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»Ist das wirklich nötig?«, fragte Vivana.

»Ja. Der Dämon wird versuchen, sich der Austreibung zu widersetzen.«

Livia gab Madalin ein Seil, und der Manusch leistete ihrer Anweisung Folge. Zu Vivanas Erleichterung ging ihr Onkel dabei einigermaßen behutsam zu Werke.

»Was wirst du jetzt mit ihm tun?«

»Ich muss ein Ritual durchführen, um Liams Seele von dem Eindringling zu trennen und den Dämon zu zwingen, seinen Körper zu verlassen.«

»Wofür ist das Herz?«

»Es ist ein Gefäß. Ich banne den Dämon hinein, dann vernichten wir es.«

»Brauchst du wieder meine Hilfe?«

»Diesmal nicht. Meine Kräfte sind so weit wiederhergestellt. Außerdem ist das Ritual zu gefährlich für dich.«

Inzwischen hatte Livia den größten Teil ihrer Sachen in die Kiste zurückgetan. Übrig geblieben waren eine Schriftrolle, ein Trankfläschchen, ein Gebilde, das Vivana für eine getrocknete Knolle oder Wurzel hielt, das Messer sowie ein Stückchen Kreide. »Aber du kannst mir ein bisschen unter die Arme greifen, wenn du willst«, sagte Livia, entrollte die Schriftrolle und beschwerte sie mit dem Trankfläschchen und dem Messer. »Hilf mir, die Runen abzuschreiben. So viele wie möglich, genau wie beim letzten Mal.«

Sie brach die Kreide entzwei. Vivana prägte sich die Zeichen und Symbole ein, die auf der Schriftrolle abgebildet waren. Es waren andere als bei der Beschwörung des Lichts. Dann machte sie sich an die Arbeit.

»Was ist unsere Aufgabe?«, fragte Madalin.

»Ihr haltet Liam fest, wenn es losgeht.«

Eine halbe Stunde später waren Boden und Wände der Gewölbekammer mit Symbolen übersät. Das Gewirr aus Kreidezeichen bot einen beklemmenden Anblick, doch Vivanas Unbehagen hatte noch einen anderen Grund: Sie konnte spüren, dass sich der Raum mit einer unsichtbaren Kraft füllte, mit einer schwer fassbaren Präsenz, einem Knistern in der Luft, das darauf wartete, sich zu entladen.

Livia versuchte, Liams Mund zu öffnen. Sein Kiefer hatte sich verkrampft, sodass es ihr nicht auf Anhieb gelang. Sie zerbrach die Wurzel und schob ihm ein kleines Stück unter die Zunge.

»Wofür ist das?«, fragte Vivana.

Die Wahrsagerin gab keine Antwort. Sie war so in Konzentration versunken, dass sie sie womöglich gar nicht gehört hatte. Anschließend öffnete sie die Phiole und beträufelte Liam mit einer öligen Flüssigkeit, die scharf roch: zuerst auf die Stirn, dann auf die Brust und den Bauch und zum Schluss auf die Beine.

»Jetzt«, sagte sie und gab Madalin ein Zeichen, woraufhin der Manusch, Lucien, Vivanas Vater und Bajo vortraten und Liam an Armen und Beinen festhielten. Vivana wollte ihnen helfen, doch Livia hielt sie zurück.

»Du nicht. Der Dämon weiß, dass du das schwächste Glied der Kette bist. Dich greift er zuerst an, wenn er kann.«

Die Wahrsagerin stellte sich am Ende der Trage auf, legte Liam die Hand aufs Gesicht und begann, mit geschlossenen Augen zu murmeln. Sie gebrauchte die alte Sprache der Manusch, doch es waren auch Worte darunter, die anders klangen, ganz und gar fremdartig. Keine richtigen Silben, sondern seltsam kehlige Laute. Vivana spürte, wie sich die Energie im Raum um Liam zusammenzog. Ihr Herz klopfte schneller, und ihre Handflächen wurden feucht.

Ein kaum hörbares Flüstern erfüllte das Halbdunkel des Kellers. Mühsam unterdrückte Furcht sprach aus den Gesichtern von Bajo, Madalin und ihrem Vater.

Die Lampe begann zu flackern.

»Das Licht!«, stieß Livia hervor, »es darf nicht ausgehen!«

Vivana stürzte zur Laterne und drehte sie heller, wobei sie sich an dem heißen Metall die Hand verbrannte. Die Flamme flackerte stärker. Als würde irgendeine unsichtbare Kraft gegen das Licht ankämpfen.

Livia nahm ihren Sprechgesang wieder auf, wiederholte monoton die immer gleichen Worte. Ihr Körper bebte vor Anspannung. Schweiß glitzerte auf ihrer Haut, und ihre Hand auf Liams Gesicht verkrampfte sich, sodass sie einer gespreizten Klaue glich.

