»Doch, ich kann!«
Er starrte mich entsetzt an.
»Falls du dich an dem Wort Umbringen störst«, sagte ich, »sieh es doch einfach als Hinrichtung an.«
»Mit welcher Begründung?« rief er.
»Verrat an Ar!«
»Ich bin in deiner Hand«, sagte er. »Verschone
mich!«
Ich wog nachdenklich das Schwert in der Hand,
dann warf ich der nackt am Boden liegenden Yanina
einen Blick zu. Was sollte ich tun?
19
»Wir haben uns Sorgen gemacht!« rief Boots. »Was hat dich aufgehalten?«
»Unter anderem die Aufmerksamkeiten einer schönen Sklavin«, sagte ich.
»Natürlich«, sagte Scormus.
»Kennen wir sie?« fragte Chino.
»Sie war einst die Lady Yanina und gehört jetzt mir. Flaminius hat sie mir geschenkt.«
»Ausgezeichnet!« sagte Chino.
»Man wird sie in einem Faß Parsitfische nach Port Kar bringen, betäubt mit Tassapulver«, sagte ich lachend und dachte an eine ähnliche Reise, die man mir aufgezwungen hatte. »Flaminius wird sich darum kümmern. Dafür darf er weiterleben.«
»Gut gemacht«, sagte Lecchio. Rowena und Telitsia klatschten begeistert in die Hände, erfreut darüber, daß die einst so stolze Lady Yanina nun eine von ihnen war. Bina, die sich in Scormus’ Nähe aufhielt, hatte nur Augen für ihren Herrn.
»Ihr habt die Stadt ohne Zwischenfall verlassen können?« fragte ich.
»Ja«, sagte Boots. »Genau wie später Andronicus und die anderen.«
»Wo ist Andronicus?«
»Er und Petrucchio sind da hinten, an ihrem Wagen«, sagte Boots. Die Wagen der Schauspielertruppe standen auf einem bewaldeten Hügel, von dem aus man auf das Thassa hinaussah konnte. Es war früh am Morgen. In der Ferne zeichneten sich die Türme Brundisiums ab.
»Ihnen geht es doch gut, oder?« Ich hatte sie noch nicht gesehen, denn sie waren nicht gekommen, um mich zu begrüßen.
»Nun«, sagte Boots ausweichend.
Ich eilte um den Wagenkreis herum, bis ich zu einer Stelle hinter den Bäumen gelangte, an der der Hügel in eine Klippe überging, die weit über das Thassa hinausragte. Dort stand Andronicus’ Wagen. Petrucchio saß aufgerichtet auf einigen Decken, an ein paar Kissen gelehnt. Ein großer Verband schmückte seinen Kopf. Er befand sich in schlechterer Verfassung als nach Flaminius’ Schwertstoß. Andronicus war an seiner Seite.
»Hallo!« rief er schwach und hob die Hand, um mich zu grüßen.
»Wir hätten uns den anderen angeschlossen, um dich willkommen zu heißen«, sagte Andronicus. »Aber Petrucchio geht es heute nicht besonders gut, und ich kümmere mich um ihn.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte ich.
»Außerdem diskutieren wir gerade über die Haltungen des Kopfes«, sagte Andronicus. »Ich glaube, ich habe gerade eine neue entdeckt. Hast du je so eine gesehen?«
»Nein, ich glaube nicht«, sagte ich überrascht. »Zumindest nicht oft.«
»Diese Position wird nicht ausdrücklich in den Texten von Alamanius, Tan Sarto und Polimachus erwähnt.«
»Sollte sie als ernstzunehmend angenommen und in den Katalog aufgenommen werden, wäre es die Position einhundertundvierundsiebzig«, sagte Petrucchio. »Obwohl ich mich in der Theorie nicht so gut wie Andronicus auskenne, bin ich doch sehr stolz auf ihn.«
»Das sind wir alle«, sagte ich.
»Das Theater ist keine rein praktische Disziplin«, sagte Andronicus. »Es entwickelt sich auch durch Theorien weiter.«
»Davon bin ich überzeugt«, meinte ich. »Petrucchio, wie geht es dir?«
»Errichtet einen großen Scheiterhaufen«, sagte Petrucchio.
Ich warf einen prüfenden Blick unter den Verband.
»Er soll aus hundert Scheiten bestehen. Nein, aus tausend!«
»Das ist eine sehr häßliche Beule«, sagte ich und schob den Verband wieder zurecht. »Aber es ist nicht ernst.«
»Dann muß ich also nicht sterben?« fragte Petrucchio.
»Nein.«
»Auch gut.«
»Holzscheite sind so teuer«, mischte sich Lecchio ein.
