Выбрать главу

Belnar war mit einer stabilen, etwa fünf Meter langen Kette an den Pfahl gefesselt worden. Man hatte sie ihm um den Bauch gewunden und dann verschlossen. Sie ließ ihn schlanker aussehen. Es war dieselbe Kette, mit der der Kur dort immer angekettet worden war. Sie hätte einen Kailiauk gehalten. Die Kette klirrte, wenn Belnar erst in die eine und dann in die andere Richtung gerissen wurde. Zuerst hatte man den Ubar dort angekettet und dann die Sleen in die Grube gelassen. Die Axt lag in der Nähe. Belnars rechte Hand lag direkt daneben. Als der Kur davon überzeugt war, daß ich ihn nicht angreifen wollte, wandte er sich von mir ab und begab sich auf allen vieren zu den fressenden Sleen. Zu meinem Entsetzen drängte er sich zwischen sie und senkte den Kopf.

Auf der einen Seite der Grube stand in sicherer Entfernung von allem Brennbaren der große Kessel, den man früher am Abend im Bankettsaal benutzt hatte. Er war wieder mit Öl gefüllt, das mittlerweile brodelnd kochte, da man im Eisenkasten Feuer gemacht hatte. Ein Stück daneben lagen zwei tote Diener des Ubars; das Genick war ihnen durchgebissen worden. Ich hatte wenig Zweifel, aus welchem Grund Belnar befohlen hatte, neues Öl zum Kochen zu bringen. Ich erschauerte. Die Vorbereitungen waren wohl umsonst getroffen worden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Flaminius oder ein Stadtkapitän einem ihrer Opfer solche Dinge antun würde.

Ich drängte mich zwischen den Kur und die Sleen. Belnar regte sich nicht, sein Körper wurde nur von den Bestien bewegt. Die offenen Augen starrten in die Höhe. Ein Sleen knurrte, beachtete mich aber nicht weiter. Sleen sind selbst beim Fressen außerordentlich zielstrebige Tiere, und solange ich keinen Versuch unternahm, ihnen etwas wegzunehmen, würden sie nichts tun. Den Kur fürchtete ich nicht. Bemerkenswerterweise schien er nicht gefressen zu haben, obwohl seine Schnauze blutverschmiert war. Er hatte das Fleisch jedoch probiert. Ich tastete Belnars Leiche und die zerrissene Kleidung ab, dann nahm ich die Gürteltasche an mich, trat zurück und durchstöberte sie. Ich erhob mich und ging zum Pfahl. Ich untersuchte den Sand. Doch ich konnte nirgendwo das finden, was ich suchte. Falls er es dabei gehabt hatte, war es nun verschwunden.

Ich hörte, wie sich ein Schlüssel in einem Schloß drehte. Der Kur vertrieb knurrend die Sleen. Dann befreite er Belnar von der Kette und zog ihn durch den Sand hinter sich her – auf den Kessel zu.

»Kannst du mich verstehen?« fragte ich ihn. Einige Kurii können menschliche Sprachen verstehen und menschenähnliche Laute von sich geben.

Er sah mich an.

»Was willst du tun?« fragte ich.

»Man hat mich wie ein Tier in die Grube gesteckt«, sagte er.

»Die Menschen Brundisiums wußten es nicht besser«, sagte ich. »Das ist meine feste Überzeugung.«

»Ich wurde gefangengenommen«, sagte der Kur. »Ich wurde wie ein Tier behandelt.«

»Ja.«

»Ich bin ein zivilisiertes Wesen. Ich bin so etwas wie ein Ehrenmann. Ich unterscheide mich sogar von den meisten meiner Artgenossen.«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte ich. »Was willst du tun?«

»Im Gefängnis hat man uns nicht gut gefüttert.«

»Halt!« rief ich vergeblich und konnte nur entsetzt zusehen. Augenblicke später zog das Ungeheuer die Leiche des Ubars wieder aus dem Öl.

»Warum siehst du mich so an?«

»Es ist nichts«, sagte ich.

»Ich bin ein zivilisiertes Wesen«, sagte der Kur. »Ich unterscheide mich sogar von vielen meiner Artgenossen. Sie sind Barbaren.«

»Ja, ich verstehe.«

»Wie du siehst, koche ich meine Nahrung sogar.«

»Ja«, flüsterte ich.

Ich war verzweifelt. Ich war so sicher gewesen, daß Belnar das Gesuchte bei sich getragen hatte. »Er«, sagte ich langsam und zeigte auf die Beute in den Pranken der Bestie.

Sie hob den Blick und sah mich an.

»Hat er Papiere bei sich gehabt, irgend etwas?«

Der Kur zuckte mit den Schultern, eine Geste, die bei seiner Rasse den halben Oberkörper in Bewegung setzt, dann wandte er sich wieder seinem Opfer zu.

