»Welch ein Glück für sie, daß sie unter dem Schutz eines so erfahrenen, mutigen und klugen Mannes stehen«, sagte Chino und raunte Lecchio zu: »Ob das alles so richtig ist, wird sich noch erweisen.«
»Warte!« brüllte Petrucchio. »Was bedeutet dieses
›Ob das alles so richtig ist, wird sich noch erweisen‹?«
»Sein Gehör ist schärfer als das einen jagenden Sleen«, sagte Chino zu Lecchio, der den Finger ins Ohr steckte und den Kopf schüttelte, als wäre er taub geworden.
»Oh, vermutlich ist es nichts, nehme ich an«, sagte Chino an Petrucchio gewandt.
»Und was soll dieses ›Nehme ich an‹ bedeuten?«
»Nun, eben nichts«, sagte Chino, um dann hinzuzufügen: »Nehme ich an.«
»Zweifelst du an meiner Fähigkeit, diese Damen, wenn es sein muß bis zum Tode zu verteidigen, wenn es sein muß, sogar gegen ganze Heere?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Chino hastig. »Ich fragte mich lediglich, ob unter diesen Umständen solche Mühen gerechtfertigt sind.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Petrucchio.
»Es sind doch freie Frauen?« fragte Chino.
»Natürlich.«
»Dann sind meine Befürchtungen grundlos«, sagte Chino erleichtert.
»Welche Befürchtungen?«
»Aus welcher Stadt kommt ihr?« fragte Chino in einem Tonfall, als spiele es keine Rolle, obwohl es tatsächlich von enormer Wichtigkeit war.
»Wir kommen aus Pseudopolis«, erwiderte Petrucchio. Natürlich gibt es diese Stadt in Wahrheit nicht. Man hatte sie für das Stück erfunden. Der Name bedeutete übersetzt soviel wie ›Stadt der Betrüger ‹.
»Es ist, wie ich befürchtet habe«, stöhnte Chino an Lecchio gewandt.
»Tatsächlich?«
»Allerdings.«
»Einen Augenblick«, rief Petrucchio. »Was geht hier vor?«
»Nein«, sagte Chino fest. »Es ist unmöglich. Allein schon der Gedanke ist absurd.«
»Sprich deutlich, Kerl«, verlangte Petrucchio.
»Man hat dich natürlich im voraus bezahlt?« fragte Chino.
»Natürlich.«
»Mit beglaubigtem Gold?«
»Beglaubigtem Gold?«
»Ja«, sagte Chino. »Falls du dir die Echtheit der Münzen nicht hast beglaubigen lassen, mein Freund Lecchio hier ist von der Kaste der Münzpräger ermächtigt, die nötige Prüfung vorzunehmen.«
»Wir versichern dir, daß unser Gold in Ordnung ist«,
sagte Rowena.
»Es könnte nicht schaden, es zu überprüfen«, sagte
Petrucchio nachdenklich und sichtlich mißtrauisch.
»Unnötig!« rief Rowena.
»Beleidigend!« rief Lady Telitsia.
»Absurd!« rief Bina.
«Anscheinend wollen sie nicht, daß man die Münzen überprüft«, bemerkte Chino. »Dabei würde es sie gar nichts kosten«, fügte er bedeutungsvoll hinzu. »Ich frage mich, warum das wohl so ist.«
»Kostenlos, hast du gesagt?« fragte Petrucchio.
»Aber ja.«
»Dann erst recht«, rief Petrucchio, schob das große Holzschwert unter Schwierigkeiten in die Scheide und schüttelte drei gelbgefärbte Bühnenmünzen aus dem Geldbeutel.
Lecchio hielt eine Münze nach der anderen in die Höhe.
»Wie sind sie?« fragte Chino.
»An sich machen sie einen guten Eindruck«, murmelte Lecchio. »Aber viele Fälschungen bestehen die erste Überprüfung.« Er zog ein Münzprägerglas aus dem Rucksack, das dazu diente, weit entferne Objekte besser sehen zu können. »Oh, oh«, murmelte er düster.
»Was?« fragte Petrucchio besorgt.
»Es ist noch zu früh, um etwas sagen zu können«, meinte Lecchio und verstaute das Münzprägerglas wieder im Rucksack. »Ich muß mich vergewissern.«
»Sicher ist alles in Ordnung«, sagte Chino hoffnungsvoll.
»Zweifellos«, erwiderte Lecchio. »Zweifellos.« Aber er schien unsicher zu werden.
Er schüttelte die Münzen in der hohlen Hand und lauschte angestrengt. Dann spuckte er auf jede Münze und verrieb die Flüssigkeit mit dem Zeigefinger in exakt ausgeführten Kreisen und betrachtete sie. Dann hob er den Zeigefinger mit geschlossenen Augen und hielt ihn zuerst in den Wind und dann windabwärts; er wiederholte die Handlung mit geöffneten Augen und betrachtete den Finger mit bohrendem Blick. Dann nahm er die letzte, zweifellos entscheidende Prüfung vor. Er biß in eine der Münzen, holte ein kleines, mit weißen Kristallen gefülltes Glasfläschchen aus dem Rucksack und schnippte einige Kristalle auf die Münzen.
