»Genau«, sagte der Spieler.
»Die Auflistung der Züge in einer kontinuierlichen Reihenfolge verrät natürlich die Reihenfolge der Buchstaben in der Botschaft.«
»Richtig«, sagte der Spieler.
»Ich verstehe auch, was die Vielfachen damit zu tun haben. So könnte zum Beispiel der Buchstabe Eta, der am häufigsten vorkommende Buchstabe, auf jedem beliebigen Brett von einer ganzen Reihe geeigneter Quadrate repräsentiert werden, es handelt sich dann jedesmal um ein anderes Quadrat, das Eta entspricht. Man könnte auf dem Brett umherhüpfen und ›Etafelder‹ benennen, wie es einem gerade in den Sinn kommt. Zwischen Sender und Empfänger käme es zu keinerlei Mißverständnissen, solange die verschlüsselte Botschaft in der kontinuierlichen Reihenfolge erfolgt ist.«
»Stimmt.«
»Aber was hat es mit den Nullen auf sich?«
»In meiner Erklärung sprach ich von zur Verfügung stehenden Feldern«, erinnerte der Spieler mich. »Ein Spielbrettcodeschlüssel besteht in der Regel aus einem festgelegten Wort und einer Liste von Null-Feldern. Die Nullen dürfen in der verschlüsselten Botschaft oft vorkommen, aber der Empfänger sondiert sie natürlich sofort aus.«
»Ich verstehe«, sagte ich. Das Vorkommen von Nullen und Vielfachen in einer Botschaft erschwerte die Entschlüsselung ohne Schlüssel zusätzlich.
»Die wahre Macht des Codes liegt meiner Meinung nach nicht einmal im Gebrauch der Vielfachen und Nullen, sondern in dem Gebrauch mehrerer Spielbretter«, meinte der Spieler. »Es ist ohne Schlüssel oft so gut wie unmöglich, selbst kurze, in einfachen Codes ausgedrückte Nachrichten zu entschlüsseln. Man hat einfach nicht genug Material, mit dem man arbeiten kann. Folglich ist auch schwer, wenn nicht sogar unmöglich, einen hypothetischen Schlüssel auszuprobieren. Man kann nicht einfach den einen verwerfen, um so vielleicht andere zu bestätigen. Für eine derartige Botschaft kann man theoretisch zahllose und oft sogar sich widersprechende Analysen erstellen. Die Benutzung mehrerer Spielbretter erlaubt, den Code mehrere Male innerhalb einer Nachricht zu wechseln. Das macht diese Nachrichtenübertragung noch sicherer.«
»Diese Codes scheinen einfach und schlicht zu sein, doch zugleich sind sie nicht zu entschlüsseln.«
»Außerdem ist es nicht nötig, alles in normaler Schriftform auf die Spielbretter zu schreiben. Man kann alle Zeilen von links nach rechts oder von rechts nach links schreiben, man kann sie vertikal aufschreiben, von oben oder unten, man kann an einem vorher festgelegten Punkt ansetzen und von dort spiralenförmig weitermachen. Nach der Nachricht kann man das restliche Alphabet auch rückwärts niederschreiben oder an einem vorher festgelegten Punkt beginnen, oder die Buchstabenreihenfolge umdrehen. Diese Variationen bedürfen nur eines kurzen Zusatzes beim Schlüssel und der Liste der Nullfelder.«
»Ich verstehe.«
»Darum begreifst du jetzt, warum ich dir nicht helfen kann. Es tut mir leid.«
»Aber du hast mir geholfen. Du hast mir eine Vorstellung davon verschafft, womit ich es hier zu tun habe. Ich stehe tief in deiner Schuld.«
»Ohne den richtigen Schlüssel und die Auflistung der Nullfelder sind solche Codes praktischerweise so gut wie nicht zu entschlüsseln.«
»Ich verstehe«, sagte ich. Ich hatte bereits befürchtet daß es schwierig oder gar unmöglich sein würde, die Nachrichten ohne den dazu passenden Schlüssel lesen zu können. Dieser Schlüssel wäre in Brundisium und natürlich in Ar zu finden, falls das tatsächlich der Bestimmungsort der Dokumente war. Nun war es schon wahrscheinlicher, daß die Nachrichten nicht für die Priesterkönige bestimmt waren.
Erstens hatte Flaminius, an den Lady Yanina die Dokumente hatte übergeben sollen, anscheinend nicht beabsichtigt sie an die Sardar weiterzureichen, sondern an eine Person in Ar.
Zweitens erschien es mir ziemlich unwahrscheinlich, daß Nachrichten für die Priesterkönige oder ihre Agenten in einem Kaissa-Code versandt wurden. Solch ein Code schien zu goreanisch für die Priesterkönige zu sein. Soweit mir bekannt war, waren Priesterkönige weder mit dem ›Spiel‹ – wie es die Goreaner oft nannten – vertraut, noch spielten sie es. Ich hatte den Verdacht, daß eine solche Form der Nachrichtenübermittlung eher zu den Agenten der Kurii paßte.
