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Hel blieb stehen. »Nein.«

Er schien verdutzt über ihre mürrische Antwort.

»Ich glaube, hier vorne können wir rasten.« Er deutete irgendwo in die Dunkelheit. Sie stiegen einen Geröllhang hinab, der ihr schier endlos vorkam, und landeten in einer Klamm, die vor Jahrhunderten ein ausgetrocknetes Flussbett gewesen sein mochte. Der Junge fand eine schräg aus dem Boden ragende Felsplatte, unter der man wie unter einem Dach lag, nahm den Umhang ab und warf ihn über die staubige Erde. Dann sammelte er ein paar Steine zusammen und ließ sie erleuchten. Hel sah nicht, wie er das Wunder vollbrachte, es ging auch viel zu schnell. Dennoch: Das Licht kam ihr schwächer vor als letzte Nacht. Es reichte gerade aus, um etwas zu erkennen.

»Wie machst du das?«

»Hier, der Umhang ist für dich. In der Nacht wird es kalt, aber damit hast du es warm.«

»Kannst du mir nicht einmal antworten?«

Er sah sie an und nahm den Wasserschlauch vom Gürtel. »Trink etwas.«

Sie nahm den Wasserschlauch wortlos entgegen und setzte sich auf den Umhang. Wie gut es tat, endlich die Beine auszustrecken! Am liebsten wäre sie sofort eingeschlafen. Aber sie trank erst und ganz so leicht wollte sie es dem Jungen auch nicht machen. Sie würde ihn schon noch zum Reden bringen. Allein um ihn zu ärgern.

»Du bist also ein Händler auf dem Weg nach Har’punaptra, aber du hast keine Ware dabei. Was verkaufst du also?«

»Ich verkaufe nichts.«

Aha. Ein Dutzend solcher vagen Antworten mehr, und sie hatte sein Geheimnis entschlüsselt. »Dann bist du hinter einem Kauf her, was?«

Er ließ sich im Schneidersitz nieder und nahm den Wasserschlauch. Gelassen zog er den Korken heraus und trank in langen, langsamen Zügen. Als er fertig war, verschloss er ihn noch langsamer.

»Allzu kostbar kann deine begehrte Ware nicht sein. Jedenfalls scheinst du keine Truhe voll Gold im Hintern zu verstecken, soweit ich das beurteilen kann.«

Er grinste. Da war sie ganz sicher, auch wenn das Licht schlagartig matter wurde und erst wieder aufglomm, als er sich die Haare aus der Stirn strich und den Knoten am Hinterkopf neu band. »Es ist kostbar. Aber nicht mit Gold zu bezahlen.«

»Es ist kostbar? Also ist es ein Einzelstück!«

Sie sah, wie seine Kieferknochen vortraten. Sie lächelte. »Tja. Dann lag ich wohl falsch in der Annahme, dass du hinter zwergischen Zuckerrüben her bist.«

Jetzt hörte sie ihn sogar lachen – ein rasch verschluckter Laut hinter fest zusammengepressten Lippen. Sie spitzte vergnügt den Mund. Er räusperte sich und zog die Brauen zusammen, ehe er sie wieder mit ausdrucksloser Miene betrachtete. »Dir scheint es wieder sehr gut zu gehen.«

Hel strich über ihre Rippe. Tatsächlich fiel ihr das Atmen gar nicht mehr schwer. Wenn sie so dasaß, spürte sie kaum etwas. »Ich dachte, ich hätte mir was gebrochen. Es ist wohl doch nur eine Prellung gewesen.«

Er schüttelte den Kopf. »Du hast Knochenbrüche. Zwei Rippen mindestens. Und dein Rücken war voller Scherben.«

Eine merkwürdige, hohle Übelkeit stieg in ihr auf. Vielleicht tat ihr doch noch etwas weh. Vielleicht hatte sie sich bloß dran gewöhnt ...

»Dreh dich um«, murmelte der Junge und rutschte näher. Hel spürte seine Hände auf den Schultern, als er ihr die Weste abstreifte. Sie zog die Arme an den Körper. Die plötzliche Nähe machte sie nervös. Anmerken lassen wollte sie sich das aber nicht. Sie hatte schließlich keine Angst vor ihm ... warum auch?

Vorsichtig löste er den Verband an ihrem Rücken. Der Verband rutschte auf ihre Taille. Sie hörte, wie der Junge Luft holte.

