Sie wollten gerade umkehren, als einer der Männer etwas entdeckte. Keine zwanzig Meter vom Schiff entfernt trieb halb untergetaucht eine geflügelte große Kreatur. So etwas hatten die Männer noch nie gesehen. Die Kreatur war tot. Nach einiger Zeit ging sie unter und versank.«

»Ich kenne die Geschichte«, sagte ich. Tatsächlich hatte ich sie erst vor ein paar Tagen gehört. Sie schien in den Schenken zu kursieren. Yngvar hatte zusammen mit anderen Torvaldslandern neue Verträge unterzeichnet und war kurz darauf mit dem Schiff in Richtung Norden abgesegelt. Weder Samos noch ich hatten ihn befragen können.

»Der Zeitpunkt dieses Vorfalls ist unklar«, sagte ich.

Samos nickte. »Anscheinend ist es schon länger her.«

Vermutlich hatte sich dieser Zwischenfall nach meinem Aufenthalt in Torvaldsland zugetragen, sonst wäre er mir dort zu Ohren gekommen. Ungewöhnliche Geschichten verbreiten sich schnell in den Sälen, dafür sorgen schon die Händler und Sänger. Eine derartige Geschichte wäre sicherlich auf einem Thing-Jahrmarkt erzählt worden. Ich war im Runen-Jahr 1006 in Torvaldsland gewesen. Die Zeitrechnung von Torvaldsland stützt sich auf den Augenblick, da Torvald, der legendäre Held und Begründer des nördlichen Vaterlandes, von Thor den warmen Torvald-Strom als Geschenk erhielt. Die Kalender werden von Runenpriestern geführt. Mein Besuch hatte umgerechnet im Jahr 10222 C.A. oder im Jahr 3 der Herrschaft des Kapitänsrates von Port Kar stattgefunden. Die Geschehnisse, von denen Yngvar berichtet hatte, hatten sich vermutlich vor vier oder fünf Jahren zugetragen.

»Vermutlich ist es ein paar Jahre her«, sagte Samos.

»Vermutlich«, räumte ich ein.

»Das Schiff gehörte wahrscheinlich den Priesterkönigen.«

»Anzunehmen«, stimmte ich zu. Es erschien unwahrscheinlich, daß ein Schiff der Kur offen durch goreanischen Luftraum flog.

»Eine interessante Geschichte«, sagte Samos.

»Ja.«

»Vielleicht bedeutet sie etwas.«

»Vielleicht.«

Ich erinnerte mich an einen Vorfall vor langer Zeit, als ich im Nest der Priesterkönige vor der sterbenden Mutter gestanden hatte. »Ich sehe ihn, ich sehe ihn«, hatte sie gesagt. »Seine Flügel sind wie Schauer aus Gold.« Dann war sie auf den Stein zurückgesunken. »Die Mutter ist tot«, hatte Misk gesagt. Bemerkenswerterweise hatten ihre letzten Gedanken anscheinend ihrem Hochzeitsflug gegolten. Zweifellos gab es nun eine neue Mutter im Nest. Yngvar und seine Männer waren meiner festen Überzeugung nach unwissentlich Zeuge des Beginns einer neuen Dynastie der Priesterkönige geworden.

»Hast du etwas von den Sardar gehört?« fragte ich erneut.

Samos sah auf das Brett. Sein Zögern, meine Frage zu beantworten, überraschte mich. Natürlich war es möglich, daß er etwas gehört hatte, was mich nichts anging. Ich hatte nicht vor, die Nase in seine Angelegenheiten zu stecken – oder in die der Priesterkönige. Andererseits war es genausogut möglich, daß sie nichts von sich hatten hören lassen.

Wir spielten jeder vier Züge.

»Du spielst heute nicht so wie immer«, sagte ich zu ihm.

»Tut mir leid.«

Ein anderes Mädchen, Susan, tanzte jetzt. Tula ließ sich von einem Mann zum nächsten weiterreichen. Einige der anderen Mädchen standen ebenfalls ihren Herrn auf eindeutige Weise zu Diensten. Dann gab es noch welche, die ihre Herren küßten und streichelten, ihnen um Aufmerksamkeit bettelnd ins Ohr flüsterten.

Wir spielten noch ein paar Züge.

»Was macht dir Sorgen?« fragte ich Samos.

»Nichts.«

»Gibt es sonst etwas Neues?«

»Tarnmänner aus Treve haben die Außenbezirke von Ar überfallen«, sagte Samos.

»Sie werden mutig«, sagte ich.

»Cos und Ar befehden sich noch immer.«

»Natürlich.«

»In Tyros werden weiterhin Schiffe gebaut.«

»Chenbar vergißt nie etwas«, sagte ich. Ein Großteil von Tyros’ Seestreitkräften waren in der Schlacht am 25. Se’Kara vernichtet worden, im Jahr l der Herrschaft des Kapitänsrates.

»Unsere Spione berichten, daß in Cos viele Männer ausgebildet und Söldner rekrutiert werden«, sagte Samos.

»Wir könnten die Werften von Tyros angreifen«, sagte ich. »Zehn Rammschiffe, tausend Mann, eine handverlesene Streitmacht.«

»Die Werften sind gut befestigt«

»Glaubst du, Cos und Tyros werden zuschlagen?«

»Ja.«

»Wann?«

»Ich weiß nicht«, sagte er.

»Es ist bemerkenswert«, meinte ich. »Ich kann Port Kar nicht als große Bedrohung für sie sehen. Die Macht von Ar im Voskbecken scheint doch eine viel größere Bedrohung für Cos’ und Tyros’ Einfluß und ihr Handelsgebiet darzustellen.«

»Sollte man annehmen.«

»Natürlich hat die Gründung der Voskliga die Dinge schwieriger gemacht.«

»Das ist wahr«, bestätigte Samos.

»Worin bildet man die Männer von Cos aus?«

»Es ist eine Infanterieausbildung.«

»Das ist gut zu wissen«, sagte ich. Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß ein Infanterieangriff auf Port Kar erfolgreich wäre, sofern es sich um einen Angriff mit normalem Aufmarsch und normaler Taktik handelte. Das hatte seine Ursache vor allem in der Lage der Stadt: Man hatte sie am nordwestlichen Ufer des Vosk erbaut; vor ihren Mauern liegen die Fluten des Thassas und des Tamburgolfs, während sich dahinter das riesige straßenlose Marschland des Vosk befindet.