»In dieser Truhe liegt unserer Gnade ausgeliefert ein in Ketten gelegter Feind Brundisiums, ein hochmütiger Kerl, der es gewagt hat, unserem Thron zu mißfallen, ein Kapitän und Sklavenhändler aus Port Kar, von dem ihr vielleicht schon gehört habt, der angeblich so mächtige und gefürchtete Bosk aus Port Kar!«
An diesem Punkt von Belnars Ansprache setzte heftiger Applaus ein.
»Zur Strecke gebracht von unserer Lady Yanina!« rief Belnar.
Alles lachte.
»Nachdem er, wie man vielleicht erwähnen sollte, gewissen Männern irgendwie durch die Finger geschlüpft ist«, fügte Belnar hinzu und warf Flaminius einen gutmütigen Blick zu. Flaminius lächelte trocken, wie es sich gehörte. Gelächter erscholl. Er ballte die rechte Hand zur Faust. Es gab keinen Zweifel, dieser Abend würde für Lady Yanina zum Triumph werden. Sie hatte nicht nur über mich einen Sieg davongetragen, über einen Kerl namens Bosk, der aus einer anderen Stadt kam, nein, viel wichtiger war, daß sie auch ihren Rivalen Flaminius besiegt hatte. Mir fielen ihre Worte wieder ein, die sie mir in Boots’ Lager entgegengeschleudert hatte. »Du wirst dafür sorgen, daß ich in Brundisium zu neuen Höhen der Macht aufsteigen werde!« Ich wußte noch immer nicht, warum ich für den Ubar Brundisiums von solchem Wert war.
»Ich bin zufrieden mit Lady Yanina!« rief Belnar den Gästen zu.
Alles applaudierte.
»Es ist meine Absicht, sie reich zu belohnen«, sagte Belnar. »Sie wird meine Großzügigkeit kennenlernen. Sie wird mit Gold, Macht, Privilegien und einem hohen Rang belohnt werden!«
»Belnar der Großzügige!« riefen einige Höflinge. »Belnar der Große!« Belnar senkte bescheiden den Kopf und winkte halbherzig ab. Das rief noch mehr Applaus hervor. Viele Männer hatten sich von ihren Plätzen erhoben. Ich gewann den Eindruck, daß Höflinge schnell bereit waren, jede Großzügigkeit ihres Herrn zu feiern. Flaminius enthielt sich jeder Beifallsbekundung. So großzügig Belnar auch mit jenen verfahren mochte, die ihm zu seiner Zufriedenheit dienten, bezweifelte ich doch keinen Augenblick lang, daß er jene, die ihn enttäuschten, mit entsprechender Gnadenlosigkeit bestrafte.
»Ich wünschte nur, Lady Yanina wäre hier, daß sie am Abend ihres Triumphs unter uns wäre.«
Die Höflinge gaben enttäuschtes Gemurmel von sich. Doch ich war davon überzeugt, daß es die meisten der Anwesenden vermutlich freute, daß die Lady Yanina nicht unter ihnen weilte. Schließlich war sie bloß ein Höfling unter vielen und stand deshalb sicher mit ihnen allen auf Kriegsfuß, nicht nur mit Flaminius. Es ist eine Sache, die Großzügigkeit eines Ubars zu preisen, und eine ganz andere, die Beförderung eines möglichen Konkurrenten mit von Herzen kommendem Enthusiasmus zu feiern. Belnar hatte offensichtlich sein Vergnügen an der Sache. Hätte Lady Yanina an seinem Tisch gesessen, hätte er diesen Augenblick des Triumphs teilen müssen; man konnte wohl davon ausgehen, daß er trotz seiner Absichten und Beteuerungen ihre Abwesenheit nicht sehr bedauerte.
»Öffnet die Truhe!« rief Belnar. »Soll Bosk aus Port Kar, hilflos und ein Narr, der sich von Lady Yanina gefangen nehmen ließ, unserem Vergnügen dienen!«
Zwei Soldaten begaben sich zur Truhe. Der Schlüssel hing an einem Strick. Einer von ihnen schob den Schlüssel in das erste Schloß. »Beeilt euch, Leute!« feuerte Belnar die Männer an. Der Schlüssel verschwand im zweiten Schloß, einen Augenblick später wurde der schwere Deckel zurückgeklappt. Männer standen von den Tischen auf, um besser sehen zu können. In der Truhe befand sich ein Sack. Es war ein großer Sack. Er bestand aus schwerem, widerstandsfähigem Leder. Er war fest verschnürt. Die Soldaten hoben den Sack in die Höhe und stellten die darin befindliche Person auf die Füße. Aber sie schien nicht groß genug für einen Mann zu sein, erst recht nicht für jemanden wie Bosk aus Port Kar. Sie war viel zu klein, zu schmal. Außerdem schienen der gefangenen Person männliche Konturen zu fehlen. Dafür waren deutlich hinreißende weibliche Formen zu sehen. Die Soldaten sahen sich verblüfft an. Männer wechselten Blicke. Im Saal herrschte Stille.
»Öffnet den Sack«, befahl Belnar.
