»Ubar!« rief Lady Yanina, als ihr der feuchte Knebel aus dem Mund gerissen worden war.
»Wer hat dir das angetan?« wollte Belnar wissen.
»Bosk aus Port Kar!« rief sie und zerrte hilflos an den Ketten, die sie fesselten.
»Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht«, schluchzte sie.
»Du Närrin!« brüllte Belnar.
»Er muß noch irgendwo im Palast sein«, rief Flaminius und sprang auf. Im Saal entstand Unruhe.
»Eilt zu den Quartieren der Schauspieler!« sagte Belnar. »Verhaftet sie. Sie müssen in die Sache verwickelt sein.«
»Sie sind nicht in Richtung ihrer Quartiere gegangen«, rief ein Mann, der in der Nähe der Tür saß.
»Sie wollen sicherlich aus der Stadt fliehen!«
»Haltet sie auf!« befahl Belnar.
»Wartet!« rief da ein Höfling. »Ich höre Alarmstan gen.«
Er hatte recht. Als einen kurzen Augenblick lang
Stille in den Saal einkehrte, hörte man deutlich das ge dämpfte Geklirr von Alarmstangen.
»Was ist da los?« wollte Belnar wissen.
In diesem Moment stürmte ein Soldat in den Saal.
»Im Gefängnis hat es einen Ausbruch gegeben!« rief er. »Gatch ist erschlagen worden. Die Zellen sind alle leer. Gefangene laufen durch die Straßen.«
Ich hatte gehofft, dies werde eine Ausnahmesituation von solchem Ernst schaffen, daß Belnar sich dazu werde hinreißen lassen, bestimmte Wertsachen an einen anderen, sichereren Ort zu schaffen.
»Ab sofort herrscht das Kriegsrecht«, verkündete Belnar. »Ruft alle Soldaten zusammen. Sichert den Palast!«
Falls der Ausbruch der Gefangenen für diesen Zweck nicht ausreichte, dann auf jeden Fall das Wissen, daß ich auf geheimnisvolle Weise freigekommen war und mich irgendwo im Palast aufhielt. Ich verließ mich darauf, daß Boots außerhalb des Bankettsaales die Spiegel an der abgesprochenen Stelle aufgestellt hatte. Sollte er es nicht getan haben, war es unter diesen Umständen allerdings ziemlich unwahrscheinlich, daß er jemals deswegen zur Rechenschaft gezogen würde.
»Ubar!« rief Lady Yanina.
»Ergreift sie!« befahl Belnar den Soldaten. »Werft sie in den Kessel mit dem Öl. Nein, wartet. Das Öl ist zu gut für sie. Bringt sie nach unten in die Sklavengehege. Legt ihr einen Kragen an.«
»Nein! Nein, Ubar, bitte!« schluchzte Lady Yanina.
Ein Soldat warf sich die am ganzen Leib zitternde Lady Yanina über die Schulter. Nachdem sie zur Sklavin gemacht worden war, konnte Belnar noch immer in aller Ruhe entscheiden, was er mit ihr anstellen wollte.
»Ich grüße euch!« rief ich da mit lauter Stimme.
Ein paar der Gäste sahen mich befremdet an.
Ich hatte mich unauffällig in den hinteren Teil des Saales begeben und stand jetzt neben dem großen Kessel mit dem siedenden, blubbernden Öl. Ich legte die Hände auf eine der langen Stangen, mit denen man den Kessel in den Saal getragen hatte.
»Das ist er!« rief ein Mann. »Das ist Bosk aus Port Kar!«
»Ergreift ihn!« befahl Belnar.
»Vorsicht!« schrie einer der Gäste. »Paßt auf!« rief ein anderer. Sklavenmädchen flohen kreischend.
