Выбрать главу

Dämonen mit geschnitzten Knochenhelmen erschienen auf der Brüstung, Befehle wurden gebrüllt, und das Tor öffnete sich knarrend. Der Trupp marschierte in eine Halle voll von Schatten und glühendem Zwielicht. Nirgendwo schien es geometrische Formen zu geben; Steinwülste bildeten Wände, wuchsen um Öffnungen herum, verdichteten sich zu Pfeilern und sehnenartigen Streben, wodurch der Raum wie das Innere eines gewaltigen Organs wirkte. Feuer züngelte aus Schächten herauf, und im Schein der Flammen erschienen fratzenhafte Gesichter, Scharen von Dämonen, die aus Löchern und Durchgängen schlüpften, um die Gefangenen anzuglotzen. Das Halbdunkel war erfüllt von Flüstern und Zirpen.

An der Stirnseite der Halle blieb die Horde stehen. Vivana konnte spüren, dass die Bewohner der Festung ihnen gefolgt waren und sich dicht hinter ihr zusammendrängten. Stufen und Rampen führten zu einem Podest, auf dem zwei flackernde Feuerpfannen standen. Dahinter erhob sich ein Thron, der kaum als solcher zu erkennen war, denn er bestand gänzlich aus rostigen Metallteilen, aus Rädern, Waffen und Stangen, die man ohne erkennbare Ordnung aneinandergeschmiedet hatte.

Das Geschöpf, das darauf saß, war anderthalb mal so groß wie ein Mensch und besaß einen knochigen Leib, dünne Beine und Arme mit Krallenhänden, die auf den Thronlehnen lagen. Der Schädel hatte eine seltsam eckige Form und wies ein mit spitzen Zähnen bewehrtes Maul und schräg stehende Augen auf. Ob das Wesen männlich oder weiblich war, konnte Vivana nicht einschätzen, denn das Gesicht vereinte auf verwirrende Weise Eigenschaften beider Geschlechter in sich.

Der Dämon – zweifellos Nachach – bot einen Furcht erregenden Anblick, dennoch verspürte Vivana weit größeres Entsetzen, als sie die Gestalt erkannte, die neben dem Thron stand.

Es war Seth.

Er?, dachte sie. Aber wieso? Der Incubus schien ihre Verwirrung und Furcht genau zu spüren und bedachte sie mit einem dünnen Lächeln.

In diesem Moment trat Liam vor. »Mächtiger Nachach, mein Bruder«, sagte er und verneigte sich vor dem Thron. »Es ist lange her. Dich zu sehen macht mich glücklich.«

Bei dem Geräusch, das Nachach von sich gab, lief Vivana ein Schauder über den Rücken. Es war ein raspelndes Lachen, wie das Schmirgeln eines Wetzsteins auf rostigem Stahl. Dann sprach er. Seine Stimme war nicht laut, aber so unangenehm und durchdringend, dass Vivana sie mit jeder Faser ihres Körpers spürte. »Ich bewundere deinen Mut. Du kommst einfach in mein Haus und trittst vor meinen Thron, nach allem, was du getan hast. Hast du vergessen, dass ich dir den Kopf abreißen wollte, wenn du dich je wieder blicken lässt?«

»Es ist viel zwischen uns vorgefallen, und ich verstehe deinen Zorn«, erwiderte der Liam-Dämon mit einer Demut, die gar nicht zu seiner üblichen Großspurigkeit passte. »Aber ich bin hier, um unseren Streit beizulegen. Ich erbitte deine Verzeihung und bringe dir zum Dank für deinen Großmut Geschenke.«

»Geschenke?«, fragte Nachach.

»Wie du siehst, habe ich einen neuen Körper. Einen menschlichen Leib, wie ich ihn mir immer ersehnt habe. Ich habe ihn einem Jungen gestohlen, der in deinem Reich gestrandet ist.« Der Liam-Dämon wies auf Vivana, ihren Vater und Lucien, die vor dem Podest knieten. »Dies sind seine Gefährten. Sie sollen dir gehören, als Zeichen meiner Freundschaft.«

Nachach erhob sich von seinem Thron und stieg die Treppe hinunter. Obwohl seine Bewegungen wegen der langen Gliedmaßen seltsam staksig wirkten, zweifelte Vivana nicht daran, dass der Dämonenfürst jedem Menschen an Kraft und Schnelligkeit weit überlegen war. Als er den Boden der Halle erreichte, fauchte Ruac und versuchte, ihn anzugreifen. Vier Dämonen waren nötig, Vivanas geschuppten Gefährten festzuhalten.

