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Vivana blickte zu Lucien, der zu einem der rauchenden Löcher gelaufen war und das Brandeisen in die Flammen hielt, die aus den Tiefen heraufzüngelten. Ihr Herz klopfte wie wild, als sie nach dem Seil griff, das sie sich hinter den Gürtel gesteckt hatte. Nun kam der gefährlichste Teil.

Ihr Vater und sie sprangen in die Mulde, wo sich der Tümpel befand. Der Erfinder packte den zappelnden Dämon und versuchte, ihn auf den Bauch zu wälzen. Dabei berührte er die Magengegend des Geschöpfs, wo plötzlich ein zweites Maul aufklaffte und nach ihm schnappte. Glücklicherweise erwischte es nur seine mechanische Hand, sodass die spitzen Zähne keinen Schaden anrichten konnten. Ihr Vater versetzte dem Dämon einen Faustschlag und begann, sein Seil um ihn zu schlingen.

Vivana war beeindruckt. Ihr Vater besaß eine tiefsitzende Furcht vor allem Magischen, und sie hätte nicht gedacht, dass er so beherzt gegen eine derartige Kreatur kämpfen würde. Mit ihrem Seil in den Händen kam sie ihm zu Hilfe. Der Dämon wehrte sich kaum noch. Der Hieb mit der mechanischen Hand, die wesentlich kräftiger war als eine gewöhnliche, hatte ihm offenbar schwer zugesetzt. Sie fesselten seine Arme und Beine.

Kurz darauf kam Lucien zu ihnen. Als er feststellte, dass sie den Dämon bereits überwältigt hatten, ließ er den Knüppel sinken. Die Spitze des Brandeisens glühte.

Mit dem Fuß drehte er ihren Gefangenen auf den Rücken. Die Kreatur bleckte die Zähne. Sengendes Feuer erfüllte ihre Augen. Vivana spürte, dass der Dämon sie regelrecht durchleuchtete, dass sein Blick bis in Bereiche ihrer Seele vordrang, die sie vor jedermann verbarg, sogar vor sich selbst. Auch davor hatte Lucien sie gewarnt. Sie wehrte sich mit aller Kraft dagegen, so wie man einen unerwünschten Gedanken oder eine schmerzhafte Erinnerung unterdrückte.

»Hör auf damit«, sagte Lucien und hob warnend den Knüppel.

»Was wollt ihr?«, fauchte der Dämon.

»Deinen Gehorsam.« Lucien presste ihm das Brandeisen auf die Brust. Es zischte, der Dämon kreischte, und der widerwärtige Gestank verkohlten Fleisches breitete sich aus.

Auf seiner Haut prangte ein feuerrotes Zeichen, eine fremdartige Glyphe, die den Runen auf dem Eisenschaft ähnelte.

»Du kennst dieses Zeichen«, fuhr Lucien fort. »Es ist alt und mächtig. Du gehörst jetzt mir.«

Der Dämon wand sich vor Schmerzen. Geifer troff aus seinen beiden Mäulern, sowohl aus dem normalen als auch aus der zahnbewehrten Spalte in seinem Bauch. »Du bist ein Narr, wenn du das glaubst«, keifte er. »Das Zeichen hat schon lange keine Macht mehr.«

Zu Vivanas Entsetzen begann nun auch das zweite Maul zu sprechen. Seine Stimme klang anders als die normale, tiefer, kratziger, noch weniger menschlich. »Du hast dich mit dem Falschen angelegt, Alb«, sagte der Bauch und schmatzte obszön. »Binde uns los. Dann lassen wir dich und deine Menschenfreunde vielleicht am Leben.«

»Steh auf«, befahl Lucien unbeeindruckt.

Zunächst geschah nichts. Vivana fürchtete schon, der Dämon könnte recht haben und das Brandzeichen wäre wirkungslos. Dann aber bemerkte sie, dass ihr Gefangener gegen den Befehl ankämpfte – sie konnte die Anstrengung in jedem einzelnen Auge sehen. Schließlich musste sich der Dämon der Macht des Zeichens beugen, und er wälzte sich hin und her.

»Du musst die Fesseln lösen!«, krächzte er.

»Nein.«

Irgendwie gelang es dem Dämon, sich trotz des Netzes und der beiden Seile so weit aufzurichten, dass er vor Lucien kniete. »Das hat nichts zu sagen«, zischte er.

»Gar nichts!«, fügte der Bauch knurrend hinzu.

Lucien zog eines seiner Messer. »Ich könnte dir befehlen, dich in diesen Dolch zu stürzen. Willst du es darauf ankommen lassen?«

Die beiden Mäuler knirschten vor Wut mit den Zähnen, gaben jedoch keinen Laut von sich.