»Was ist?«, fragte sie hastig und fuhr mit den Fingern über ihren Rücken. Sie spürte nichts. Ein paar Kratzer. Sie drehte sich halb um und sah ihn an. »Was denn? Da ist nichts.«

»Eben.« Sein Blick durchbohrte sie. »Wer bist du?«

Sie öffnete den Mund, konnte aber nur verwirrt den Kopf schütteln, wandte sich ab und wickelte die Bandagen um ihren Oberkörper, um sich halbwegs wieder zu bedecken. Dann zog sie sich die Weste wieder hoch und drehte sich ganz zu ihm um. Wut schwang in ihrer Stimme: »Ich heiße Hel und bin Sturmjägerin auf der Schwalbe.« Gewesen, dachte sie. Und es schmerzte wie ein Nadelstich. Trotzdem wiederholte sie energisch: »Ich bin Sturmjägerin. Mein Kapitän ist Redwin Gharra, unser Jagdgebiet liegt an den Kauenden Klippen. Ich habe nichts zu verbergen. Du bist derjenige, der sich bei jeder Frage auf taub stellt und ... und ... ständig diese Kapuze und alles! Wenn du dich gerne mysteriös gibst, meinetwegen, ich verderbe dir nicht den Spaß. Aber unterstelle mir nicht, dass ich die Komische von uns beiden bin!« Kaum war es ausgesprochen, bereute sie, je den Mund aufgemacht zu haben. Für eine Sekunde irrte sein Blick zu ihrem Auge.

... dass ich die Komische von uns beiden bin. Hitze wallte über ihr Gesicht. Aus welchem entlegenen, traurigen Winkel ihrer Seele war ihr das bloß gerutscht? Sie schämte sich für ihre Worte, für sich selbst, dafür, dass sie da war und er sie sehen konnte. Hätte er seine dämliche Kapuze doch jetzt getragen, damit sie seinen Blick nicht ertragen musste!

Sie ließ ihr Haar unauffällig ins Gesicht hängen und verschränkte die Arme. Als hätte er nicht schon viel zu viel von ihr gesehen.

Kurzerhand stand sie auf und stapfte in die Dunkelheit. Der Junge sagte nichts. Aber sie spürte seinen Blick im Nacken. Jedenfalls kam sie sich beobachtet vor, selbst als der Lichtschein sie längst nicht mehr erreichte.

Ein wenig eiliger kletterte sie hinter die Felsen. Sie musste schon die ganze Zeit die Beine zusammenkneifen, und wenn sie jetzt nicht ging, würde sie wahrscheinlich nie den Mut aufbringen. Schließlich kehrte sie mit schleichenden Schritten zurück. Der Junge saß unverändert da und malte kleine Zeichen in den Sand. Sobald sie näher kam, wischte er den Boden glatt. Hel sah trotzig weg.

Auf dem Umhang entdeckte sie das Proviantpaket.

»Du musst Hunger haben.«

Den hatte sie wirklich. Sie hätte sogar gepökelten Sandwurm gegessen. Dennoch zögerte sie. »Es sind sieben Stück übrig. Aber bis Har’punaptra ist es noch weit.«

»Ja, wir müssen sparsam sein.« Er deutete mit dem Kopf auf das Essen. »Nimm dir einen.«

Nun, er musste es ja wissen. Hel nahm das Stück, das sie am Morgen zur Hälfte gegessen hatte, und biss ab. »Wie nennt man die?«

»Bu’khen.«

Sie kaute. »Das habe ich noch nie gehört. Was bedeutet der Name?«

»Er bedeutet ... Rundes Glück.« Er lächelte – und erstarrte, als er begriff, was er verraten hatte.

Hel blitzte ihn an. »Ach, tatsächlich? Und welche Sprache ist das?«

Kaum hörbar murmelte er: »Eine sehr alte.«

Sie senkte den Bu’khen und seufzte. »Schon gut. Ich lass dich in Frieden. Du kommst wahrscheinlich aus einem fernen Dörfchen am Rand der Welt, wo die Letzten deines Volkes irgendeinen lang vergessenen Krieg überlebt haben. Du hältst deine Herkunft geheim, weil man dir eingetrichtert hat, dass man euch noch immer ausrotten will.«

»Nicht ganz«, sagte er gepresst. »Aber eine hübsche Geschichte.«

»Dann bist du ein Flüchtling aus dem Alten Reich. Mit deinen Fähigkeiten würde es mich nicht wundern, wenn du es über die Kauenden Klippen geschafft hättest.«

»Nein ...«

Hel verspeiste schulterzuckend den Rest ihres Bu’khen. »Ich bin bei Sturmjägern aufgewachsen. Denk dir irgendeine Lebensgeschichte aus, und ich kann dir versichern, es gab mal einen Sturmjäger, auf den sie zutrifft. Ich hab Hunderte davon auf Lager.« Sie wischte sich die Finger an der Weste ab. »Isst du eigentlich nichts?«

»Nein.«

Das schwächer werdende Licht lag in seinen Augen, die mehr spiegelten als offenbarten. Hel atmete tief durch. Dann ließ sie sich auf den Umhang sinken, schob die Arme unter den Kopf und zog die Knie an. »Du bist wirklich ein komischer Vogel, weißt du das?«, sagte sie nachdenklich.