»Was ist das?«, wollte Nachach wissen.

»Ein Tatzelwurm«, sagte der Liam-Dämon. »Nicht mehr lange und er wächst zu einem Lindwurm heran. Er wird ein prachtvolles Reittier für dich abgeben, mein Bruder.«

Nachach schritt an ihnen vorbei und musterte sie der Reihe nach. »Ein Alb? Was soll ich mit einem Alb? Sein Körper ist nutzlos für mich.«

»Er ist ein guter Kämpfer. Lass ihn zu deiner Unterhaltung in den Sklavengruben kämpfen.«

Der Vorschlag fand Anklang bei den versammelten Dämonen. Sie zirpten und krächzten in freudiger Erwartung.

»Die anderen beiden sind Menschen«, fuhr der Liam-Dämon fort. »Der Mann ist hässlich und verkrüppelt, aber das Mädchen ist noch jung. Ihr Körper wird dir gefallen. Du wirst dich wie neugeboren darin fühlen.«

Nachach beugte sich herunter, sodass sein Gesicht nur noch wenige Finger breit von Vivanas entfernt war. Er neigte den Kopf erst auf die eine, dann auf die andere Seite, hob ihr Kinn mit seinen dünnen Fingern und schien jeden Zoll ihrer Züge genau zu studieren. Vivana bemühte sich, ihm in die Augen zu sehen, obwohl sie vor Entsetzen am ganzen Leib zitterte. Sie war entschlossen, ihre Angst nicht zu zeigen.

Nachachs Maul öffnete sich, klaffte zu einem Grinsen auf, eine zahnbewehrte Sichel, die so breit war, dass sie den Kopf in zwei Hälften zu trennen schien. »Ja«, sagte der Dämonenfürst. »Ja, das ist ein hübscher Körper. Ich glaube, ich werde ihn mögen.«

Er ließ von Vivana ab und wandte sich Liam zu. »Ich nehme deine Geschenke an, kleiner Bruder. Unser Zwist ist vergessen. Nun lass uns unser Wiedersehen feiern!«

Die Dämonen brüllten und jubelten und stampften mit Füßen und Speerschäften auf. Trommeln wurden geschlagen, und es erklang misstönende Musik. Die Feuer brannten höher und erfüllten den Saal mit dunklem Flammenschein. Kessel wurden herbeigeschafft. Nachach und Liam fassten einander an den Händen und führten einen grotesken Tanz auf, in den nach und nach die anderen Dämonen einfielen.

Die Kynokephale packten Vivana und ihre Gefährten und zerrten sie zu einem Loch im Boden. »Ruac!«, schrie Vivana, als sie sah, dass der Tatzelwurm zu einer anderen Öffnung geführt wurde. »Wohin bringt ihr ihn?«, rief sie, doch statt ihr eine Antwort zu geben, stieß man sie in das Loch.

Hart schlug sie auf dem Boden auf. Klauenhände griffen nach ihren Armen und schleiften sie den Tunnel entlang. Ein Dämon grunzte etwas und schwenkte eine Fackel, woraufhin man eine unförmige Tür aufschloss und sie in eine dunkle Kammer warf. Ihr Vater und Lucien landeten neben ihr. Plötzlich packte Vivana jähe und unvernünftige Wut, sie sprang auf und wollte zur Tür laufen, doch etwas schlang sich um ihren Fußknöchel und brachte sie zu Fall. Gerade als sie feststellte, dass es sich dabei um eine Art Ranke handelte, schossen weitere Stränge aus dem knotigen Boden und wickelten sich um ihre Arme und Beine. Verzweifelt warf sie sich hin und her. Je heftiger sie sich wehrte, desto fester wurde die Umklammerung. Schließlich gab sie es auf und blieb reglos liegen. Die seltsamen Ranken ließen sie nicht los, lockerten sich jedoch ein wenig, sodass sie zu Lucien und ihrem Vater kriechen konnte. Die beiden Männer waren auf die gleiche Weise gefesselt wie sie.

Vivana versuchte, ihre tobenden Gedanken zu ordnen. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, und sie sah, dass ihr Gefängnis ähnlich organisch beschaffen war wie die große Halle der Burg. Wurzelartige Fäden hingen von der Decke, die Luft war feucht und stickig. Der Boden bestand nicht aus Stein, sondern aus einer weichen und fleischigen Substanz. Er pulsierte leicht. Der Kerker sah nicht nur lebendig aus, begriff sie – er war lebendig.