Ich war davon überzeugt, daß er mich verstanden hatte und nur nicht wußte, wie er antworten sollte. Wenn er ein Päckchen, Papiere oder irgend etwas im Besitz des Ubars gesehen hätte, hätte er es mir mitgeteilt. Ich glaubte nicht daß er versucht hätte, etwas vor mir zu verbergen. Auf seine Weise war er mir zugetan.

Es war natürlich durchaus möglich, daß Belnar die Papiere an einem anderen Ort versteckt hatte, vielleicht auf dem Weg zwischen seinen Gemächern und der Stelle, an der er die Pranke der Bestie auf der Schulter gespürt hatte. Das hätte einen Sinn ergeben. Aber gab es in den vermutlich unbewachten, einsamen und nur selten benutzten Gängen überhaupt einen passenden Platz? Nein, es erschien wahrscheinlicher, daß er sie bei sich getragen hatte. Das hätte man erwartet. Ja, dachte ich, das ist genau das, was man erwartet hätte. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich dachte an Belnars Durchtriebenheit, an die Kühnheit und den Mut eines Mannes, wie er es gewesen war, der sich mit der nötigen Verschlagenheit an dem komplizierten und gefährlichen Spiel der hohen goreanischen Politik beteiligt hatte. Belnar war sehr klug gewesen! Das durfte ich nicht vergessen!

Der Kur sah mich überrascht an. Ich hatte einen Freudenschrei ausgestoßen. »Ich weiß, wo sie sind!« rief ich.

Er blinzelte.

»Ich weiß es!« rief ich glücklich. »Ich weiß es!«

In der obersten Sitzreihe ertönte ein Schrei. »Wer bist du? Was tust du da unten? Bleib stehen!«

»Es ist die Bestie!« rief ein zweiter Mann.

»Stehenbleiben!«

Ich sah mich wild um. Die oberste Sitzreihe schien plötzlich aus Helmen und Speerspitzen zu bestehen. »Wir sind umzingelt!« rief ich.

Der Kur rührte sich nicht. Ich zog das Schwert, dazu bereit, mich den Angreifern zu stellen. Die Sleen waren noch immer da und schlichen in großem Bogen um uns herum. Sie schienen das Wesen zu fürchten, das neben mir kauerte. Vermutlich respektierten sie nicht nur seine Größe und Wildheit, sondern waren als abgerichtete Sleen auch verwirrt, weil sie nicht begriffen, wem sie da gegenüberstanden und wie sie sich verhalten sollten. Das fremde Wesen war nicht am Pfahl festgemacht. Es hatte sie freigelassen und ihnen zu fressen gegeben.

»Stehenbleiben!« rief der Offizier, der mit einem Trupp Soldaten die Tribüne heruntergeschritten kam.

Der Kur stellte sich auf die Hinterbeine. Er mußte etwa zweieinhalb Meter groß sein, das war selbst für solch eine Bestie riesig.

»Bei den Priesterkönigen!« rief ein Mann. »Seht euch seine Größe an.«

»Ich hätte nicht gedacht, daß er so groß ist«, sagte ein anderer.

»Nähert euch mit größter Vorsicht«, sagte der Offizier. »Die Sleen sind ebenfalls los.«

»Das war gut«, sagte der Kur und fuhr sich mit der langen dunklen Zunge über die Schnauze. »Ich rieche Ruhm«, sagte er dann und sah sich um. »Das ist eine noch aufregendere Witterung als Fleisch.«

Zu diesem Zeitpunkt verstand ich nicht genau, was er damit meinte. Ich glaubte sogar, ich hätte ihn nicht richtig verstanden. Aus der Rückschau gesehen, vor allen Dingen im Licht der Geschehnisse, die sich danach zutrugen, bin ich allerdings der festen Überzeugung, daß ich seine Worte doch richtig verstanden habe. Vielschichtig sind die Motive von Mensch und Tier, und die Motive mancher Menschen und mancher Tiere werden sich für alle Zeiten dem Verständnis ihrer Artgenossen entziehen. Den Tieren, die nur vom Hunger und den Schlägen ihrer Herren angetrieben werden, bleiben die Bedürfnisse höherentwickelter und schrecklicherer Wesen für immer unverständlich. Ich kenne keine Möglichkeit, jenen den Sinn des Ruhms begreiflich zu machen, denen jegliches Gespür dafür fehlt. An welchem Maßstab soll man ihn messen?

»Du bist unbewaffnet«, sagte ich. »Flieh. Stirb nicht hier, nicht an diesem nichtssagenden Ort, nicht im Mondlicht, nicht auf diesem fremden Boden. Wer soll davon erfahren, wen wird es kümmern?«

»Das spielt keine Rolle«, sagte der Kur.