»Nein!«
Ich packte die Stange und benutzte sie als Hebel, stieß sie unter die überdimensionale Kochplatte und kippte sie mitsamt dem Kessel um. Eine Flutwelle kochenden Öls ergoß sich über den Kesselrand und schoß über den Boden. Männer sprangen auf die Tische. Schmerzensschreie ertönten. Der Kessel krachte auf die Fliesen. Ich trat einen brennenden Scheit in das Öl, das sich heiß und glitschig über den Saalboden ausbreitete. Männer und Sklavinnen flohen schreiend, als eine furchteinflößende Flammenflut, eine schmale, prasselnde Feuerwand, losraste und einen Augenblick später den ganzen Raum erfaßt hatte. Ich schlug einen heranstürmenden Soldaten mit der Stange nieder. Ein kreischender Mann versuchte die Flammen zu löschen, die den Saum seines Gewands erfaßt hatten. Andere Bankettgäste flohen zu den Wänden. Ich schlug noch einen Soldaten nieder. Er flog gegen einen Tisch. Die Temperatur im Saal hatte sich dramatisch erhöht. Rauchschwaden erschwerten das Atmen. Ich entdeckte Belnar durch die Flammen hindurch, Männer husteten. Sklavinnen drückten sich an die Wände. Waffen wurden gezogen. »Dich erwische ich!« brüllte ein Mann und stürmte durch Feuer und Qualm direkt auf mich zu. Die Stange traf ihn genau in den Magen, und er brach zusammen. Ich sah mich um, Nur noch einen Augenblick, dann wäre das Öl verbrannt, und die Flammen wären zu flackernden Pfützen geworden, durch die man hindurchwaten konnte.
»Ergreift ihn!« schrie Belnar hustend; er hielt den Ärmel des Gewandes vor Mund und Nase gedrückt. Ich warf die Stange ein paar wütenden Gästen entgegen und trieb sie zurück. Es war Zeit, hier zu verschwinden. Ich widerstand dem Impuls, der Menge fröhlich zuzuwinken. Solche Gesten haben ihren Wert, aber es sind schon zu viele Männer dabei von Armbrustbolzen durchbohrt worden. Ich eilte aus dem Saal.
»Rettet euren Ubar!« rief ich den beiden verwirrten Wächtern zu, die treu auf ihrem Posten ausgeharrt hatten, und deutete auf den Saal. Sie konnten dieser Bitte nicht widerstehen und verschwanden in dem Rauch und dem Tumult. Ich warf hinter ihnen die Türen ins Schloß und band die Klinken mit dem seidenen Gürtel meines Gewandes zu. Fast im gleichen Augenblick stürmte man von der anderen Seite gegen die Tür; eine Schwertklinge schob sich durch den Spalt und hackte auf die Seidenschnur ein. Auf dem Korridor gab es nur verschlossene Türen, Sklavenringe, Säulen, Nischen, Vasen und dekorative Gemälde. Jeden Augenblick würde die Menge – die Soldaten und die Wächter an der Spitze – durch die aufgebrochene Tür gestürmt kommen.
Ich sah mich in dem Korridor nach beiden Seiten um. Er war ausgesprochen lang. Es war niemand zu sehen. An der nächsten Abzweigung standen vermutlich Wachen postiert. Ich setzte mich in Bewegung.
Die Flügeltür zum Bankettsaal wurde aufgestoßen, die Türhälften krachten gegen die Wand. Ich hörte Gebrüll, keuchende Männer, das Getrampel von Füßen. Dann kehrte plötzlich Stille ein.
»Wo ist er?« fragte ein Mann überrascht.
»Er muß hier irgendwo stecken!«
»Der Saal ist leer!«
»Das kann nicht sein«, sagte ein anderer Mann. »Er hat nur wenige Ihn Vorsprung.«
»Er ist weg!«
»Die Korridortüren!« rief Belnar. »Er ist durch eine von ihnen hindurchgeschlüpft. Beeilt euch! Findet ihn!«
Ich hörte, wie Männer den Korridor in beide Rich tungen entlangstürmten. Einer lief keinen Meter von mir entfernt vorbei. Bald darauf hallten erneut Rufe durch den Korridor. »Die Türen sind verschlossen!« hörte ich. »Hier auch!« ertönte es aus der anderen Richtung. »Keine Tür ist aufgebrochen worden.«