»Wie ist er an diese Verletzung gekommen?« fragte ich. »Ist er auf der Wagentreppe ausgerutscht?«
»Nein«, antwortete Andronicus. »Er hat unerwartet einen Schlag von hinten erhalten.«
»Und welcher feige Sleen war das?« fragte ich wütend. Unter Umständen mußte hier Vergeltung erfolgen.
»Nun, wenn du es unbedingt wissen willst«, sagte Andronicus. »Ich war es.«
»Du?«
»Ja. Er wollte erneut nach Brundisium aufbrechen, um dich zu retten.«
»Ein guter Treffer«, beglückwünschte ich ihn.
»Vielen Dank.«
»Wie ist deine Flucht aus der Stadt verlaufen?« fragte Lecchio.
»Gut«, meinte ich. »Ich hätte nie gedacht, daß man bei der Abfahrt mit einem Handrad auf einem Tarndraht eine solche Geschwindigkeit erreichen würde. Ich prallte mit ziemlicher Gewalt gegen eine Häuserwand.«
»Der schwierigste Teil der Reise war vermutlich die Stelle, an der sich der Tarndraht von den niedrigen Dächern zur Stadtmauer erstreckt«, sagte Lecchio. »Dort nutzen dir die Schwerkraft und das Handrad nämlich nichts.«
»Das kann schon sein«, bestätigte ich.
»Glücklicherweise waren es ja höchstens drei oder vier Meter über dem Boden«, meinte er.
»Also praktisch nichts.«
»Hat dich jemand gesehen?«
»Ich habe gehört, wie ein paar Männer hinter mir hergerufen haben«, gab ich zu.
»Hast du der Versuchung widerstanden, für sie einen Salto auf dem Draht zu schlagen?«
»Ich konnte mich gerade noch zurückhalten«, sagte ich. »Ich bin siebenmal abgerutscht. Glücklicherweise konnte ich jedesmal gerade noch rechtzeitig den Tarndraht packen. Den Rest der Strecke habe ich mich an den Händen weitergehangelt.«
»Vermutlich bist du noch nicht soweit, so etwas zum Broterwerb zu machen«, meinte er.
»Nein, das denke ich auch.« Ich war froh, daß ich mir nicht das Genick gebrochen hatte. Sobald ich die Stadtmauern erreicht hatte, war der Rest einfach gewesen. Ich hatte eine Drahtschlinge über eine der Brustwehren geworfen und war geschützt durch Lederhandschuhe die achtzehn Meter bis zum Boden hinuntergeklettert.
»Hast du gehört, was Temenides und seinen Männern zugestoßen ist?« fragte Boots.
»Nein.«
»Man hat sie mit durchschnittener Kehle in den Straßen Brundisiums gefunden«, sagte er. »Anscheinend wollte man uns für ihre Ermordung verantwortlich machen, denn dieses Gerücht wurde absichtlich in Umlauf gesetzt. Aber Soldaten, die vermutlich nicht in die Verschwörung eingeweiht waren, haben uns von dem Verdacht reingewaschen. Als wir Brundisium verließen, wurde das ins Stadttorbuch eingetragen, und zwar zu einer Ahn, da Temenides und seine Männer noch am Leben waren. Das ist den Soldaten aufgefallen. Wir haben es von Andronicus erfahren; er hatte es gehört, als er mit Chino und Lecchio die Stadt verließ.«
»Ich verstehe«, sagte ich. Ich erinnerte mich, daß ich im Bankettsaal gesehen hatte, daß Belnar jemandem einen Befehl zugeflüstert hatte, als Temenides aus dem Saal floh. Es war wohl sein Pech gewesen, den Ubar zu enttäuschen. Belnar hatte allem Anschein nach geplant, die Schuld an diesen Morden der Schauspielertruppe von Boots Tarskstück anzulasten. Bei der Feindschaft zwischen Cos und Ar hätte ihm diese Strategie nicht nur die Möglichkeit verschafft, gegen Verdächtige vorzugehen und die Aufmerksamkeit von den wahren, in seinem Sold stehenden Mördern abzulenken, sondern ihm auch einen bequemen Vorwand geliefert, einige Fremde loszuwerden, die ihm möglicherweise irgendwann einmal hätten gefährlich werden können. Was wäre geschehen, wenn sie am falschen Ort die seltsame Tatsache angesprochen hätten, daß Temenides, ein einfacher Spieler aus Cos, in Brundisium am Tisch des Ubars gesessen hatte? Belnar hatte jedoch nicht wissen können, daß die Schauspielertruppe von Boots Tarskstück nicht ihre Quartiere im Palast aufsuchen, sondern sofort aus der Stadt fliehen würde.
»Selbst wenn man eure Namen reingewaschen hat«, sagte ich, »glaube ich nicht, daß ihr Brundisium in absehbarer Zeit einen erneuten Besuch abstatten solltet.«