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Hel stellte den Brenner ab und tauchte einen Zipfel des Handtuchs ins warme Wasser. Sie begann mit ihrem Gesicht und wusch sich am ganzen Körper, bis sie sich weich und duftend fühlte, dann tauchte sie die Haare ins Wasser. Vom Seifenschaum war jetzt nicht mehr viel übrig, dafür schwappte eine Menge Staub in der Schüssel.

Jetzt, wo sie sauber war, wollte sie sich die Stoffstreifen nicht mehr umwickeln. Was war das überhaupt für ein Aufzug? Sie war in den vergangenen Wochen nicht bekleidet, sondern spärlich verbunden gewesen. Während sie die Stoffstreifen in der Hand wog, wurde ihr bewusst, dass das wirklich alles war, was sie noch besaß. Lumpen.

Kurzerhand sah sie sich im Zimmer um. Bestimmt konnte sie sich von Nova etwas borgen. Unter dem Bett fand sie eine halbwegs saubere Tunika, die zwar wie ein lindgrüner Sack an ihr hing, aber wenigstens über die Stoffhose reichte. Die blaue Weste von Arus wollte sie behalten, es war ein Erinnerungsstück. Nach langem Herumstöbern fand sie auch ein sauberes Paar Strümpfe, allerdings in unterschiedlichen Grautönen. Ihre alten Kleider lohnten nicht einmal die Mühe, sie zu waschen, also entsorgte Hel sie mit dem Wasser aus dem Fenster.

Als sie ein paar Tropfen von der Kommode gewischt hatte, brachte Hel es nicht über sich, das Zimmer so zu verlassen. Zuerst schob sie nur ein paar Schubladen zu. Dann klaubte sie Kleider vom Boden auf und legte sie gefaltet auf eine Truhe. Schließlich schob sie ein paar Sessel, Tischchen, Fernrohre und Teppiche zurecht, machte das Bett, ordnete die Vorhänge, stellte die Bücher zurück ins Regal, stapelte die Briefe und Papiere auf dem Schreibtisch und türmte die Kelche und Schüsseln auf ein Tablett. All das war in Windeseile erledigt. Schwer atmend sah sie sich um. Staubwolken tanzten im Schein der Leuchtkugel, die Kajüte wirkte wie ein Hund, dem man unversehens das Fell durchgebürstet hat. Mit einem zufriedenen Lächeln nahm Hel das Tablett, ließ die Leuchtkugel erlöschen und verließ den Raum.

Hel stand noch in der Küche und polierte die Kelche, als Nova hereingestürzt kam. »Was hast du getan?!« Er kreischte beinahe. Hel zuckte zusammen.

»Ich wollte doch nur ... ich hab nur ein bisschen aufgeräumt.«

Er stieß ein leidvolles Stöhnen aus. »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nichts wegtun!«

»Ich hab nichts weggetan! Keine Sorge, deine Liebesbriefe sind alle noch da, die liegen auf dem Schreibtisch unter der Leuchtkugel.«

Das schien ihn tatsächlich zu beruhigen. Trotzdem blieb er misstrauisch. »Aber das Geschirr und so ...«

»Ja, das wasche ich gerade.« Zum Beweis hielt sie die Kelche hoch.

»Was ist mit den kandierten Beeren? Ich hatte irgendwo kandierte Beeren.«

»Ich hab keine kandierten Beeren gesehen, wahrscheinlich hast du sie schon ... Moment mal.« Hel starrte ihn an. »Wo hast du die Süßigkeiten her?«

»Jetzt schnüffelst du ja schon wieder.« Er stützte die Arme in die Seiten, aber ein Grinsen flackerte um seinen Mund.

Hel stellte die Kelche weg und stemmte ebenfalls die Hände in die Hüften. »Jetzt hör mal zu. Ich habe dein Zimmer nicht aufgeräumt, um zu schnüffeln. Es interessiert mich nicht im Geringsten, was für Briefe du bekommst und aus welchen Büchern du deine Gedichte abschreibst. Ich habe dein Zimmer aufgeräumt, um mich für das Bad zu revanchieren. Kapiert?«

Er schnaubte. »Das war ein Geschenk, dafür revanchiert man sich nicht.«

»Gut, dann war es eben für die Tunika, die ich mir von dir genommen habe. Und die Strümpfe.«

Ihm fiel ihr Aufzug erst jetzt auf. Spöttisch grinste er. »Hel ... du kannst ja unverschämt sein.«

Sie kaute auf ihrer Unterlippe, um ein Lächeln zu verhindern. »Nicht so unverschämt wie du.«

Zwischenzeit

Das KIND war der Puls des Lebens, und das Leben pulsierte in IHM.

