»In der Nähe des Nordtors von Tor«, sagte der Offizier, »gibt es einen Brunnen. Wie heißt er?«
»In der Nähe des Nordtors von Tor gibt es keinen Brunnen«, erwiderte ich.
»Wie heißt der Brunnen in der Nähe der Verkaufsstände der Sattelmacher?« wollte der Offizier wissen.
»Das ist der Brunnen der Vierten Passage Hand«, erwiderte ich. Man hatte an jener Stelle vor über einem Jahrhundert Wasser gefunden, während der vierten Passage Hand. Ich war froh, daß ich einige Tage in Tor zugebracht hatte, ehe ich meinen Unterricht am Krummsäbel begann. Es ist unklug, sich als Abkömmling eines Ortes auszugeben, den man überhaupt nicht kennt.
»Du sprichst nicht wie ein Mann aus Tor«, sagte der Offizier.
»Ich bin auch nicht in Tor geboren worden«, erwiderte ich. »Ich stamme eigentlich aus dem Norden.«
»Er ist ein Spion der Kavars!« sagte ein Leutnant neben dem Hauptmann.
»Ich bringe Edelsteine für Suleiman, euren Herrn«, sagte ich. »Dafür möchte ich von ihm gepreßte Dattelbarren kaufen.«
»Wir sollten ihn töten«, drängte der Leutnant.
»Ist das deine Kurdah?« fragte der Hauptmann und deutete auf die Kaiila neben mir.
»Ja«, sagte ich.
Während der Inspektion hatten die Soldaten schon so manche Kurdah geöffnet, in denen sich immerhin Kavars verbergen mochten. Doch bis jetzt hatten sie hinter den Vorhängen nur erschrockene Mädchen gefunden.
»Was ist darin?« fragte er.
»Ein Sklavenmädchen weiter nichts.«
Er lenkte seine Kaiila zur Kurdah und hob den Krummsäbel, um damit den Vorhang zur Seite zu streifen.
Doch schon fuhr mein Säbel hoch und versperrte ihm den Weg. Die Männer erstarrten. Fäuste ballten sich um die Griffe der Krummsäbel, Lanzen wurden gesenkt.
»Vielleicht verbirgst du darin einen Kavar!« sagte der Hauptmann. Daraufhin öffnete ich mit meiner Waffe den Vorhang. Das Mädchen, das in der Kurdah kniete, nackt und gefesselt, zuckte zurück.
»Schenkel«, befahl der Hauptmann.
Das Mädchen drehte das rechte Bein auswärts und zeigte ihm das Brandzeichen.
»Ist ja nur eine Sklavin«, sagte der Leutnant enttäuscht. Der Hauptmann lächelte. Er musterte die herrlichen nackten Rundungen des Mädchens. »Ein sehr hübsches Exemplar«, sagte er leise, und sein Blick ruhte wohlgefällig auf ihr. »Vielleicht kann sie heute abend für uns tanzen.«
»Sie kann nicht tanzen«, sagte ich. »Sie ist eine Barbarin. Sie spricht noch nicht unsere Sprache.«
»Schade«, sagte der Mann. Bei goreanischen Sklaventänzen wird von dem Mädchen oft erwartet, daß sie die Leidenschaften stillt, die sie in ihrem Publikum zu erwecken vermag. Sie darf sich nicht einfach am Ende ihrer Vorstellung zurückziehen, sondern muß den anwesenden freien Männern zu Willen sein, wenn einer oder mehrere sie zu besteigen wünschen. Sie muß den Preis für ihre Schönheit zahlen.
»Du mußt ihr das Tanzen beibringen«, sagte der Hauptmann lüstern.
»Das ist meine Absicht.«
»Eine hübsche Sklavin«, sagte er noch einmal und drehte seine Kaiila zur Seite, um die Inspektion fortzusetzen. Als er weiterritt, warf mir der Leutnant, der mich unbedingt hatte umbringen wollen, einen düsteren Blick zu. Im nächsten Augenblick schloß er sich der davonreitenden Patrouille an.
»Bleib in der Kurdah«, sagte ich zu Alyena. »Und schau nicht heraus.«
Mit zornigen Augen starrte sie mich an, während ich mit der Schwertspitze den Vorhang herunterstreifte.
Wenn ein Mädchen allmählich zu erkennen beginnt, daß sie eine Sklavin ist, in einer Gesellschaft, in der die Rolle der Sklavin unausweichlich festgelegt ist, geht eine phantastische Veränderung in ihr vor. Die ersten Vorläufer dieser Umwandlung spürte ich bereits in Alyena. Schon jetzt fand sie ihren Sklavenkragen aufregend; die Tatsache, daß sie das Eigentum von Männern war, faszinierte sie. Sie begann sich Gedanken über die Männer zu machen. Sie wurde kühn und verlor ihre Scham, wie es einem Besitztum zukommt. Sie gab sich bereits Gedanken und Träumen hin, die eine freie Frau entsetzt hätten, die aber für sie als Sklavin angemessen waren. Sie entdeckte ihre Sinnlichkeit. Alyena hatte es noch nicht bewußt erkannt und hätte den Gedanken bestimmt entrüstet zurückgewiesen doch sie war auf dem besten Wege, eine Sklavin zu werden.
