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»Temenides hat einen Spielstein nach dem anderen verloren. Ihm ist nur sein Heimstein geblieben, der von Feinden umzingelt ist.«

Ich warf einen Blick auf das Brett. Der Spieler hätte das nicht tun müssen. Zweifellos hatte es hundert Augenblicke gegeben, in denen er das Spiel hätte beenden können, aber er hatte es vorgezogen, mit seinem Gegner zu spielen, ihm die Steine abzunehmen, ihn wie ein Tarsk mit einem Ring durch die Nase hilflos über das Brett zu zerren.

»Laßt das Feuer unter dem Öl höher brennen«, befahl Belnar.

»Ja, Ubar.«

Temenides saß mit leichenblassem Gesicht vor dem Brett.

»Gefangennahme des Heimsteins«, verkündete der Spieler.

»Ein ausgezeichnetes Spiel«, sagte Belnar.

»Ich danke dir, Ubar«, sagte Scormus aus Ar und erhob sich.

Temenides rührte sich nicht. Er blieb vor dem Brett sitzen, vor Entsetzen gelähmt.

Ich hatte den Spieler schon damals in Port Kar bei unserer ersten Begegnung erkannt oder zumindest vermutet, wer er war. Sein Hinken war verräterisch, so verräterisch, wie es sein Benehmen und seine Sprechweise waren. Ich hatte ihn vor langer Zeit einmal im Haus des Cernus in Ar spielen sehen. Seine Empfindlichkeit bei der Erwähnung von Scormus aus Ar und Centius aus Cos und ihrem großen Spiel 10125 C.A. war ebenfalls verräterisch gewesen. Außerdem war sein Spiel großartig. Wie viele arme Spieler besaßen wohl einen Meisterpokal, der aus Ar stammte, jenen Pokal, den die Straßenräuber beim Überfall auf das Lager der Schauspieler erbeutet und so begehrenswert gefunden hatten, den Pokal, den der Spieler so eilig wieder versteckt hatte? Er hatte ihn nie verkauft und ihn auch nicht weggeworfen. Unter dem dunklen Gewand und der furchteinflößenden Maske war er in seinem Herzen immer Scormus aus Ar geblieben, ein loyaler Bürger der Stadt.

»Macht die Sklavin los«, sagte Belnar. »Sie gehört Scormus aus Ar. Er hat sie sich verdient.«

Ein Wächter befreite Bina von ihren Fesseln, und sie warf sich vor Freude weinend Scormus zu Füßen. »Ich bin dein!« rief sie. »Ich bin dein!«

»Das weiß ich«, erwiderte Scormus.

»Ich liebe dich«, schluchzte sie.

»Auch das weiß ich.«

»Nehmt Temenides gefangen«, befahl Belnar. »Zieht ihn aus, bindet ihn. Legt ihm das Eisen um den Hals.«

Wächter ergriffen den stöhnenden Temenides, rissen ihm das Gewand vom Leib und fesselten ihm die Hände auf den Rücken. Dann legte man ihm den schweren Eisenring an, der ihn im Ölkessel festhalten sollte. Er blickte sich wild um. »Ubar!« schluchzte er.

»Ich habe das Öl heiß werden lassen«, sagte Belnar. »Zweifellos kocht es bereits. Dein Ende wird schnell kommen. Wir haben nicht vergessen, daß Temenides ein Gast Brundisiums ist.«

»Ubar!« schluchzte Temenides.

Scormus räusperte sich.

»Ja, Spieler?« Offensichtlich hatte Scormus den Respekt des Ubars errungen. Auf Gor gibt es nur wenige Männer, die nicht von der Kunst eines Großmeisters begeistert sind.

»Wenn ich mich recht erinnere, liegt das Leben von Temenides, meinem ehrenhaften Gegner, den ich in der Hitze des Augenblicks vielleicht etwas grob behandelt habe, in meiner Hand und nicht in deiner.«

»So ist es«, sagte Belnar. »Entschuldige, Spieler. Ich war gedankenlos. Ich werde das Öl abkühlen lassen, damit man es langsam wieder zum Kochen bringen kann. So wird die Qual deines Gegners allmählich gesteigert, was die Angelegenheit sicherlich kurzweiliger macht.«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Scormus.

»Spieler?«

Scormus wandte sich an Temenides. »Ich werde dir dein Leben, das in meiner Hand liegt, schenken, und zwar gern. Es gehört wieder dir. Nimm es mitsamt den Soldaten in deiner Begleitung, die Cos seltsamerweise an diesen Ort entsandt hat, und verlaß Brundisium noch in dieser Nacht.«

»Kastenbruder«, rief Temenides dankbar. Ein paar Männer seiner Eskorte befreiten ihn und warfen ihm sein Gewand über die Schultern. Dann eilte er mit ihnen aus dem Saal. Belnar sah ihnen nach. Er wandte sich an einen Diener und flüsterte ihm ein paar Worte zu. Der Diener verließ ebenfalls den Saal.

»Scormus aus Ar ist großzügig«, sagte Belnar.