Die Nacht ließ seine Augen erblinden, aber das dunkle Herz schenkte eine zweite Sicht. Es saugte alles Finstere in sich auf und ließ die Welt in nacktem Licht zurück.

Das KIND war auf dem Weg durch das Licht, seit Tagen, Wochen schon, vielleicht auch länger. Wenn ES darüber nachdachte ... aber das kam selten, das Nachdenken ... war ES vielleicht schon immer auf dem Weg gewesen und hatte nie geruht.

Und jetzt lag ein Dorf in seinem Weg. Es sah sehr klein und hässlich aus, wie es so am Waldrand hockte. Die Felder, die in das schöne, stolze Land geritzt waren, weckten Zorn in IHM. Weicher, wolkiger, schwarzer Zorn. Das KIND war nur das Gefäß für die Macht, und die Macht strömte nur in IHM zusammen, diesem gebrechlichen Gefäß, wegen des dunklen Herzens. ES war so schwach. Und so mächtig.

Ruhige Schritte trugen ES auf das Dorf zu. Das KIND hob einen Finger, streckte den Arm aus und ließ das Leben in sich schwellen. Es war alles eins, alles eins, und alles war gut. ES lächelte.

Die Erde zitterte. Das Gras verdorrte knisternd, als das Leben es durchströmte, um in IHM einzukehren. Leben und Tod. Wie schmerzhaft erregend Leben und Tod sich anfühlten, und gar nicht so sehr verschieden.

Das KIND sah Licht in den Hütten. Kerzen, aber auch Lirium, stolzes Leben, eingepfercht in ihre Zauberkugeln. Und ES sah das Licht der Frauen und Männer und Kinder ... und Tiere ...

Sein Finger zuckte und seine Hand war ausgestreckt und das Leben kam zu IHM. Das KIND lächelte jetzt so, dass es zu kneifen begann. Die Kerzen in den Hütten erloschen und die Leuchtkugeln platzten. Und die Frauen, Männer, Kinder und Tierchen sprangen auf und wuselten durcheinander. Was für ein Leben! Was für Eile! Dann erloschen auch sie. Kleine Flämmchen. Flackern. Im Wind.

Aradon

Es war der fünfte Tag ihrer Reise und das Land hatte sich völlig verändert. Längst waren die kargen Felsen und Hügel Waldteppichen gewichen. Flüsse glitzerten hier und da. An manchen Stellen konnte Hel eine Ader sehen – eine der großen Hauptstraßen, die die Reiche miteinander verbanden. Als Feenlichter erfunden worden waren, hatte man damit Wege von Königreich zu Königreich abgesteckt, um das Lebendige Land sicher durchreisen zu können. Schon damals waren die Adern Symbol für die Macht der Magierschaft gewesen, die sich wie ein Netz über die Welt ausbreitete.

Hel lehnte an der Reling und genoss den kühlen Fahrtwind und die Sonne. Wer wusste schon, wann sie das nächste Mal auf einem Schiff sein würde? Die Ungewissheit nagte unaufhörlich an ihr und wie so oft musste sie an Mercurin denken. Mercurin, der sie gerettet hatte, dem sie ein Leben verdankte, das wie ein zerschnittener Faden zwischen Vergangenheit und Zukunft hing ... Sie versuchte, diese Gedanken energisch zu verdrängen. Aradon sei verflucht, das hatte er ihr bei ihrem Abschied gesagt. Sie solle zu den Isen gehen, fernab der Zivilisation. Wenn sie bloß wüsste, was zum Henker dieser Ratschlag sollte. Aber er war ohne Erklärung verschwunden, eine weitere abgerissene Erinnerung. Hel seufzte. Sie würde nie erfahren, wer er wirklich war.

In dieser Nacht wachte Hel nicht durch Albträume auf. Jemand zupfte an ihrem Kissen. Als sie blinzelte, entdeckte sie direkt vor sich ein violettes Licht.

»Tix!« Sie fuhr auf. Der Pixie erschrak und schwirrte zurück. Freude überkam sie, dann Argwohn. »Ich hab kein Lirium mehr für dich, wenn es das ist, was du willst.«

»Pffff! Als ob ich das nicht wüsste. Du bist ein armes Schwein!«

Hel zog die Stirn kraus. »Sag bloß, du hast mich vermisst.«