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»Tun sie vermutlich auch«, erwiderte Lucien. »Die Herrscher des Pandæmoniums kämpfen ständig gegeneinander.«

Ein paar Stunden später stellte sich heraus, dass die Dämonenhorde keineswegs in die Schlacht zog, sondern scheinbar auf dem Weg nach Hause war. Vor Vivana und ihren Gefährten erstreckte sich ein weiter Talkessel, in dessen Zentrum eine gewaltige Säule auf ragte, durch einen Sattel mit den Berghängen verbunden. Ob die Säule natürlichen Ursprungs war oder ob es sich um ein Bauwerk des Verlorenen Volkes handelte, war schwer zu sagen, denn geometrische Formen und ebene Flächen durchsetzten den gewachsenen Fels. Auf der Spitze des Gebildes stand eine Burg, eine Festungsanlage mit dornartigen Türmen und wulstigen Wehrmauern, die seltsam organisch wirkte, obwohl sie zweifellos aus Stein bestand. Mehrere Verschlinger, schwarze Riesenvögel, umkreisten das Gemäuer.

Das Dämonenheer kroch die Bergflanke empor, zog über den Sattel und marschierte schließlich die Serpentinen hinauf, die zu den Toren der Burg führten.

Vivana empfand Beklemmung und Ekel, als sie zur Festung aufblickte. Wie ein Geschwür wuchs das Gebäude aus der Felssäule, und sie konnte förmlich spüren, wie sich dort oben das Böse ballte. »Wem gehört die Burg?«

»Nachach, dem Herrn dieser Berge«, antwortete Lucien.

»Ist er ein Dämon?«

»Ein sehr mächtiger. Ein Fürst des Pandæmoniums.«

»Können wir das Tal nicht umgehen?«

Der Alb wandte sich an ihren Führer. »Können wir?« »Bedauerlicherweise nicht«, erwiderte der Dämon glattzüngig. »Dies ist der einzige Weg.«

»Glaube ich dir nicht.«

»Würde ich dich je belügen, Meister?«

»Du wartest doch nur darauf, dass Nachach uns erwischt. Führ uns über die Berge«, sagte Lucien. »Aber so, dass wir keinem von Nachachs Blutsklaven begegnen, verstanden?«

»Dein Wunsch ist mir Befehl«, meinte der Dämon und verneigte sich, woraufhin sein Bauch obszön zu schmatzen begann.

Die Umgebung der Burg war keineswegs so verlassen, wie es den Anschein hatte. Als sie tiefer in die Berge vordrangen, trafen sie immer wieder auf kleine Gruppen von Dämonen, offenkundig Patrouillen von Nachach, die die Gegend nach Eindringlingen absuchten. Meist handelte es sich um vierbeinige Kriegerdämonen, doch einmal erblickten sie auch eine Schar hundsköpfiger Menschen – Kynokephale, wie Lucien die Geschöpfe nannte. Der Alb bemerkte die Dämonen dank seiner scharfen Sinne stets, lange bevor diese sie sehen konnten, sodass sie sich rechtzeitig hinter einem Felsen oder in einer Spalte verstecken konnten, bis die Patrouille verschwunden war.

Die Wanderung durch die Berge war überaus beschwerlich, und der gestörte Schlaf zehrte so sehr an ihren Kräften, dass sie nur ein paar Meilen vorankamen, ehe sie wieder rasten mussten. Lucien fand die Ruine einer kleinen Bergfestung, die gut verborgen zwischen den Felsen lag. Dort, im Windschatten der Obsidianmauern, schlugen sie ihr Lager auf.

Vivana hatte sich kaum hingelegt, als sie auch schon in Schwärze versank. Sie hatte mit ihrem Vater vereinbart, dass sie ihn mit der Wache ablöste. Deswegen überraschte es sie, dass nicht er es war, der sie weckte, sondern Ruac.

»Was ist denn?«, murmelte sie verschlafen und wischte sich das Haar aus dem Gesicht. Ruhe herrschte im Lager. Lucien schlief, und ihr Vater kauerte in seine Decken gehüllt an einer Mauer.

Fragend blickte sie den Tatzelwurm an, der neben ihr saß und züngelte. Er war bereits größer als ein Schäferhund, und der stumpfe Glanz seiner Schuppen deutete darauf hin, dass er sich bald wieder häutete. Doch das war es nicht, was ihr auffieclass="underline" Er hatte seine Rückenstacheln aufgerichtet – ein untrügliches Zeichen für Gefahr.

Alarmiert stand sie auf. Seltsamerweise kam keine Reaktion von ihrem Vater... weil er schlief. Erst jetzt bemerkte sie, dass sein Kopf auf die Brust gesunken war und er leise schnarchte.

