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»Hochmütiger Sleen!« rief Temenides. »Denk an meine Bedingungen!«

»Das tue ich.«

»Der Bauerntrampel wird ermüdend«, sagte Belnar. »Bereitet einen Kessel mit Tharlarionöl vor, der groß genug ist, um einen Menschen hineinzutauchen.«

»Ja, Ubar«, sagte ein Soldat.

»Mit starken Halsketten.«

»Ja, Ubar«, sagte der Soldat und verließ den Saal. Die Halsketten, die man durch Öffnungen im oberen Kesselrand zieht, sollen dazu dienen, das Opfer festzuhalten, dem man die Hände auf den Rücken fesselt. Damit verhindert man nicht nur, daß es aus dem Kessel springt, sondern unterbindet auch jeden Versuch, sich zu ertränken. Das Öl wird langsam heiß gemacht.

»Spielt«, befahl Belnar.

»Ich bitte dich noch einmal, Ubar«, sagte Temenides. »Laß diese Farce nicht zu.«

»Spielt«, riefen einige der Höflinge. Bina stöhnte,

»Spielt«, befahl Belnar.

»Ubars-Speerträger auf Ubar fünf«, sagte Temenides wütend.

Ein Mann führte für ihn den Zug aus.

»Ubaras-Tharlarionreiter nach Ubaras-Hausbauer drei«, sagte der Spieler.

»Hast du überhaupt schon einmal gespielt?« fragte Temenides sofort.

»Gelegentlich«, antwortete der Spieler.

»Kennst du die Regeln?« fragte Temenides.

»Mehr oder weniger.«

»Das ist ein absurder Zug!«

»Soviel ich weiß, ist es ein ordnungsgemäßer Zug.«

»Ich habe so etwas noch nie gesehen«, sagte Temenides. »Er verstößt gegen alle konventionellen Prinzipien einer Eröffnung.«

»Konventionell zu sein, heißt nicht unbedingt, das Richtige zu tun«, sagte der Spieler. »Dein großer Meister Centius aus Cos hätte dir das beibringen sollen. Davon abgesehen, woher, glaubst du, stammt das Konventionelle? Erwächst es nicht aus der Wurzel der Ketzerei? Entspricht es nicht der Wahrheit, daß das Konventionelle der Gegenwart meistens wenig mehr ist als die siegreiche Ketzerei der Vergangenheit?«

»Du bist ja verrückt«, sagte Temenides.

»Außerdem, je konventioneller du spielst, desto berechenbarer wird dein Spiel; das kann man sich zunutze machen!«

»Sleen!« fauchte Temenides.

Der Zug des Spielers sorgte dafür, daß Temenides’ Ubars-Speerträger sofort vom Ubaras-Wissender angegriffen wurde. Es war durchaus möglich, daß sich Temenides dazu hinreißen ließ, einen Zug zu verschwenden, indem er den Speerträger ein weiteres Feld vorrückte und sich zu weit vorwagte; vielleicht führte dies sogar zu einer vorzeitigen Niederlage. Dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, an Stelle des Spielers diesen Zug gemacht zu haben.

»Würde ich dich mehr respektieren, hätte ich vielleicht einen anderen Eröffnungszug gewählt«, sagte der Spieler.

»Sleen! Urt!« wütete Temenides.

»Bleibt es bei dem Zug?« fragte der Mann, der die Steine auf dem Brett bewegte.

»Ja«, sagte der Spieler.

Der Mann setzte den Spielstein.

»Vielen Dank«, sagte der Spieler.

»Ich glaube, dieser Kerl ist vielleicht gar nicht der Narr, für den wir ihn gehalten haben«, sagte Belnar.

»Unsinn!« widersprach Temenides zornig. »Er ist ein Betrüger, ein Bauerntölpel!«

»Es ist warm hier drinnen«, sagte der Spieler. Er öffnete lässig den dunklen Mantel, den er trug. Darunter kam das rot-gelb-gemusterte Gewand der Spielerkaste zum Vorschein, ganz wie ich vermutet hatte. Sicherlich hatte er es seit Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit getragen. Erstaunte Ausrufe ertönten. Bina sah ihn überrascht an.

»Er gehört zur Spielerkaste«, sagte ein Mann.

»Damit habe ich gerechnet«, sagte Belnar. »Er kam mir von Anfang an nicht verrückt vor.«

»Das spielt keine Rolle«, sagte Temenides. »In Cos bin ich Großmeister. Ich werde ihn vernichten. Es bedeutet nur, daß das Spiel sich vielleicht etwas abwechslungsreicher als angenommen gestaltet.«

»Bist du tatsächlich Mitglied der Spielerkaste?« fragte ein Höfling.

»Ja«, sagte der Spieler. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich glaube, dies war der Augenblick, da der Spieler mit seiner Vergangenheit ins reine kam.