5
»Was forderst du für sie?« fragte Suleiman. Er saß auf Kissen und auf Teppichen aus Tor.
Er trug Kaffiyeh und Agal in den Farben der Aretai.
Vor uns stand ein Mädchen auf dem glatten roten Holzboden. Ihr Körper war entspannt, ein herrlicher Anblick. Sie trug einen Gürtel aus zusammengerolltem Stoff und gelbe Tanzseide nach turianischer Art. Sie war barfuß; um ihre Fußgelenke lagen zahlreiche goldene Reifen. Sie trug einen gelben Seiden-Büstenhalter, der ihre Schönheit unterstrich. Ihren Hals schmückten mehrere leichte Goldketten mit Anhängern, ihre Arme waren von Schmuckreifen umschlossen. Sie war blond und blauäugig und hatte eine helle Haut. Ich nickte den Musikern zu, die sofort zu spielen begannen. Ein leises Klimpern der Finger-Zimbeln ertönte, und Alyena begann für uns zu tanzen.
»Gefällt dir die Sklavin?« fragte ich.
Suleiman beobachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. Sein Gesicht war ausdruckslos. »Sie ist nicht uninteressant.«
Ich zog unter meiner Robe den Gürtel hervor, in dem ich meine Edelsteine versteckt hatte. Vorsichtig schnitt ich die Naht auf, welche die beiden Teile zusammenhielt, nahm nacheinander die Steine heraus und legte sie vorsichtig auf den lackierten Intarsientisch, hinter dem Suleiman mit untergeschlagenen Beinen saß.
Er warf einen Blick auf die kostbaren Stücke, nahm sie nacheinander zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. Manchmal hielt er sie ins Licht. Ich hatte mir größte Mühe gegeben, den ungefähren Wert meiner Steine zu ermitteln, und auch ihren Marktwert in gepreßten Datteln.
Rechts von Suleiman saß ein anderer Mann in entspannter Haltung. Auch er trug Kaffiyeh und Agal und einen Seidenkaftan. Er war ein Salzkaufmann aus Kasra.
»Es tut mir leid, daß wir nicht zusammen nach Kasra und von dort nach Tor reisen konnten«, sagte Ibn Saran.
»Ich wurde leider dringend fortgerufen«, sagte ich. »Es ging um geschäftliche Dinge.«
»Ich habe es mit Bedauern vernommen«, sagte Ibn Saran lächelnd und hob eine winzige Tasse mit dampfendem schwarzen Wein an die Lippen. Er war gezuckert und schmeckte grauenhaft.
Suleiman schob bestimmte Steine mit den Fingern in meine Richtung. Diese Exemplare legte ich wieder in meine Börse. Offensichtlich interessierte er sich in erster Linie für Diamanten und Opale. Beide Gattungen wurden in der Tahari nur selten gehandelt.
Er betrachtete Alyena. Ihr Körper schien sich kaum zu bewegen trotzdem tanzte sie, wie gegen ihren Willen. Es sah aus, als wollte sie eigentlich stillstehen und müßte dazu die Wünsche des eigenen Körpers bekämpfen. Die Augen hatte sie geschlossen, die Zähne gruben sich in ihre Unterlippe, das Gesicht war gequält verzogen, die Arme mit geballten Fäusten über den Kopf erhoben dennoch bewegte sich der Körper wie von allein, ihr Körper zwang sie, sich den Augen der Männer in anmutiger Bewegung darzubieten. Mit dieser Art der Präsentation läßt sich eine unglaubliche Spannung erzeugen, der sich auch Suleiman und Ibn Saran nicht entziehen konnten. Ich hatte einen Monat lang in der Oase der Neun Brunnen warten müssen, ehe mir eine Audienz bei Suleiman gewährt wurde. Ibn Saran hob einen Finger, ohne den Blick von Alyena zu wenden. Von der Seite eilte ein Sklavenmädchen herbei sie trug einen durchscheinenden Hosen-Chalwar, der an ihrer Hüfte die nackte Haut sehen ließ, und darüber eine enge rote Weste. Sie war verschleiert. Das Mädchen kniete mit einem Silbergefäß neben ihrem Herrn nieder und schenkte ihm schwarzen Wein nach. Dann wich sie zurück. Ibn Saran machte ein zweites Zeichen, und ein anderes Mädchen, hellhäutig und blond, kam seiner Anordnung nach. Sie war ähnlich gekleidet wie die erste Sklavin und brachte ein Tablett mit verschiedenen Zuckersorten. Mit einem winzigen Löffel füllte sie vier Prisen weißen Zucker und sechs Prisen gelben Zucker in die Tasse. Nach jedem Löffel rührte sie den Wein vorsichtig um. Schließlich hielt sie die Tasse an die Wange, um zu prüfen, ob das Getränk nicht zu heiß war.