»Gut«, sagte der Alb. »Je eher du mich als deinen neuen Herrn akzeptierst, desto besser für dich. Jetzt halte still, damit ich dich losbinden kann.«

»Sollten wir ihn nicht sicherheitshalber gefesselt lassen?«, fragte Vivanas Vater.

»Nicht nötig. Er wird keinem von uns etwas tun.«

Lucien löste die Seilknoten und schnitt das Netz auf. Der Dämon schüttelte die Fetzen ab und berührte das Brandzeichen, zog die Krallenhand ruckartig zurück und verzog vor Schmerz den Mund. Dann beobachteten seine Augen abermals Vivana und ihren Vater.

»Ich gebe dir jetzt ein paar Befehle, die gelten, bis ich sie aufhebe, also hör gut zu«, sagte Lucien. »Erstens, du unterlässt es, in den Erinnerungen meiner Begleiter herumzuwühlen.«

Der Dämon gehorchte. Vivana spürte augenblicklich, wie sich seine tastenden Gedankenfinger aus ihrem Verstand zurückzogen.

»Zweitens, du wirst keinem von uns ein Leid antun, weder körperlich noch psychisch noch sonst wie. Drittens, du wirst uns nicht an andere Dämonen oder verdammte Seelen verraten oder die Bewohner des Pandæmoniums in irgendeiner Weise auf uns aufmerksam machen.«

Dass Lucien seine Anweisungen derartig präzise und beinahe wie ein Advokat formulierte, geschah nicht aus einer Laune heraus. Er hatte Vivana erklärt, dass Lügner Meister der Hinterlist und des Verrats waren. Wenn seine Befehle nicht lückenlos waren oder einen noch so kleinen Interpretationsspielraum aufwiesen, würde der Dämon versuchen, seine Worte zu verdrehen.

»Viertens, du bleibst immer in meiner Nähe und wirst dich nie mehr als zehn Schritte entfernen. Fünftens, du wirst nicht versuchen, zu fliehen. Und sechstens, du sprichst nur, wenn ich dich dazu aufforderte. Verstanden?«

Der Dämon schwieg. Die Blicke seiner Augen schienen Lucien zu durchbohren.

»Ich habe dir eine Frage gestellt.«

»Verstanden«, schnarrte der Lügner.

»Vor unserer Rache wird dich das nicht bewahren«, ergänzte der Bauch.

»Siebtens«, sagte Lucien, »für jeden Versuch, mich zu täuschen oder meine Befehle zu missachten, steche ich dir ein Auge aus.«

Sie kehrten zu den Felsen zurück. Widerwillig, aber gehorsam folgte ihnen der Dämon. Lucien wollte aufbrechen und bat die anderen, ihre Sachen zu packen.

»Wohin gehen wir?«, erkundigte sich Vivana.

»Zu einer Höhle, die ich unterwegs gesehen habe. Dort befragen wir den Dämon.«

»Warum nicht gleich hier?«

»Zu gefährlich. Ich weiß nicht, wie er sich verhält, wenn andere Dämonen auftauchen.«

»Obwohl du ihm befohlen hast, uns nicht zu verraten?«

Lucien warf einen verstohlenen Blick zu ihrem Gefangenen, der am Rande des Lagers wartete. »Er ist sehr gerissen. Wir machen uns besser auf die eine oder andere Überraschung gefasst.«

Kurz darauf waren sie bereit zum Abmarsch. Als ihr Vater gerade den Tragekorb aufziehen wollte, sagte der Alb: »Nein. Er soll das tragen.« Er gab dem Dämon einen Wink.

»Ich bin nicht dein Lakai«, knurrte der Lügner – besser gesagt, sein Bauch –, und er kämpfte erneut gegen die Macht des Brandzeichens an.

Lucien legte seine Hand auf den Messerknauf. »Auf welches Auge kannst du verzichten?«

Betont langsam kam der Dämon angeschlurft und schulterte den Korb. Vivana fragte sich, wie sie ihn dazu bringen sollten, sie zu Liam zu führen, wenn er bereits bei solchen Kleinigkeiten Probleme machte.

Sie gingen den Weg zurück, den sie gekommen waren. Nach einer Viertelmeile erreichten sie die Höhle: eine Öffnung in der Hügelflanke, im Innern geräumig genug für eine kleine Gruppe wie ihre und nach oben offen in Form einer schmalen Spalte, in der sich pfeifend der Wind verfing.

Lucien befahl dem Dämon, sich auf einen Felsen zu setzen.