Scormus neigte kurz den Kopf. Obwohl Belnar lächelte, konnte ich mir nicht vorstellen, daß ihn der Ausgang des Abends erfreute. Er sah noch einmal in Richtung der großen Flügeltür, durch die Augenblicke zuvor Temenides und die Soldaten aus Cos verschwunden waren. Belnar hatte offensichtlich damit gerechnet, daß Temenides den maskierten Fremden besiegte, den man für einen unbedeutenden Spieler gehalten hatte. Dieser Ausgang gefiel ihm nicht. Ich war davon überzeugt, daß er mit Temenides unzufrieden war, genau wie ich davon überzeugt war, daß ihm die Anwesenheit von Scormus aus Ar in seinem Palast Unbehagen einflößte. Er wandte sich höflich an Scormus. »Spieler«, sagte er, »erweise uns die Ehre, am Tisch von Brundisiums Ubar zu sitzen.«

»Ich danke dir, Ubar, aber mit deiner gütigen Erlaubnis zöge ich es vor, mich in mein Quartier zurückziehen zu dürfen.« Er warf Bina einen Blick zu. »Darauf wartet schon jemand.«

»Herr«, flüsterte Bina und fuhr mit der Zunge über seinen Oberschenkel.

»Natürlich«, sagte Belnar grinsend.

»Ubar, wir sind weit gereist, um dich und deinen Hof zu unterhalten, und sind erschöpft«, meldete sich jetzt auch Boots zu Wort. »Bitte erlaube mir und meiner Truppe, daß wir uns zurückziehen. Es hat uns großes Vergnügen bereitet, vor dir spielen zu dürfen.«

»Für einen Sack voll Gold sollte es auch Vergnügen bereiten«, sagte Belnar. Die Höflinge und Gäste lachten. Belnar lächelte, erfreut über die Reaktion auf seinen Spott. »Ihr dürft gehen.«

»Wir danken dir, Ubar«, sagte Boots und verbeugte sich tief. Er schloß sich Scormus und Bina an, gefolgt von seiner ganzen Truppe. Sie verließen den Saal. Natürlich hatten sie nicht vor, ihre Quartiere aufzusuchen. Sie würden aus der Stadt flüchten, und zwar mit Hilfe von vorher vorbereiteten Ausreisepapieren, die Lady Yanina nichtsahnend auf Boots’ Bitte hin, der ein Talent für solche Einzelheiten hatte, der Truppe ausgestellt hatte. Ich mischte mich wieder unter die anderen Gäste. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Alarm geschlagen wurde.

»Kommt, meine Gäste, kehrt auf eure Plätze zurück«, sagte Belnar fröhlich. »Die beste Unterhaltung des Abends kommt noch!« Alles setzte sich wieder. Nackte, parfümierte Sklavinnen eilten umher und brachten Wein, Delikatessen und andere ausgesuchte Köstlichkeiten.

»Wo bleibt Lady Yanina?« wandle sich Belnar gereizt an Flaminius.

»Ich weiß es nicht, Ubar«, gab Flaminius zu.

»Sie kommt zu spät.«

»Ja, Ubar.«

»Sie hätte schon längst hier sein sollen.«

»Ja, Ubar.«

»Ich weiß, daß du wegen ihrer Schönheit ein Auge auf sie geworfen hast. Ich hoffe doch nicht, daß du sie am Abend ihres Triumphs in eine Villa außerhalb der Stadtmauern verschleppt hast, wo sie dich in Ketten erwartet.«

»Nein, Ubar.«

»Das war ein Scherz.«

»Sicherlich, Ubar«, erwiderte Flaminius unbehaglich und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Bürger Brundisiums, verehrte Gäste«, rief Belnar und stand auf. »Ich hätte es vorgezogen, wenn Lady Yanina, diese hervorragende Bürgerin Brundisiums, die euch allen bekannt ist, diese wahre Dienerin unseres Hofs und unseres Staates, die liebliche Hofdame, meine vertrauensvolle, wunderschöne Agentin, den nächsten Teil der abendlichen Unterhaltung angekündigt hätte, denn der Triumph dieses Augenblicks gehört auf eine ganz besondere Weise ihr! Doch sie ist verhindert! Unglücklicherweise müssen wir, da sich der Abend nun dem Höhepunkt nähert, ohne sie fortfahren.«

Enttäuschte Rufe erschollen.

»Sollen wir noch länger warten?« fragte Belnar.

»Nein«, riefen einige der Gäste. »Weitermachen.«

»Holt die Truhe und stellt sie auf die Bühne«, befahl Belnar.

Ein paar Soldaten betraten den Saal. Sie trugen die große Truhe, die einst im Requisitenwagen von Boots Tarskstück gestanden hatte. In diesem Wagen bewahrte Boots alle möglichen Dinge auf, Souvenirs, Kostüme und Bühnenutensilien. Er transportierte dort auch die Gegenstände, die mit seinen Zauberkunststücken zu tun hatten. Es schien eine ganz gewöhnliche Truhe zu sein, und man konnte sie auch für diesen Zweck benutzen, wenn einem der Sinn danach stand. In dieser Truhe hatte man mich nach Brundisium gebracht; es war die Truhe, in der Lady Yanina mich als völlig hilflosen, in Ketten gelegten Gefangenen ihrem Ubar Belnar von Brundisium hatte übergeben wollen.