Vivana murmelte einen Fluch. Hatte Ruac sie darauf aufmerksam machen wollen? Sie wollte den Erfinder gerade wecken, als sie ein Geräusch hörte, ein schmerzhaftes Keuchen. Es kam vom Dämon, der außerhalb der Mauern auf dem Boden saß, wo Lucien ihn an einen Felsen gefesselt hatte. Irgendwie war es ihm gelungen, eine Hand zu befreien, und er rieb sich die Brust. Was genau er tat, konnte sie nicht erkennen, denn er hatte ihr den Rücken zugewandt.

Wieder ein unterdrückter Schmerzenslaut. »Aufwachen!«, rief Vivana ihrem Vater zu und rüttelte ihn, bevor sie nach seinem Messer griff.

Dank seiner Augen am Hinterkopf bemerkte der Dämon sie, sowie sie über den Schutt im Eingang der Ruine stieg. Er bleckte die Zähne und schnaubte zornig und voller Pein.

»Was machst du da?«, fragte Vivana scharf. Sie sah, dass er versuchte, seine Fesseln zu lösen; wo er mit seinen Krallen darüberkratzte, begann der Strick aufzufasern.

»Hör auf damit! Lucien hat dir das verboten!«

Der Dämon kicherte und krächzte gleichzeitig. »Dein Freund hält seine Befehle für wasserdicht. Dabei hat dieser Narr den wichtigsten vergessen.«

Vivana schlitterte die Böschung hinab, die sich zwischen der Ruine und dem Felsen befand. Der Dämon zerrte an seinen Fesseln; Blut glitzerte an seinen Krallen. Vivanas Augen weiteten sich, als sie die Wunde auf der Brust der Kreatur erblickte. Die Haut und das Fleisch waren so zerfetzt, dass man das Brandzeichen kaum noch erkennen konnte.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Niemand hatte daran gedacht, dem Dämon zu verbieten, das Brandzeichen abzukratzen. Vivana hätte so etwas nicht einmal für möglich gehalten. Der Dämon musste unsägliche Schmerzen in Kauf genommen haben, um das Zeichen von seinem Körper zu entfernen.

»Nicht!« Sie rief sich ins Gedächtnis, wie Lucien mit dem Dämon geredet hatte. »Ich befehle dir, das sofort zu lassen.«

»Du bist nicht mein Meister«, erwiderte die Kreatur. »Außerdem ist es dafür jetzt zu spät.«

Er hatte das Seil schon so weit gelockert, dass er aufstehen konnte. Vivana wurde klar, in welcher Gefahr sie sich befand – wenn der Dämon im Stande war, sich zu befreien, besaßen auch alle anderen Befehle keine Macht mehr über ihn. »Weck Lucien auf, schnell!«, rief sie ihrem Vater zu, der endlich zu sich gekommen war.

Der Dämon schlug nach ihrem Gesicht. Dass die Krallenhand sie verfehlte, war allein Ruac zu verdanken, der in diesem Moment zu ihr kam und nach dem Dämon schnappte. Seine Zähne gruben sich in den Arm der Kreatur, sie schrie und schmetterte Ruac gegen den Felsen, sodass der Tatzelwurm die Böschung hinunterrollte.

Mit einer einzigen wütenden Bewegung packte der Dämon die Reste seiner Fesseln und zerriss sie. Geifer troff aus beiden Mäulern und vermischte sich mit dem Blut, das aus der Wunde quoll. Vivana wich zurück und stolperte. Das Messer rutschte ihr aus der Hand und verschwand zwischen den Steinen.

Der Dämon grinste voller Vorfreude. »Lauf nicht weg«, sagte er. »Wir sind schon gespannt, wie deine kleine, unschuldige Seele schmeckt.«

Vivana bezwang ihr Entsetzen, als er seine Krallenhände nach ihr ausstreckte. Sie packte einen Stein und schleuderte ihn dem Dämon ins Gesicht. Die Kreatur schrie vor Wut und taumelte, was ihr Zeit verschaffte, um aufzustehen.

»Lauf!«, rief Lucien ihr zu. Der Alb musste blitzschnell aufgewacht sein, denn er kam noch vor ihrem Vater die Böschung heruntergelaufen, in der Hand seinen Waffengürtel. Er warf ein Messer und traf den Dämon an der Schulter. Mit einer Flinkheit, die Vivana dem Dämon niemals zugetraut hätte, stürzte er sich auf Lucien, der einen zweiten Dolch gezückt hatte und ihn seinem Gegner in die Seite stieß, ohne das Geschöpf damit merklich zu beeinträchtigen.

Vivana lief zu Ruac, der zwar unverletzt, aber sichtlich benommen war. Seine Flanken glühten zornig. »Wir müssen Lucien helfen«, stieß sie hervor. »Hilf mir, mein Messer zu finden.«

Sie begann, hektisch die Steine abzusuchen, während Lucien vor den Krallenhieben des Dämons zurückwich. Der Blutverlust und die Schmerzen schienen die Kreatur nicht im Mindesten zu schwächen; im Gegenteil, sie verfiel in Raserei und hätte den Alb zerfetzt, wenn dieser nicht so behände gewesen wäre.