»Flieh. Hier ist keiner, der deinen Ruhm anerkennt.«
»Da irrst du.«
»Wer ist denn hier?«
»Ich«, sagte der Kur.
»Geht vorsichtig näher heran, Männer«, sagte der Offizier, der die Tribüne herunterkamen.
»Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal mit jemanden wie dir Rücken an Rücken stürbe«, sagte ich.
»Man hat mich aus meiner Welt verstoßen, meiner Stahlwelt, die so weit entfernt ist! Man hielt mich für einen Feigling.«
»Das fällt mir schwer zu glauben.«
»Trotzdem ist es die Wahrheit«, sagte der Kur. »Viele meiner Artgenossen, die wirklich kaum besser als Barbaren sind, konnten mein Verlangen nach den Annehmlichkeiten des Lebens, nach den kleinen Besonderheiten nicht verstehen, die die Langweile des Lebens unterbrechen.«
»So wie dein Fleisch zu kochen?« fragte ich.
»Genau. Also schickte man mich ins Exil, setzte mich ohne Waffen auf dieser Welt aus. Man ließ mir nicht einmal eine Bürste oder einen Kamm, nicht einmal etwas Schmuck. Wie sollte ich mich da pflegen können? Wie mein Erscheinungsbild bewahren?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte ich.
»Es war schrecklich.«
»Vermutlich.«
»Man kann doch sicherlich tapfer und ein Ehrenmann sein.«
»Sicher, warum auch nicht?«
»Hältst du mich für einen Schwächling?« fragte der Kur.
Ich schüttelte den Kopf.
»Gut.«
»Ich sähe es sogar als Ehre an, in deiner Gesellschaft zu sterben.«
»Ich hoffe, du bist nicht beleidigt«, erwiderte die Bestie. »Aber ich sähe es nicht als Ehre an, in deiner Gesellschaft zu sterben.«
»Was?«
»Bis zu einem gewissen Grad schmälert deine Gegenwart den Glanz dieses Augenblicks«, erklärte sie. »Außerdem gehörst du nicht zum Volk. Du bist ein Mensch,«
»So wurde ich geboren.«
»Mißversteh mich nicht«, sagte der Kur. »Und faß es auch nicht als Beleidigung auf. Das sollte kein Vorwurf sein. Ich weiß, daß du nichts dafür kannst.«
»Aber trotzdem…«
»Genau.«
»Du erwartest einfach zuviel.«
»Sei nicht ärgerlich. Es tut mir ja auch leid. Aber so ist es nun einmal.«
»Ich verstehe.«
»Außerdem ist es erforderlich, einen hohen An-| Spruch zu haben, wenn man ein Ehrenmann sein will.«
»Was schlägst du vor?« fragte ich. »Soll ich dort hinüber gehen, vielleicht in eine unauffällige Ecke, und mich dort in einen verzweifelten Kampf stürzen, nur um das Feld nicht mit dir teilen zu müssen?«
»Das wird nicht nötig sein.«
»Ich dachte, du brächtest mir so etwas wie freundschaftliche Gefühle entgegen.«
»Das tue ich auch«, erwiderte der Kur. »Sicherlich ist dir nicht entgangen, daß du nicht gefressen wurdest.«
»Das ist wahr«, mußte ich ihm zugestehen. Daran hatte ich wirklich nicht gedacht.
Die Soldaten hatten die Sandarena erreicht und umringten uns.
»Macht euch bereit, Männer«, sagte der Offizier. »Senkt die Speere. Spießt sie auf.«
»Unmittelbar hinter der Ubarloge befindet sich eine geöffnete Geheimtür«, sagte der Kur. »Ich bin durch sie hierhergekommen. Anscheinend ist es ein Privatzugang zur Ubarloge, durch die er herkommen konnte, ohne dem Volk begegnen zu müssen. Geschlossen ist sie so gut wie unsichtbar.«
»Was sagst du mir da?«
»Ich bezweifle, daß ich mich ohne weiteres als Mensch ausgeben könnte, selbst wenn ich die Schmach einer solchen Verkleidung in Kauf nähme«, sagte der Kur. »Andererseits bist du ein Mensch und hättest keine Schwierigkeit dieser Art. Außerdem trägst du die Uniform Brundisiums, wenn ich mich nicht irre.«
»Ich käme nie bis dorthin«, sagte ich.
»Gleich wird es einen großen Tumult geben.«
»Begleite mich.«
»Ich habe auf den Klippen seit Jahren von solch einem Augenblick geträumt«, sagte er. »Ich werde ihn weder verstreichen lassen noch, das versichere ich dir, ihn teilen.«
»Seht doch«, rief einer der Soldaten. »Ist das nicht der Kerl aus dem Bankettsaal, Bosk aus Port Kar, der auf so geheimnisvolle Weise verschwunden ist?«
»Da hast du recht!« rief ich zurück.
