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Chino und Lecchio, die zwei einfache Reisende darstellten, waren unerwartet auf Petrucchio und dessen Gefährtinnen gestoßen und sahen sich nun verblüfft an.

»Hinfort, aber schnell!« rief Petrucchio und schwang das große Schwert erneut, was die Mädchen hinter ihm veranlaßte, sich wieder tief zu ducken.

»Aber edler Freund«, rief Chino aus sicherer Entfernung, »wir sind doch bloß bescheidene Schneidergesellen.«

»Versucht nicht, Petrucchio zu täuschen, den Kapitän aus Turia!« rief Petrucchio. »Für ihn sind eure Verkleidungen, so geschickt sie auch ersonnen sein mögen, um andere zu täuschen, so durchsichtig und fadenscheinig wie der Schleier von Anango!« In der nördlichen Hemisphäre stellt der Petrucchio meistens einen Kapitän aus Turia dar, einer fernen Stadt. Wie ich gehört habe, ist er in der südlichen Hemisphäre ein Kapitän aus Ar. Wichtig dabei ist nur, daß er aus einer großen und beeindruckenden Stadt kommt, die gewisse Erwartungen oder Neid schürt und gleichzeitig weit entfernt liegt. Es fällt einem immer leichter zu glauben, daß Leute aus der Ferne prahlerische Feiglinge sind. Man hat ihnen nur selten in der Schlacht gegenübergestanden. Die Wahl einer fernen Stadt hat auch den Vorteil, daß es ziemlich unwahrscheinlich ist, daß sich Bürger dieser Stadt im Publikum befinden; allerdings verstehen die meisten Goreaner, was auf der Bühne vor sich geht, und genießen die Farce, selbst wenn der Kapitän einer der Ihren sein sollte.

Zufälligerweise wiesen mich meine Ausweispapiere, die mir Zugang zu dem Bankettsaal verschafft hatten, als Bürger Turias aus. Die Papiere hatte mir ein Bursche geliehen, dem ich genug Tassapulver verabreicht hatte, daß ein Kailiauk mehrere Ahn lang außer Gefecht gewesen wäre. Um ganz sicher zu sein, hatte ich ihn gefesselt und geknebelt in einen Wandschrank gesperrt. Dort würde ihn vermutlich der Reinigungssklave am nächsten oder spätestens übernächsten Tag finden.

Die Anspielung auf den ›Schleier von Anango‹ bezog sich natürlich auf den Schleier der bekannten Farce ›Der Schleier von Anango‹. Tatsächlich war dies das meistgespielte Stück in Boots’ Repertoire. Normalerweise schlüpfte die Figur der Brigella – wie bereits erwähnt, dient der Rollenname meistens zugleich auch als Name der betreffenden Sklavin – in die weibliche Hauptrolle dieses Stückes, aber jetzt hatte Boots’ Sklavin Lady Telitsia diese Rolle übernommen.

»Du siehst unsere Kleidung«, protestierte Chino. »Sie ist eindeutig die der Schneiderzunft.«

»Genau«, bestätigte Lecchio.

»Ha!« rief Petrucchio skeptisch, stellte aber die Spitze des langen Holzschwertes auf die Bühne, reichte mit der Hand unter die langnasige Halbmaske und begann charakteristischerweise die eine Hälfte des riesigen, furchterregenden Schnurrbarts zu zwirbeln.

»Und hier sind unsere Rucksäcke!« rief Chino und nahm den Rucksack ab.

»Zweifellos mit Waffen vollgestopft«, vermutete Petrucchio und zwirbelte den Schnurrbart.

Die Mädchen in den Gewändern der Verhüllung, die noch immer hinter Petrucchio kauerten, schrien ängstlich auf.

»Zittert nicht vor Angst, meine Lieben«, sagte Petrucchio beruhigend. »In der Tat, es ist nicht einmal angebracht zu erbeben, es sei denn, es bereitet euch Vergnügen. Ihr könnt sogar ganz ruhig atmen, wenn ihr wollt, denn so sicher ihr in euren Betten innerhalb eurer Sternfestungen wart, beschützt von der Aufmerksamkeit tausend tapferer Wärter, so sicher seid ihr hier – ach was, noch sicherer, denn obwohl ihr euch auf einer Landstraße befindet, steht ihr hinter den stählernen Mauern, die meine Klinge webt!«

»Mein Held!« rief die erste.

»Mein Held!« rief die zweite.

»Mein Held!« rief die dritte.

Chino und Lecchio sahen sich an.

