»Stimmt das?« wiederholte der Theaterdirektor die Frage.
»Nein«, sagte der Spieler.
Bina schluchzte entsetzt auf.
»Sprich!« befahl Boots.
»Ich habe mich in Gegenwart freier Männer nicht hingekniet«, schluchzte sie. »Ich habe auf das Gewand eines freien Mannes getreten, ich habe Staub daraufgetreten. Ich war anmaßend.«
»Weiter«, sagte Boots.
»Ich habe einen freien Mann mit Wasser begossen.«
»Sonst noch etwas?«
»Herr?« fragte sie.
»Du erinnerst dich doch sicher, daß da noch etwas war.«
»Ich habe meinen Herrn angelogen«, weinte sie.
»Und hast du diese Dinge unabsichtlich oder absichtlich getan?«
»Mit Absicht, Herr. Gnade!«
»Was sollen wir mit dir anfangen?« fragte Boots. »Sollen wir dich als Sleenfutter verkaufen? Oder dich mit glühenden Zangen quälen?«
»Bitte, Herr«, schluchzte Bina, warf sich auf den Bauch und umklammerte Boots’ Knöchel. »Bitte, Herr!«
»Ich weiß, was ich tun werde. Jemand anders soll entscheiden, wie deine Strafe aussieht«, sagte der Theaterdirektor. »Und zwar derjenige, den du noch mehr als mich beleidigt hast unseren maskierten Freund, der Spieler.«
»Nein, Herr«, jammerte Bina. »Nicht er, bitte, nicht er!«
»Spieler?« fragte Boots.
»Das Gewand wird wieder trocknen«, sagte der Spieler. »Es ist mir gleichgültig. Darum soll sie von mir aus überhaupt nicht bestraft werden.«
Bina schluchzte erleichtert.
»Das kann ich nicht annehmen«, meinte Boots. »Sie muß bestraft werden.«
»Sie gehört dir«, meinte der Spieler. »Mach mit ihr, was du willst.«
»Auf die Knie, Sklavin«, befahl Boots.
Bina gehorchte.
»Der Spieler hat unglaubliche Gnade walten lassen«, sagte Boots.
»Ja, Herr.«
»Ich jedoch werde nicht so gnädig sein.«
»Ja, Herr«, flüsterte sie.
»Hör deine Bestrafung, Sklavin.«
»Ja, Herr.«
»Als erstes wirst du deine Schuhe abgeben.«
»Ja, Herr«, sagte sie erfreut, setzte sich hin und zog sie aus. Dann kniete sie wieder nieder und gab Boots die Pantoffeln. Unter anderen Umständen wäre dies eine passende und demütigende Strafe gewesen, da sie in aller Öffentlichkeit zurückgestuft wurde. Doch bei diesen vielen schwerwiegenden Vergehen war dieser Befehl fast schon lächerlich.
»Ich erwarte, daß du dich besserst«, sagte Boots.
»Ja, Herr«, sagte sie demütig mit gesenktem Kopf.
Aber ich sah ihr durchtriebenes Lächeln. Mit welch einer leichten Strafe war sie davongekommen! Mir entging nicht, wie sie dem Spieler einen verächtlichen, triumphierenden Blick zuwarf. Er war zu weich, zu schwach gewesen, um sich an ihr zu rächen. Und wie erfolgreich waren ihre Versuche gewesen, ihren Herrn zu beschwichtigen! Es hatte den Anschein, als könnte sie tun, was sie wollte, ohne mit einer Bestrafung rechnen zu müssen. Sie hatte gewonnen!
»Da ist noch etwas, Bina«, sagte Boots.
«Ja, Herr?«
»Sieh das Ungeheuer an.«
»Ja, Herr.«
Sie sah das Ungeheuer an. Der in Schwarz gekleidete, maskierte, hochgewachsene Spieler sah mit verschränkten Armen auf sie hinunter.
»Bis auf weiteres gehörst du ihm«, sagte Boots.
»Nein!« schrie Bina außer sich vor Entsetzen. »Nein!«
Die anderen Sklavinnen stöhnten auf.
»Du wirst für ihn kochen, nähen und waschen und alle anderen Pflichten einer Sklavin erfüllen. Du wirst ihm gehorchen, als wärst du seine Sklavin.«
»Bitte, Herr, nein!« schluchzte sie,
»Es ist beschlossen.«
»Vielen Dank«, sagte der Spieler.
»Keine Ursache,«
Bina legte das Gesicht in die Hände und fing hemmungslos an zu weinen.
»Geh, Sklavin, geh in den Wagen deines derzeitigen Herrn«, sagte Boots. »Dort wartest du auf ihn.«
»Ja, Herr«, schluchzte sie, sprang auf und lief zum Wagen des Spielers. Die anderen Mädchen sahen ihr entsetzt nach. Keine von ihnen hätte gedacht, daß die Strafe so aussehen würde.
»Und was den Rest von euch Frauen angeht«, sagte Boots und klatschte in die Hände, »zurück an eure Arbeit.«
Die Mädchen verschwanden aus seiner Sicht, so schnell sie nur konnten.