Die Männer schraken zusammen, als ein Zucken Liams Körper durchlief. Unwillkürlich wichen sie zurück. Nur Lucien zeigte keine Furcht.

»Nicht loslassen!«, sagte Livia.

Liam wurde nun von Krämpfen geschüttelt. Er biss die Zähne zusammen, keuchte und stemmte sich mit Armen und Beinen gegen die Fesseln. Die Männer hatten Mühe, ihn festzuhalten.

Er schlug die Augen auf.

Vivana hätte beinahe vor Freude aufgeschrien – endlich, endlich war er wieder bei Bewusstsein –, doch als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, blieb ihr der Ausruf im Hals stecken. Sie glühten schier vor Bosheit und Mordlust. Es war nicht Liam, der da zwischen Livias Fingern hindurchblickte, es war der Dämon. Obwohl Madalin die Fesseln so fest wie möglich gezogen hatte, warf er sich auf der Trage hin und her, bog seinen Körper durch und wehrte sich mit aller Kraft gegen den Griff der vier Männer. Er versuchte, Livias Hand abzuschütteln und schnappte nach ihr. Dabei versprühte er Speichel und keuchte wie ein Tier.

Livia presste ihm beide Hände auf Schläfen und Kieferknochen, hielt seinen Kopf fest und setzte beharrlich den Beschwörungsgesang fort, ohne die Augen zu öffnen.

»Nein!«, fauchte der Dämon. »Der Körper gehört mir. Mir! Mir! Mir!«

»Vorsicht, Paps!«, schrie Vivana, als sie sah, dass sich das Seil an Liams Arm lockerte. Ihr Vater bemerkte es eine halbe Sekunde zu spät. Liam stemmte sich dagegen, der Knoten öffnete sich, und er bekam den Arm frei, ehe der Erfinder etwas dagegen unternehmen konnte. Liam versetzte ihm einen Schlag und schleuderte ihn zu Boden.

Vivana zögerte nicht, nahm seine Stelle ein und packte Liams Arm. Versuchte, ihn herunterzudrücken und festzubinden. Unmöglich. Die Kraft, mit der Liam sich wehrte, war übermenschlich. Sie wurde hin und her geworfen, als er versuchte, sie abzuschütteln.

»Ich habe dich gewarnt«, keifte der Dämon. »Wenn ihr mich zwingt, seinen Körper zu verlassen, zerreiße ich ihn.«

Er griff nach Vivanas Hemdkragen und zog sie zu sich. Sie wehrte sich dagegen, doch sein Griff war so fest wie eine Schraubzwinge. Sie konnte seinen stinkenden Atem riechen, als ihr Gesicht nah an seinem war, und die Bosheit, die von ihm ausging, war so intensiv, dass ihre Haut zu brennen schien.

»Ich töte den Jungen«, flüsterte er. »Ich zerfetze ihn in tausend Stücke, wenn du dem Weib nicht befiehlst, aufzuhören.«

Ihr Vater packte Liams Arm mit seiner mechanischen Hand und drückte zu, bis der Dämon vor Schmerz aufschrie und sie losließ. Vivana taumelte zurück und rang um Atem.

»Das Herz«, rief Livia. »Mach schnell.«

Vivana langte nach dem Beutel und warf ihn ihrer Tante zu. Die Wahrsagerin schüttelte ihn aus, und das Schweineherz plumpste Liam auf die Brust.

Der Dämon brüllte vor Zorn und bäumte sich auf. Das Seil riss. Die Enden peitschten durch die Luft, er bekam beide Arme frei und stieß Vivanas Vater, Madalin, Bajo und Livia von sich. Lucien, der sich auf ihn werfen wollte, fasste er am Nacken und warf ihn zu Boden. Holz brach splitternd, als er die Trage zerstörte, um seine Beine freizukämpfen. Wie ein Raubtier kauerte er da, lauernd und bereit zum Sprung.

»Lasst ihn nicht entkommen«, rief Livia.

Vivana entdeckte das Herz – es lag in einer Ecke des Kellers und hatte eine blutige Spur auf dem Boden hinterlassen, als es dort hingerollt war. Sie kroch los.

Der Dämon begriff, was sie vorhatte, und sprang. Lucien stellte sich ihm in den Weg, und beide stürzten zu Boden. Die anderen kamen ihm zu Hilfe. Der Dämon schlug, biss und trat nach ihnen, und mehr als einmal erwischte er einen seiner Gegner so hart, dass der Getroffene für ein paar Sekunden benommen dalag, ehe er wieder in das Handgemenge eingreifen konnte.