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Mary Kirchoff & Steve Winter

Die Stunde der Diebe. Finstere Pläne

Prolog

An dem kalten Herbsttag lastete ein stiller, dichter Nebel über dem Wald von Wayreth. Das Licht, das durch das dichte Blätterdach drang, war grau und trübe, so daß auch der Wald blaß und matt wirkte. Hin und wieder schnellte ein Blatt hoch, wenn angesammelte Feuchtigkeit heruntertropfte, als würde sie von unsichtbaren Händen abgewischt.

Zwei Zwerge liefen durch den alles verhüllenden Nebel und hatten dabei mit dem Gewicht des leblosen Körpers zu kämpfen, den sie zwischen sich schleppten. Sie waren einfach gekleidet: Wollhemden, breite Gürtel und dazu Hosen, die in schweren Stiefeln steckten. Ihre Last zerrten sie zu einem Hain junger Birken, wo sie sie ins feuchte Gras warfen. Dann lehnten sie sich auf die Schaufeln, die sie mitgebracht hatten.

»Wir sollten ein Grab ausheben«, sagte der erste, wobei er sich gedankenlos am bartlosen Kinn kratzte. Er war noch jung, und seine langen Haare waren in der Stirn kurz geschnitten wie bei einem Lehrling.

Der andere Zwerg schüttelte den Kopf, wobei der lange Bart hin und her flog. »Der ist sowieso allen egal. Seine Leute haben sich nicht mal drum gekümmert, ihn abzuholen. Ich mache mir doch für seine Leiche nicht den Rücken krumm. Überlassen wir ihn den Raben – bis morgen früh sind nur noch die Knochen übrig, und niemand wird ihn vermissen.«

Nachdem er sich die blutigen Hände an den Hosen abgewischt hatte, wühlte der bärtige Zwerg in einer ausgebeulten Tasche herum und zog eine Pfeife und einen pflaumengroßen Stein heraus. Kräftige Finger ließen den Stein an einem verborgenen Scharnier aufschnappen. Nach kurzem Pusten glühte das Stück Kohle darin rosig auf. Der Zwerg zündete seine Pfeife an. Augenblicke später zogen Rauchringe durch die schwere Luft und verschmolzen mit dem Nebel.

»Das ist der dritte in dieser Woche«, stellte der jüngere Zwerg fest. »Was glaubst du, warum sie herkommen, wenn sie doch wissen, wie hoch der Preis für ihr Versagen ist?«

Der ältere Zwerg betrachtete den leblosen Körper durch die Rauchkringel. Die Brust war aufgerissen, und die spitzen Enden gebrochener Rippen staken durch die blutdurchtränkte Robe. Das rechte Auge und ein großer Teil der rechten Gesichtshälfte waren zerfetzt. Der rechte Arm war unnatürlich verrenkt und offensichtlich an mehreren Stellen gebrochen. An der rechten Hand fehlte der Daumen.

»Wissen sie es wirklich?« fragte er sich laut. »Wenn wir den hier am Eingang aufstellen würden, anstatt ihn hier draußen zu verstecken, dann würden sie vielleicht den wahren Preis für ihr Versagen kennen.

Die meisten von denen, die zum Turm der Erzmagier kommen, sind Zauberlehrlinge, jung und von sich selbst eingenommen. Sie stehen vor einer schweren Wahl. Entweder bleiben sie ihr Leben lang Lehrlinge, Laufburschen, die nur kleinere Sprüche probieren dürfen, oder sie kommen hierher, stellen sich dem Tod und verdienen sich das Recht, die Roben eines echten Zauberers zu tragen.

Es ist eine harte Schule, aber die Versammlung der Zauberer weiß, warum. Magie ist die größte Macht der Welt. Die Versammlung kann die Magie nicht kontrollieren, also kontrolliert sie statt dessen, wer Magie ausübt. Jeder Zauberer in Ansalon, der mehr als nur die einfachsten Sprüche beherrschen will, muß zum Turm kommen und sich der Prüfung unterziehen, sonst wird er als Abtrünniger ausgestoßen und von den anderen gejagt. Wenn er fähig ist – und Glück hat –, besteht er. Wenn nicht…« Mit einem Nicken wies der Zwerg auf den zerschundenen Körper im Gras. Dann nahm er seine Schaufel und ging voran in Richtung Wayreth zum Turm der Erzmagier.

Als das Tageslicht im Wald von Wayreth der Dämmerung wich, fegte ein kalter Wind durch die trockenen Herbstblätter. Auf dem Boden unter den wirbelnden Blättern lagen die bleichen Überreste des toten Zauberers. Da erschien, wie aus den Blättern selbst entstanden, ein großes Goldstück. Es drehte sich in der Luft so schnell um sich selbst, daß es fast aussah wie eine goldene Kugel. Ohne aufzusteigen oder zu fallen oder sich seitwärts zu bewegen, wirbelte es im Herzen des kleinen Mahlstroms herum.