»Was ist das?« fragte Petrucchio.
»Mit Salz schmecken sie besser«, erklärte Lecchio. Er wiederholte den Vorgang und biß noch einmal auf jede der Münzen, dabei ließ er sich Zeit wie ein Kenner, der verschiedene Bazitees oder ausgezeichnete Weine probiert.
»Und?« fragte Chino.
Lecchios Gesicht war düster.
»Ja!« drängte Petrucchio.
»Falsch!« verkündete Lecchio unheilvoll.
»Nein!« rief Rowena.
»Was hat das zu bedeuten?« wandte sich Petrucchio streng an die Frauen.
Lecchio steckte die Münzen ein.
»Falls tatsächlich etwas mit den Münzen nicht in Ordnung sein sollte, versichere ich dir, daß wir davon nichts wissen«, sagte Rowena. »Falls es trotz unserer Sorgfalt zu einem Versehen oder Irrtum gekommen sein sollte, kannst du unbesorgt sein. Das wird sofort in Ordnung gebracht.«
»Zeig uns deine anderen Münzen«, verlangte Lecchio.
»Was?« rief Rowena.
»Damit wir sehen können, ob sie echt sind«, sagte er drohend.
»Ich versichere dir, daß sie echt sind.«
»Laß sie untersuchen, damit die Angelegenheit ein Ende hat.«
»Er ist von den Münzprägern ermächtigt«, erinnerte Chino die Frauen.
»Wird es etwa nötig sein, sie euch mit Gewalt abzunehmen?«
»Nein«, sagte Rowena und reichte Lecchio unter den mißtrauischen Blicken Petrucchios ihren Geldbeutel. Die anderen Mädchen schlossen sich ihr an.
»Und jetzt eure versteckten Geldbeutel, die ihr unter euren Gewändern verborgen haltet, die an euren linken Oberschenkel geschnallt sind«, sagte Lecchio grimmig.
Die Mädchen protestierten empört, wandten sich von den Männern ab, beugten sich vornüber und hoben die hinderlichen Gewänder der Verhüllung. Lecchio erhielt weitere Geldbeutel.
Diesmal brauchte er für seine Überprüfung nur einen flüchtigen Blick. »Die Münzen sind echt«, sagte er ernst. »Aber sie sind zweifellos gestohlen.«
»Was!« schrie Rowena.
»Wieviel ist es?« fragte Chino.
»Drei Doppeltarn, fünfzehn Tarn, achtzehn Silbertarsk, siebenundzwanzig Kupfertarsk und einhundertundfünf Tarskstücke«, sagte Lecchio.
»Es ist, wie ich befürchtet habe!« rief Chino,
»Genau«, nickte Lecchio.
»Ich verstehe nicht«, sagte Petrucchio.
»Das ist genau der Betrag, den man dem Weinhändler Groppus aus Pseudopolis gestohlen hat.«
»Was?« brüllte Petrucchio entsetzt.
»Es könnte natürlich ein Zufall sein«, sagte Chino. »Wann hast du Pseudopolis verlassen?«
»Vor zwei Tagen, am Nachmittag.«
»Der Diebstahl geschah vor genau zwei Tagen, am Vormittag«, sagte Lecchio.
»Es könnte ein Zufall sein«, meinte Chino.
»Natürlich«, stimmte Lecchio ihm zu.
»Das Ganze ist lächerlich!« rief Rowena.
»Es ist unser Geld!« rief Lady Telitsia.
»Gebt es uns zurück!« rief Bina.
»Seid geduldig, meine Damen«, meinte Chino, um dann hinzuzufügen: »Falls ihr tatsächlich Damen seid.«
»Was soll das heißen?« fragte Petrucchio besorgt.
»Oh, nichts«, wich Chino aus.
»Bursche, sprich!« rief Petrucchio und riß an seinem Schwert. Dann gab er es auf, da es sich anscheinend in der Scheide verklemmt hatte.
»Du kennst diese Frauen doch persönlich, und das seit vielen Jahren, oder?« fragte Chino.
»Nein«, erwiderte Petrucchio. »Ich komme aus Turia.«
»Es ist sicher nichts«, meinte Chino beruhigend.
»Gebt uns unser Geld zurück!« rief Rowena.
»Sprich!« verlangte Petrucchio.
»Es ist gerade zwei Tage her, daß in Pseudopolis drei als freie Frauen verkleidete Sklavinnen am Vormittag dem Weinhändler Groppus die Summe von drei Doppeltarn, fünfzehn Tarn, achtzehn Silbertarsk, siebenundzwanzig Kupfertarsk und einhundertundfünf Tarskstücke stahlen und sich dann Augenzeugen zufolge in diese Richtung absetzten, in genau solchen Gewändern.«