Mit fliegenden Fingern zerrte einer der Soldaten an dem Knoten, der den Sack verschloß. Es handelte sich natürlich nicht um denselben Sack, in den man mich gesteckt hatte; er hatte in der Truhe unter dem ersten verborgen gelegen. Der erste Sack hatte eine geschickt angebrachte, verborgene Öffnung unter einem doppelten Saum besessen, durch die ein Darsteller ganz nach Wunsch hinein- oder heraussteigen konnte. Bei dem zweiten Sack hatte es sich um einen ganz gewöhnlichen Sklavensack gehandelt, den man auf Gor zum Sklaventransport benutzte. Er war stabil genug, um einen kräftigen Mann zu halten.
»Macht schnell!« rief der Ubar.
Die Soldaten rissen den Sack auf und zogen ihn von der Gestalt herunter; Kopf und Schultern wurden sichtbar. Die Person trug eine Haube.
»Es ist eine Frau«, sagte jemand in die Stille hinein.
Der Sack wurde weiter nach unten geschoben. Die Frau war nackt. Sie warf den von einer Haube verhüllten Kopf in den Nacken. Dann riß sie wild an den Sklavenhandschellen, die ihre Handgelenke auf dem Rücken hielten. Das waren nicht die schweren Trickhandschellen, die man mir in Boots’ Lager angelegt hatte. Die hatte ich sofort abgestreift, nachdem man mich in den Sack gesteckt hatte.
»Wer hat eine Sklavin in die Truhe gesteckt?« brüllte Belnar, außer sich vor Wut. »Soll das ein Scherz sein?«
»Wo ist Bosk aus Port Kar?« fragte ein Gast.
»Nehmt der Sklavin die Haube ab!« befahl Belnar.
»Sie hat ja gar kein Brandzeichen«, rief einer der Soldaten Belnar zu. Er hatte den Sack gerade bis zu ihren Knien hinuntergeschoben und drehte sie auf der Suche nach dem Brandmal grob hin und her.
»Die Haube ab!« brüllte Belnar.
Ein Soldat hielt die Frau fest, während der andere an den Schnallen der Haube herumfingerte, die sich unter dem Kinn befanden.
»Schnell!« brüllte Belnar.
Die Truhe auf der Bühne war dieselbe, in die man mich in Boots’ Lager gesteckt hatte. Allerdings hatte ich für ein paar Veränderungen gesorgt. Ich hatte Hinterseite und Boden, die man beide von innen und von außen öffnen konnte – das richtete sich danach, ob zum Ausstieg auf der Bühne eine Falltür oder eine Öffnung in der Wand benutzt wurde –, fest verschlossen, und zwar mit Hilfe der dort angebrachten Riegel. So wurde aus der Tricktruhe eine ganz normale Truhe. Das war nicht nur dann nützlich, wenn man sie zum Transport von Gegenständen benutzte, sondern auch für den Fall, daß sie bei einer Vorstellung von einem Zuschauer überprüft wurde. Danach ist es nicht schwer, unter irgendeinem Vorwand die Riegel in die Lage zu schieben, die man wünscht; natürlich befinden sie sich an der Außenseite der Truhe, so daß sie von dem Zauberer auf der Bühne bedient werden können. Sollte er das vergessen, ist der Darsteller in der Truhe natürlich gefangen. Genau das hatte ich getan. So war es der Person in der Truhe unmöglich, aus ihr zu entkommen – auch dann, wenn sie nicht gefesselt gewesen wäre und in einem Sack gesteckt hätte.
»Schnell!« brüllte der Ubar.
Man riß der Frau die Haube vom Kopf. Sie rollte wild mit den Augen. Ihr Gesicht war rot angelaufen. Sie warf den Kopf zurück und befreite ihr Antlitz von dem feuchten Haar.
»Lady Yanina!«
Sie konnte nicht sprechen. Sie wimmerte. Der von einem Tuch gehaltene Knebel saß noch immer fest in ihrem Mund.
»Nehmt ihr den Knebel ab!« rief Belnar. Lady Yanina legte den Kopf in den Nacken, während einer der Soldaten sich mit den Knoten des Tuches abmühte. Nachdem mir die List mit der Truhe den Zutritt zur Stadt und zum Palast verschafft hatte, hatte ich einige Stunden gewartet, bis ich sie verließ und die Uniform eines brundisischen Soldaten anlegte. Die Uniform war aus Kostümen in Boots’ Fundus zusammengestellt worden. Spät in der Nacht hatte ich, einen Sklavensack mit den nötigen Utensilien unter dem Arm, die Gemächer von Lady Yanina aufgesucht. Ein Pochen an der Tür und die Nachricht, daß Belnar sie wegen eines Notfalls dringend brauche, hatten gereicht. Sie war zur Tür geeilt, nur mit einem dünnen Gewand bekleidet. Ich war eingetreten, hatte sie überwältigt, ausgezogen und verpackt. Ein paar Augenblicke später war ich durch die Gänge des Palastes geeilt, einen vollen Sklavensack mit mir schleppend. In einem Raum abseits des großen Saales hatte ich sie dann in die dort stehende Truhe verfrachtet, und zwar durch die hintere Seite. Dann hatte ich die Riegel vorgeschoben. Die Schlösser, an denen die Schlüssel hingen, waren nicht berührt worden. Alles sah so aus wie zuvor. Nur daß die Truhe jetzt einen neuen Gefangenen hatte. Dann hatte ich mit Hilfe meiner Maske als angeblicher Offizier das Gemach gesucht, in dem der Mann aus Turia schlief. Er war so freundlich gewesen, mir seine Papiere zu leihen, durch die ich mir am darauffolgenden Abend den Zugang zum Bankett verschafft hatte.