Dann legte sich der Wind so plötzlich, wie er gekommen war. Blätter sanken zu Boden, und die Münze fiel in die kalte, daumenlose Hand des toten Zauberers. Eine unheimliche, flüsternde Böe wehte durch das neblige Land, als die Finsternis hereinbrach.

Im Licht des abnehmenden Mondes zuckten blutige Finger, beugten sich und schlossen sich um die Münze. Neues Leben pochte durch die zerstörten Adern, erst ruckartig, dann fließender. Der kaputte Körper wand sich in Qualen auf den Blättern, als neues Blut aus seinen klaffenden Wunden floß. Die Rißwunden auf der Brust des Mannes schlossen sich. Ein heiseres Stöhnen öffnete seine Lippen und schwoll zu einem gepeinigten Wimmern an, das durch die feuchte Abendluft drang. Der Körper lag angespannt wartend da und atmete mühsam.

»Was ist dir dein Leben wert, Magier?«

Der Zauberer riß sein eines heiles Auge auf, als die krächzende Stimme aus seiner Handfläche erklang. Obwohl es eine Qual war, zwang er sich zum Aufsetzen und untersuchte die Münze in seiner Hand. Auf der einen Seite zeigte sie ein lächelndes Gesicht mit dicken hängenden Wangen, auf der anderen dasselbe Gesicht, doch höhnisch und verärgert. Sein Mund war ein Loch durch die Münze. Der Zauberer hob die Münze hoch, um durch das Loch zu sehen, zuckte jedoch entsetzt zusammen. Höhnische, zerfetzte Gesichter über verrotteten Körpern tanzten durch leckende Flammenzungen.

»Erst hast du den Tod kennengelernt und jetzt die Hölle gesehen, und alles an einem einzigen Tag«, sagte das lächelnde Gesicht. »Vielleicht möchtest du die Bedingungen für deine Wiedergeburt erfahren.«

Befremdet versuchte der junge Magier zu sprechen. »Wer bist du?« keuchte er. »Wie hast du das mit mir gemacht?«

»Erkennst du nicht das Gesicht deines Gottes Hiddukel, Herr der Verträge und Seelenmakler?«

Der junge Zauberer erschauerte und zog die Fetzen seiner Robe fester um sich, als der Name des alten, bösen Gottes erklang. »Aber ich verehre den neutralen Gott Sirrion.«

Die Münze sprang in seiner Hand hoch und zeigte das stirnrunzelnde Gesicht. »Wo ist der jetzt?« kreischte die Stimme. »Ich habe dir dein Leben wiedergegeben. Wie wirst du mir dienen?«

»Ich habe dich nicht um Hilfe gebeten«, sagte der junge Mann leise.

»So sei es!« brüllte Hiddukel.

Plötzlich fühlte der junge Magier wieder seine Rippen brechen. Ein Schmerzensschrei entrang sich mit einem blutigen Rinnsal seinen Lippen. »Was willst du?«

»Ich will nur dasselbe wie du«, tröstete das lächelnde Gesicht der Münze. »Rache dafür, wie man dich im Turm behandelt hat. Macht und Einfluß für meinen Gefolgsmann. Diese Dinge kann ich dir verschaffen. Im Gegenzug möchte ich nur Seelen.«

Noch immer ächzend, entgegnete der Magier scharf: »Was ist mein Leben noch wert, wenn meine Seele dir gehört?«

Die Münze lachte finster. »Ich will deine befleckte Seele nicht. Jede beliebige. Alles, was du mir schickst, wird deine Macht stärken und deine Schuld bei mir mindern. Ich werde deine Wünsche erfüllen und deine Pläne vorantreiben für etwas, was für dich wertlos ist. Ist das kein faires Angebot?«

Der junge Magier lag ganz still. Er hatte sich an einen Baum gelehnt. Verrückte Gedanken wirbelten in seinem Kopf herum. Er hatte den Tod kennengelernt, und dessen kalter Schrecken erfüllte noch immer sein Herz. Das Angebot der Goldmünze versprach ihm ein neues Leben. Und was noch besser war, es versprach ihm jene Macht, die ihm die Versammlung der Zauberer versagt hatte. Das Angebot lockte ihn, umgarnte ihn, und schließlich überwältigte es ihn. Er schloß die Augen und flüsterte mit den aufgesprungenen Lippen: »Ich nehme an.«

»Großartig!« sagte das joviale, lächelnde Gesicht. »Sollen wir gleich beginnen?«

Der Zauberer versuchte aufzustehen, brach jedoch wieder zusammen; in seinem Kopf drehte sich noch immer alles. »Ich brauche Ruhe. Und was ist mit meinem Auge und dem Daumen? Ich bin immer noch verletzt.«