»Für die Vorstellungen brauche ich sie natürlich«, sagte Boots zu dem Spieler. »Ich hoffe, das ist klar.«
»Selbstverständlich«, erwiderte der Spieler.
Boots wandte sich ab und ging zu seinem Wagen.
»Ich gratuliere«, sagte ich zu dem Spieler.
Er zuckte mit den Schultern.
»Freust du dich denn nicht?«
»Bis jetzt hat sich mein Leben allein um Kaissa gedreht«, antwortete er. »Was soll ich mit ihr?«
»Dir wird schon etwas einfallen«, meinte ich.
Er sah zu seinem Wagen. Die Tür war geschlossen. Das Mädchen würde im Inneren sitzen und ihn erwarten.
»Ja, das stimmt«, sagte er.
10
Ich umklammerte die Gitterstäbe des kleinen Zellenfensters und sah auf den Hof hinaus. Ich stand auf einem Tisch, den ich an die Wand geschoben hatte, um einen Blick nach draußen werfen zu können. Der schmalschulterige und dünnbeinige kleine Urtmann hockte auf seinem Stroh.
»Ich habe dich gewarnt«, hatte Boots in seinem Lager gejammert. »Aber du wolltest ja nicht hören!«
Vor fünf Tagen hatte ich in einem in der Nähe befindlichen Dorf Sa-Tarna-Korn gekauft, aus dem die Mädchen im Lager mit Hilfe von flachen Steinen, Sieben und Töpfen Mehl machen sollten. Das war billiger, als fertiges Mehl zu kaufen, mußte man doch die Arbeit der Bauersfrauen oder der Mühle zusätzlich bezahlen. Ich hatte den Sack auf den Schultern getragen, er war nicht schwer gewesen. Da kam plötzlich Lady Telitsia angelaufen und warf sich vor mir auf die Knie. »Lauf, Herr!« rief sie. »Lauf! Es sind Männer im Lager, die nach dir Ausschau halten!«
»Wer sind sie?« fragte ich. »Was wollen sie?«
Einen Augenblick später stürmten etwa zwanzig Tharlarion wie aus dem Nichts heran, brachten die Erde zum Erbeben und hüllten mich in Staubwolken ein. Ich war umzingelt. »Halt!« schrie ein Mann. »Keine Bewegung!« Armbrüste zielten auf mich. Ein großer, wie eine Fahne flatternder Umhang blähte sich hinter dem Anführer auf. Ich kannte den Umhang – genau wie seinen Träger.
»Fesselt ihn«, sagte Flaminius, der in den Diensten Belnars stand, des Ubars von Brundisium.
Männer sprangen zu Boden. Man zerrte mir den Sack Sa-Tarna-Korn von den Schultern, riß mir die Hände auf den Rücken und legte mir eiserne Handschellen an. Einer der Männer fing das Ende einer langen Kette auf und ließ den daran befestigten Stahlreifen um meinen Hals einrasten. Flaminius band das andere Ende der Kette zweimal um seinen Sattelknauf. »So treffen wir uns wieder, Brinlar«, sagte er. »Oder soll ich sagen: Bosk aus Port Kar?«
»Ich bin Bosk aus Port Kar«, erwiderte ich.
Mehrere der Männer sahen sich unbehaglich an.
»Er ist gefesselt und liegt an der Leine«, sagte Flaminius zu seinen Männern. Er wandte sich wieder mir zu. »Wir haben dich gefangengenommen wie einen Sklaven.«
Ich zog an den Handschellen. Sie saßen fest, sie waren geschmiedet worden, um Männer zu halten, selbst Krieger.
»Wir haben beobachtet, wie der fette Kerl von der Schauspielertruppe etwas zu der Sklavin sagte«, sagte Flaminius. »Dann sahen wir, wie sie sich aus dem Lager schlich. Es war klar, daß sie dich warnen wollte. Dann brauchten wir ihr nur noch zu folgen, und die kleine nackte Schlampe hat uns direkt zu dir geführt.«
»Vergib mir, Herr«, stöhnte Lady Telitsia.
»Eigentlich wollten wir im Lager auf dich warten«, sagte Flaminius. »Aber so war es viel einfacher. Zum Beispiel hat es uns das Problem erspart, die Tharlarion verstecken zu müssen, die dich vielleicht mißtrauisch gemacht hätten.«
»Das hätten sie sicher«, sagte ich. »Wie habt ihr mich gefunden?«
»Du befindest dich auf dem Boden Brundisiums«, sagte er.
»Und?«
»Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, über alle Fremden Bescheid zu wissen, die sich innerhalb unserer Grenzen aufhalten«, fuhr er fort. Ich erinnerte mich, daß Boots mir erzählt hatte, daß man in Brundisium aus einem unerfindlichen Grund die Sicherheit übertrieben ernst nahm. Anscheinend war sie noch strenger, als er gewußt hatte, und erstreckte sich auch auf jenseits der Stadtmauern.