Die Papiere waren mit einem typisch goreanischen Code verschlüsselt worden, was mich auf den Gedanken brachte, daß es eine Verbindung zwischen den Kurii, ihren Agenten, Brundisium und Ar geben mußte. Das wäre durchaus nicht ungewöhnlich, da die beiden Städte angeblich enge Beziehungen pflegten. Dieser Code war eine praktische Art Botschaften auszutauschen in einer Welt, wo man Fremden oft mit Mißtrauen begegnete, in einer Welt, wo es für ›Fremder‹ und ›Feind‹ nur ein Wort gab. Ich hatte den Verdacht, daß die Kurii Brundisium beherrschten oder zumindest dort viel Einfluß hatten. Vielleicht war die Stadt einer ihrer Außenposten oder eine Operationsbasis, so wie es Corcyrus in der jüngeren Vergangenheit gewesen war. Lady Yanina hatte zum Hof des Ubars von Brundisium gehört, einem Kerl namens Belnar. Es war also durchaus möglich, daß – wenn sie in seinem Auftrag unterwegs gewesen war – er mit den Kurii im Bunde stand.
Der Schlüssel für die Botschaften befände sich in dem Palast von Brundisium, möglicherweise sogar in den Privatgemächern des Ubars. Ich verbarg mich vor den Priesterkönigen, und zwar so lange, bis Samos gewisse Dinge mit den Sardar geregelt hatte oder sich neue Entwicklungen ergaben. Ich war nicht erfreut über die Priesterkönige. Ich betrachtete mich nicht länger als einen ihrer Agenten. Bestenfalls hatte ich ihnen in der Vergangenheit gedient, wenn es meinen Absichten entgegenkam. Ich war in ihren Kriegen weniger ein durch Eid gebundener Anhänger als vielmehr ein freier Kämpfer gewesen, eine Art Söldner, der sich nach Lust und Laune einer Sache verschreibt.
Natürlich erkannte ich noch immer an, daß es die Macht der Priesterkönige war, die sowohl Gor als auch die Erde vor dem Angriff der Kurii schützte, die im Inneren ihrer Stahlwelten zwischen den kleinen Welten und Monden des Asteroidengürtels lauerten. Und so war es durchaus nicht verkehrt, daß ich ihrer Sache zumindest wohlwollend gegenüberstand. Falls Brundisium mit den Kurii im Bunde war, würde es nicht schaden, wenn Samos davon erfuhr. Ja, bei längerem Nachdenken erschien es mir nun sogar als ziemlich wahrscheinlich, daß Brundisium mit den Kurii zu tun hatte, daß irgendeine Verbindung zwischen dem Palast in Brundisium und dem Treiben der Bewohner der Stahlweiten bestand. Was aber noch wichtiger war: Ich war neugierig geworden, was den Inhalt der Geheimbotschaften anging. Vielleicht war der nötige Schlüssel in Belnars Privatgemächern zu finden. Vielleicht konnte ich ihnen einen Besuch abstatten. Natürlich wäre es nicht leicht, Zugang zum Palast zu erhalten. Aber möglicherweise ließ sich das irgendwie bewerkstelligen.
Wir waren weniger als fünfhundert Pasang von Brundisium entfernt. Bald müßte ich Lady Yanina in den Vorstellungen eine Haube aufsetzen, damit man sie nicht zufällig erkannte. Vielleicht war es sogar besser, sie an jemanden zu verkaufen, der in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war, und sie durch eine Sklavin zu ersetzen, die ich irgendwo kaufte, ein Mädchen, das man ohne Schwierigkeiten mit nach Brundisium nehmen konnte, ein Mädchen, das aus einer anderen Stadt kam und sich dort niemals zurechtfände.
»Du bist in Wahrheit kein Vagabund, oder?« fragte der Spieler.
»Ich bin ein Mitglied der Truppe des Boots Tarskstück, seines Zeichens Schauspieler, Theaterdirektor und Impresario«, erwiderte ich.
»So wie ich auch.«
»Das dachte ich mir.«
»Also belassen wir es dabei«, sagte der Spieler.
»Ja.«
Wir erhoben uns. Es war bald Zeit für das Nachtmahl. Heute abend waren Rowena und Lady Yanina für seine Zubereitung zuständig. Mich amüsierte die Vorstellung, daß sie gezwungen waren, Sklavenarbeiten zu verrichten.
In der Ferne sah ich Boots, der aus einem nahegelegenen Dorf zurückkehrte, wo er Lebensmittel eingekauft und für unsere Vorstellung geworben hatte. Hinter ihm ging gebeugt unter der Last seiner Einkäufe eines seiner Mädchen; Lady Telitsia war nackt und barfüßig, und der Staub der Straße reichte ihr bis zu den Oberschenkeln. Doch dann fiel mein Blick auf Bina, die ebenfalls näher kam. Sie kam vom Fluß, auf den Schultern ein Joch, an dem zwei Eimer baumelten.