Petrucchio wandte sich schnurrbartzwirbelnd vertraulich ans Publikum. »Falls jemand noch immer nicht weiß, was hier vorgeht«, sagte er, »ich bin Petrucchio, ein Kapitän aus Turia, und die drei edlen Damen von hohem Rang und adliger Geburt hinter mir stehen unter meinem Schutz.«

Das Publikum lachte. Alle wußten natürlich, daß es sich bei den Mädchen um Sklavinnen handelte. Schließlich standen sie auf einer Bühne. Es waren Rowena, Lady Telitsia und Bina. Im Publikum saßen nur Männer. Zur rechten Hand Belnars, des Ubars von Brundisium, war allerdings noch ein Platz frei. Ich hatte Belnar schon einmal gesehen, und zwar damals in der Ubarloge über der Arenagrube. Er war ein dicker, schmierig aussehender Bursche. Zu seiner linken Hand saß Flaminius, der an diesem Abend schlechte Laune zu haben schien. Um die beiden Männer herum saßen Offiziere und Angehörige des Adels. Ein Stück von Belnar entfernt saß ein Mann, der das Gewand der Spielerkaste trug; es war Temenides aus Cos. Ich fand es bemerkenswert, daß ein Mitglied der Spielerkaste aus Cos am Ersten Tisch sitzen durfte, und das in einer Stadt, die mit Ar verbündet war. Allerdings können sich die Spieler frei auf ganz Gor bewegen. Sie reisen gern umher, und meistens haben sie freien Zutritt zu allen Orten; in der Mehrzahl der goreanischen Lager, Dörfer und Städte heißt man sie willkommen. In dieser Hinsicht ähneln sie den Musikanten, die im allgemeinen ähnliche Privilegien genießen. Es gibt auf Gor ein Sprichwort: Ein Musikant kann kein Fremder sein! Es bezieht sich manchmal auch auf die Mitglieder der Spielerkaste. Notgedrungen verliert es in der Übersetzung, denn im Goreanischen wird normalerweise dasselbe Wort für ›Fremder‹ wie für ›Feind‹ benutzt. Wenn man das aber weiß, wird die tiefere Bedeutung dieses Sprichworts verständlicher.

»Ist es die Wahrheit, daß du – wie du uns erzähltest, als du deinen Scharfblick hinsichtlich des Erkennens von Verkleidungen erwähntest – tatsächlich der berühmte Petrucchio bist?« fragte Chino.

»Ja.«

»Wer ist Petrucchio?« fragte Lecchio. »Ich habe noch nie von ihm gehört. Und du bestimmt auch nicht.«

»Der edle Petrucchio, der weithin bekannte Petrucchio?« fragte Chino.

»Chino«, protestierte Lecchio.

Chino stieß seinen Begleiter verstohlen an.

»Ganz genau«, sagte Petrucchio.

»Der mutige Petrucchio?«

»Richtig.«

»Der schlaue und prächtige Petrucchio aus Turia?«

»Ja«, erwiderte Petrucchio. »Erzittere, wenn du magst. Du kannst auch verzagen, das bleibt dir überlassen!«

»Du mußt doch von diesem Mann gehört haben, Lecchio«, sagte Chino, an seinen Begleiter gewandt.

»Nein«, sagte Lecchio. Das brachte ihm einen Tritt gegen das Schienbein ein. »Ja, ja!« rief er sofort. »Natürlich, der große Petrucchio!«

»War nicht er es, der auf den sieben Wiesen von Saleria ganz allein eine Schneise in die Legionen der zehn Städte schlug?« fragte Chino.

»Ich sehe, mein Ruf eilt mir voraus«, sagte Petrucchio und zwirbelte den Schnurrbart.

»Der die Belagerung von elf Städten beendete?«

»Davon hörte ich, will mir scheinen«, sagte Lecchio.

»Der die Tore von fünfzehn Städten stürmte?«

»Das kann schon sein«, sagte Lecchio unsicher.

»Und der von zehntausend Tuchuks in deren eigenem Land angriffen wurde und sie in die Flucht schlug?«

»Elftausend«, sagte Petrucchio.

»Ja!« rief Lecchio. »Du hast recht. Ich kenne ihn. Das ist er.«

»Kein anderer«, sagte Petrucchio.

»Was führt dich in dieses Land, edler Kapitän?« fragte Chino. »Ist es deine Absicht, es zu vernichten, vielleicht aus Gründen einer kaum erwähnenswerten, eingebildeten Beleidigung?«

»Nein, nein«, sagte Petrucchio.

»Dann willst du also ein paar Städte brandschatzen?«

»Nein.«

»Nicht einmal ein kleines Heer besiegen?«

»Nein.«

»Was könntest du dann hier wollen?«

»Ich bin, wie du mittlerweile ja begriffen hast, Petrucchio, ein Kapitän aus Turia und beschütze diese edlen Damen« – er zeigte auf die Frauen hinter sich – »von hoher Geburt. Für diese Dienste hat man mich bezahlt.«

»Das sind alles freie Frauen?« fragte Chino.

»Natürlich!« erwiderte Petrucchio leicht verschnupft, anscheinend dazu bereit, an der geringsten Andeutung einer wie auch immer gearteten Unterstellung Anstoß zu nehmen, mit all den furchtbaren Konsequenzen, die sich daraus für den unglücklichen Übeltäter ergäben.