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Caramon wußte sofort, was diese Pantomime darstellte, und spürte wieder das warme Blut über seine Hand spritzen, hörte die letzten geröchelten Worte des Barbaren. Aber er war zu weit gegangen, um jetzt aufzugeben. Und vielleicht war das auch ein Zeichen, sagte er sich. Der Geist des Barbaren verweilte in der Nähe, gierig auf Rache bedacht.

»Ich grüße dich, Gladiator«, rief einer der Wächter. »Du bist neu bei den Spielen, nicht wahr? Ich erzählte gerade meinem Kollegen, daß er heute einen guten Kampf verpaßt hat. Nicht nur das, durch dich habe ich auch noch sechs Silberstücke gewonnen. Wie wirst du genannt?«

»Er ist der ›Sieger‹«, antwortete Tolpan schlagfertig. »Und heute war erst der Anfang. Er wurde im Kampf noch nie besiegt, und das wird auch nie der Fall sein.«

»Und wer bist du, kleiner Taschendieb? Sein Manager?«

»Sicher«, sagte Caramon, »und auch ein guter.«

Die Wächter blinzelten sich wissend an, einer schüttelte neidisch den Kopf. »Ich habe die Frauen gesehen, wie sie dich heute beobachtet haben«, sagte er, sein Blick glitt über Caramons breite Schultern. »Ich hätte es wissen müssen, daß du zum Abendessen eingeladen bist.«

Worüber redeten sie? Caramons fragender Blick ließ die Wächter in erneutes Lachen ausbrechen.

Caramon betrat den Tempel. Im Gehen hörte er die Wachen plumpe Witze austauschen. Er zog den Kender in einen Korridor und stürzte in die nächste Ecke, auf die er stieß. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er sich befand.

Als die Wachen nicht mehr zu sehen und zu hören waren, ließ er Tolpan frei.

Der Kender war blaß, seine Augen waren aufgerissen. »Nun, diese... diese... Ich werde... Sie werden es bereuen...«

»Tolpan!« Caramon schüttelte ihn. »Beruhige dich. Erinnere dich, warum wir hier sind!«

»Taschendieb! Als ob ich ein gemeiner Halunke wäre!« Tolpan war sehr erzürnt. »Ich...«

Caramon sah ihn finster an, und der Kender brach ab. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, holte er tief Luft und atmete langsam wieder aus. »Es ist jetzt in Ordnung«, sagte er verdrossen.

»Nun, wir sind im Tempel, obgleich nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe«, murmelte Caramon. »Hast du gehört, was sie gesagt haben?«

»Nein, nur ›Ta...Taschendieb‹«

»Es hörte sich an... als ob die Damen M...männer hier einladen, um... Du weißt schon...«

»Hör mal, Caramon«, sagte Tolpan aufgebracht. »Du hast dein Zeichen bekommen. Sie haben uns hineingelassen. Sie haben dich wahrscheinlich nur auf den Arm genommen. Du weißt genau, wie leichtgläubig du bist. Du glaubst alles! Tika sagt das auch.«

Tikas Bild tauchte vor Caramons geistigem Auge auf. Er konnte hören, wie sie lachend diese Worte sagte. Er funkelte Tolpan wütend an, dann schob er die Erinnerung sofort beiseite.

Es gab im Tempel einen Korridor, den nur wenige betraten, und von diesen tat es niemand freiwillig. Wenn sie hier gezwungenermaßen einen Botengang zu erledigen hatten, erfüllten sie ihre Aufgabe und verschwanden so schnell wie möglich.

Der Korridor war so prachtvoll wie auch die anderen Hallen und Korridore im Tempel. Wunderschöne Wandteppiche in hellen Farben zierten die Wände, weiche Teppiche bedeckten den Marmorboden, anmutige Statuen füllten seine schattigen Alkoven. Mit Verzierungen versehene Holztüren gingen von ihm ab, führten zu Räumen, die wie die anderen Räume im Tempel dekoriert waren. Aber die Türen wurden nicht mehr geöffnet. Sie waren alle verschlossen. Alle Räume waren leer – alle außer einem.

Dieser Raum lag am entferntesten Ende des Korridors, der selbst tagsüber dunkel und still war. Es war, als ob der Bewohner dieses Raumes ein Leichentuch über den Boden geworfen hätte, über den er ging, über die Luft, die er einatmete. Wer diesen Korridor betrat, klagte über Eistickungsgefühle.

In diesem Raum lebte Fistandantilus seit Jahren, seit der Königspriester an die Macht gelangt war und die Zauberkundigen aus ihrem Turm in Palanthas vertrieben hatte, dem Turm, in dem Fistandantilus als Oberhaupt der Versammlung geherrscht hatte.