»Behaltet ihn bloß im Auge!« sagte der Offizier.
»Von hier kann er nicht verschwinden«, sagte ein Soldat.
»Sleen werden auf unterschiedliche Weise ausgebildet«, raunte die Bestie mir zu. »Die hier in der Grube reagieren auf gesprochene Kommandos, und es ist gleich, wer sie erteilt. Das nutzte mir wenig, als ich am Pfahl angekettet war, als sie auf mich gehetzt wurden, ich also ihr Ziel war. Doch jetzt bin ich nicht das Opfer, sondern der Sleenführer.«
»Solche Signale sind geheim«, erwiderte ich. »Sie werden sorgfältig gehütet. Du kennst sie nicht. Woher auch?«
»Ich habe gehört, wie man sie den Sleen zugeflüstert hat«, erwiderte der Kur, »Nur weil du keine Worte aus dieser Entfernung hören kannst, bedeutet das noch lange nicht, daß die Sleen oder auch ich es nicht können.«
Wieder stellten sich meine Nackenhaare auf.
»Sei bereit!«
»Jetzt«, sagte der Offizier. Die Männer setzten sich langsam in Bewegung, kamen schrittweise näher.
Der Kur an meiner Seite stieß eine Reihe von fast unhörbaren Lauten aus, die menschlichen Worten sehr nahekamen.
Die fünf Sleen fuhren unvermittelt herum, dann drängten sich die sechsbeinigen, gewandten, muskulösen, etwa drei Meter langen Tiere fauchend und knurrend an unsere Beine.
»Bei den Priesterkönigen!« rief ein Soldat entsetzt.
Plötzlich zischte der Kur eine Silbe, der eine wilde, befehlende Geste folgte, eine Bewegung, als würde er unter der Hand eine Waffe schleudern. Eines der Tiere stürzte sich mit gebleckten Zähnen auf die Männer und war einen Augenblick später wild um sich beißend in der Speerreihe verschwunden. Schreie ertönten, die Reihe brach auf. Für die Soldaten kam dieser Angriff völlig überraschend. Selbst wenn sie sich hätten umgruppieren können, war die Entfernung so kurz und der Sleen so schnell, daß ihnen nicht die nötige Zeit geblieben wäre, ihre Waffen zu einem der Situation angemessenen Verteidigungswall herabzusenken. Der Sleen war einfach auf das zugestürzt, was für ihn wie eine Öffnung aussah. Der Kur schickte die nächste lebende Waffe mit einer gezischten Silbe und einer Geste auf den Weg. Dann folgten in schneller Reihenfolge die restlichen Tiere, bis die Soldaten auseinanderfuhren und wild mit den Waffen um sich hieben.
»Hinter der Ubarloge!« sagte der Kur.
Ich sah ihn an, zögerte, ihn alleinzulassen.
»Geh!« sagte er. »Sie werden erfahren, daß selbst ein Ehrenmann zu kämpfen versteht.«
»Gibt es in deinem Land viele wie dich?« fragte ich.
»In meinen Ländern«, verbesserte er mich.
»In deinen Ländern«, sagte ich.
»Ein paar.«
»Ich verstehe.«
»Geh.«
»Wie ist dein Name?« fragte ich.
Er gab einen Laut von sich. »Das ist mein Name.«
»Ich kann ihn nicht aussprechen.«
»Dafür kann ich nichts.«
»Da hast du wohl recht.«
»Ich wüßte es wirklich zu schätzen, wenn du jetzt gingest.«
»Also gut«, sagte ich.
Ich stürmte an zwei Gruppen von Soldaten vorbei, die auf zwei sich windende Sleen einschlugen. Schreie ertönten. Ich sah, wie ein Sleen die Reißzähne in das Bein eines Soldaten geschlagen hatte. Ein paar Männer hatten sich an den Rand der Grube zurückgezogen. Ich eilte auf eine der Gruppen zu. »Was tut ihr da?« brüllte ich. »Sucht Bosk aus Port Kar!«
»Wir wissen nicht, wo er ist!« protestierte ein Mann. Im schattenerfüllten Mondlicht war sein Gesicht nur mühsam zu erkennen.
»Da sind Sleen!« rief sein Nebenmann.
Ich versetzte dem ersten Sprecher einen groben Hieb mit der Hand, in der ich das Schwert hielt. »Los, bewegt euch!«
Sie eilten verwirrt los.
»Du auch!« brüllte ich einen anderen Mann an.
»Ja, Herr«, rief er. Ich lief ein paar Ebenen der Tribüne hinauf, bis ich mich in der Nahe der Ubarloge befand, und blieb dort stehen, als hielte ich die Fäden in der Hand. Mit dem Schwert winkte ich anderen Soldaten zu, die sich noch auf der Tribüne befanden; sie sollten zu ihren Kameraden in die Grube eilen. Sie gehorchten.