»Und welchen niedrigen Rang hast du eingenommen?« fragte Temenides verächtlich. Auf den Rang eines Spielers, der auf bestimmten Turnieren und bei öffentlichen Spielen erkämpft werden muß, wird mit peinlicher Genauigkeit geachtet.

»Ich war ein Meisterspieler!«

»Und in welchem Dorf?«

»In Ar.«

»Ar!« rief Temenides. Andere nahmen den Ruf erstaunt auf.

»Vielleicht ist dir der Name dieser Stadt schon einmal begegnet«, meinte der Spieler.

»Wer bist du?« flüsterte Temenides verstört.

Der Spieler griff an die dunkle Kapuzenmaske, die er trug. Er riß sie sich herunter. Bina kniff die Augen zu. Erstaunte Ausrufe hallten durch den Saal, von freien Männern wie von Sklaven. Bina öffnete die Augen. Sie stieß einen überraschten Schrei aus. Der Spieler trug nicht länger die verhüllende Maske. Er sah sich majestätisch um. Seine Gesichtszüge waren unversehrt, es gab weder Narben vom Wüten eines Feuers noch von menschlichen Folterinstrumenten. Es war ein stolzes, ernstes Gesicht, das Klugheit, Macht und Durchsetzungsvermögen verriet; es war ein unglaublich männliches Gesicht.

»Ich bin Scormus aus Ar.«

»Scormus aus Ar ist vom Antlitz der Welt verschwunden!« rief Temenides.

»Er ist zurückgekehrt«, sagte der Spieler.

»Ich kann nicht gegen diesen Mann spielen«, rief Temenides. »Er ist einer der besten Spieler Gors!«

»Aber das Spiel hat begonnen«, erinnerte Scormus ihn.

»Herr«, rief Bina, »Herr! Ich liebe dich!« Er beachtete sie nicht.

»Du hattest den ersten Zug«, sagte Scormus zu Temenides. »Ich werde den letzten haben.«

Temenides sah Belnar mit einem gequälten Gesichts ausdruck flehend an. »Ich kann nicht gegen einen solchen Mann spielen.«

»Spiel«, sagte Belnar.

»Ubar!« flehte Temenides.

»Es ist amüsant«, sagte Belnar.

»Bitte, Ubar.«

In diesem Augenblick trugen ein paar Männer mit Hilfe von langen Stangen einen riesigen Kessel voller Tharlarionöl in den Saal; er ruhte auf einem Stahlgerüst, das mit einem großen flachen Eisenkasten verbunden war. Die Holzscheite in dem als Ofen dienenden Kasten wurden entzündet.

»Ubar!« protestierte Temenides schrill.

»Spielt«, sagte Belnar.

Ich verließ unauffällig den Saal. Ich hatte etwas zu erledigen. Doch ich brauchte mich nicht zu beeilen. Der Spieler würde sich mit Temenides Zeit lassen.

14

Ich ging im Licht der drei Monde über den Gefängnishof und stieg in die Grube hinunter.

»Wer geht da?« rief eine Stimme.

»Ich habe dich im Bankettsaal nicht finden können«, antwortete ich. »Also dachte ich mir, daß du hier bist.«

»Wer bist du?« rief der Mann. »Bleib stehen. Komm nicht näher!«

Ich ließ den Saum meines Gewandes vom Arm gleiten. »Erinnerst du dich nicht mehr an mich?«

»Tritt aus den Schatten heraus!« verlangte der Gefängniswärter und wich ein Stück zurück. »Wie ist die Parole?«

»Stahl!«

Er trat weiter zurück.

Mein Schwert glitt aus der Scheide. Das dabei entstehende Geräusch war unmißverständlich.

Der Wärter wich noch weiter zurück. »Glaubst du im Ernst, du könntest die Alarmstange erreichen, bevor ich bei dir bin?« Da zog auch er das Schwert. Ich trat aus den Schatten.

»Du!« schrie er.

»Ja.«

Er stürmte auf mich zu. Der Kampf dauerte nicht lange. Mein Gegner war nicht ungeschickt. Einmal stürzte er, da er über die Ketten stolperte, die die Bestie an den Pfahl gefesselt hatten. Ich erlaubte ihm, aufzustehen. Dann machte ich ein Ende. Ich nahm mir die Schlüssel vom Gürtel des Toten. Ich betrat den Saal.

Als ich an dem kochenden Kessel Tharlarionöl vorbeiging, stand das Spiel einen Zug vor seinem Ende. Ich begab mich in die Nähe des Spielbretts und lauschte den Bemerkungen der Männer.

»Ein solches Spiel habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen«, schwärmte ein Mann.

»Es war kein Gemetzel, sondern eine tiefe Demütigung.«