Welchen Handel hatten sie abgeschlossen, die führenden Kräfte des Guten und des Bösen auf der Welt? Welche Übereinkunft hatten sie getroffen, die es ermöglichte, daß der Dunkle im Inneren des heiligsten Ortes auf Krynn lebte? Niemand wußte es. Die meisten glaubten, daß es als Gnadenerweis des Königspriesters geschah, als eine ehrenhafte Geste einem besiegten Feind gegenüber.

Aber selbst der Königspriester ging nicht in diesen Korridor. Hier zumindest herrschte der große Magier in beängstigender Hoheit.

Am anderen Ende des Korridors befand sich ein hohes Fenster. Schwere Plüschvorhänge hielten tagsüber das Sonnenlicht und in der Nacht die Mondstrahlen fern. Äußerst selten drang Licht durch die dicken Falten der Vorhänge. Aber in dieser Nacht, vielleicht weil die Diener vom Vorstand der Hofhaltung angehalten worden waren, den Korridor zu säubern und Staub zu wischen, waren die Vorhänge ein klein wenig geteilt, so daß das silberne Licht Solinaris in den Korridor fiel. Die Strahlen des Mondes, den die Zwerge »Kerze in der Nacht« nannten, durchdrangen die Dunkelheit wie eine lange dünne Klinge aus glitzerndem Stahl.

»Dort ist seine Tür«, erklärte der Kender leise. »Auf der linken Seite.«

Caramon griff noch einmal unter seinen Umhang, suchte den Knauf des Dolches, seine beruhigende Gegenwart. Der Knauf war kalt. Caramon erschauerte und zog schnell seine Hand zurück.

Es schien eine einfache Angelegenheit, in den Korridor zu gehen. Dennoch konnte er sich nicht bewegen. Vielleicht war es die Ungeheuerlichkeit, die er zu tun beabsichtigte – das Leben eines Mannes zu nehmen, nicht in der Schlacht, sondern im Schlaf. Gab es ein scheußlicheres, feigeres Verbrechen?

Die Götter haben mir ein Zeichen gegeben, erinnerte sich Caramon, und er zwang sich dazu, an den sterbenden Barbaren zu denken. Er zwang sich dazu, an die Qualen seines Bruders im Turm zu denken. Er erinnerte sich, wie mächtig dieser böse Magier war, wenn er wach war. Caramon holte tief Luft und umklammerte den Knauf des Dolches. Er begann, in den stillen Korridor zu laufen; das Mondlicht schien ihm nun zuzuwinken.

»Bleib hier«, befahl Caramon dem Kender.

»Nein...«, begann Tolpan, aber Caramon brachte ihn zum Schweigen.

»Du mußt aber. Jemand muß am Ende des Korridors Wache halten. Wenn jemand kommt, mach ein Geräusch oder irgend etwas.«

»Aber...«

Caramon warf dem Kender einen finsteren Blick zu.

Tolpan schluckte und nickte. »Ich... ich werde mich dort drüben hinstellen, dort im Schatten.« Er zeigte in die Richtung und schlich davon.

Caramon wartete, bis er sicher war, daß Tolpan ihm nicht »zufällig« folgte. Dann drehte er sich um und setzte seinen Weg fort.

In seiner Ecke stehend sah Tolpan Caramon den Korridor hinunterlaufen. Er sah, wie der große Mann dessen Ende erreichte, eine Hand ausstreckte und sie auf den Türgriff legte. Er sah, wie Caramon die Tür leicht anstieß. Sie gab seinem Druck nach und öffnete sich lautlos. Caramon verschwand.

Caramon bewegte vorsichtig seinen breiten Körper durch die Tür, die er nur einen Spalt geöffnet hatte, für den Fall, daß die Angeln quietschten. Aber alles blieb ruhig. Kein Geräusch aus dem Tempel drang in diese Kammer, als ob das Leben selbst von der Dunkelheit verschluckt würde. Caramon spürte seine Lungen brennen, und ihm fiel eine lebhafte Erinnerung aus der Zeit ein, als er im Blutmeer von Istar beinahe ertrunken wäre. Entschlossen widerstand er dem Verlangen, Luft zu holen.

Er hielt in der Tür kurz inne, versuchte sein rasendes Herz zu beruhigen und sah sich im Zimmer um. Solinaris Licht strömte durch eine Lücke in den schweren Vorhängen, die das Fenster bedeckten. Ein Splitter silbernen Lichtes durchschnitt die Dunkelheit in einem schmalen Spalt, der zum Bett am anderen Ende des Zimmers führte.

Die Kammer war spärlich eingerichtet. Caramon bemerkte die Umrisse einer schweren schwarzen Robe, die über einem Holzstuhl hing. Weiche Lederstiefel standen daneben. Kein Feuer brannte im Kamin, die Nacht war zu warm. Den Dolchknauf umklammernd, zog Caramon die Waffe langsam hervor und durchquerte den Raum, geführt vom silbernen Mondlicht.