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»Das ist nun sehr wichtig«, begann Palairon mit dunkler Stimme. »War der Mann, der dich gefunden hat, einer aus dem Isenvolk?«

Die Frage war so unerwartet, dass Hel sie erst gar nicht verstand. »Äh, nein. Nein, er war kein Ise.«

»Bist du sicher?«, hakte eine der Magierinnen nach und lehnte sich vor. Hel nickte. »Ich bin ganz sicher.«

Die Magier auf der Empore tauschten Blicke. Dann wandte sich die Frau abermals an sie: »Du sagtest, du hättest ein Funkeln im toten Land gesehen, bevor das Schiff angegriffen wurde. Wie dürfen wir das verstehen? War da jemand?«

»Nein, ich kann, ich sehe Lirium. Im Land. Ich habe diese zweite Sicht ... alles Lebendige hat eine Aura. Ein Licht. Wie bei Geistern.«

Palairon und der Magier zu seiner Rechten, ein hagerer Mann mit wässrigen Augen, nickten; offenbar wussten sie von ihrer Gabe, während alle anderen verblüfft dreinblickten. Als keiner mehr eine Frage vorbrachte, erhob er sich.

»Vielen Dank für deinen Bericht, Hel. Wir würden uns gerne noch mit dir unterhalten, am besten gleich anschließend. Solange darfst du wieder Platz nehmen.«

Hel verneigte sich und kehrte zurück. Erst als sie wieder saß, sickerten die Worte zu ihr durch. Mit ihr unterhalten ... ein Übelkeit erregendes Flattern breitete sich in ihr aus. Wieso hatte sie ihnen Mercurins Namen nicht genannt? Sie wusste es nicht, und doch spürte sie, dass sein Name ein Geheimnis war, das sie hüten musste. Nur durch Zufall hatte sie ihn erfahren – das gab ihr nicht das Recht, ihn zu verraten. Auch wenn es vielleicht keine Rolle spielte, Mercurin hatte ihr das Leben gerettet, und alles, was sie ihm dafür geben konnte, war ihre Verschwiegenheit. Ob sie sich je wiedersahen oder nicht, ob er es jemals erfuhr oder nicht – er konnte sich auf sie verlassen.

Hel war so vertieft in ihre Gedanken, dass sie den Magiern nur halb lauschte. Doch dann merkte sie, dass es still geworden war, und sah auf. Palairon stand noch immer, den Mund zu einem schmalen Strich zusammengekniffen. Hel hatte nicht mitbekommen, was er gerade gesagt hatte, doch die Anspannung in seiner Miene verhieß nichts Gutes. Als er wieder zu sprechen begann, war sie einen Moment sicher, dass sie sich verhörte.

»... also müssen wir heute mit Bedauern verkünden, dass die Liga der Sturmjäger bis auf Weiteres aufgelöst ist.«

Chaos brach aus. Doch kaum waren die Sturmjäger aufgesprungen, erscholl ein dumpfer, alles erschütternder Knalclass="underline" Der Stab des Magiers bebte. Hel biss sich auf die Lippe, aus Angst, einen Schreckenslaut auszustoßen.

Eisige, unwirkliche Stille umwehte Palairon. Die Säume seines Gewandes zitterten. »Wir haben die Entscheidung nach sorgfältiger Überlegung getroffen, meine Freunde. Die Liriumerträge der letzten zwei Jahre konnten nicht einmal zur Hälfte decken, was wir aus unseren Vorräten, den Vorräten von Jahrhunderten, entnehmen mussten. Wir alle wissen ...« Er räusperte sich. »Wir wissen alle, dass das Land ausstirbt. Und hier in Aradon sucht man dringlichst nach Lösungen für das Problem. Seid versichert, dass wir einen Weg finden werden. Doch die Angriffe auf unsere Schiffe erfordern rasches Handeln.« Palairon nahm seinen Stab und schritt die Empore herab. Mit langsamen Schritten ging er die Reihen der Sturmjäger entlang. »Fünf Schiffe wurden angegriffen. Fünf von zweiundzwanzig! Innerhalb einer Mondphase. Solange wir nicht wissen, wer hinter den Angriffen steckt, und wir unseren Gegner nicht unschädlich gemacht haben, riskiert jeder, der sich auf Sturmjagd begibt, sein Leben.« Er blieb stehen und breitete die Arme aus. »Gewiss, die Sturmjagd war immer ein gefährliches Unterfangen. Eine Jagd zwischen Himmel und Erde, Ruhm und Tod! Doch wollt ihr weiter auf Sturmsuche gehen, wenn die Wahrscheinlichkeit größer ist, Opfer eines schrecklichen Übergriffs zu werden, als einen Sturm zu sichten?«

»Was sollen wir sonst machen?«, rief jemand erbost.

Palairon drehte sich um. »Nun. Bis wir der Sache auf den Grund gegangen sind, werdet ihr alle hier in Aradon untergebracht sein. Es wird euch an nichts fehlen.«

»Und danach?«, brummte jemand. Andere stimmten mit ein. »Wie lange soll das so gehen?«

»Wir werden die Liriumgewinnung neu planen und vielleicht neue Wege einschlagen.«

Empörte Rufe wurden laut. »Ihr wollt uns entlassen! Wie viele Schiffe zieht ihr noch ein?«

Im allgemeinen Lärm schwappten noch schlimmere Anschuldigungen, gar Beschimpfungen mit, bis Palairon wieder den Stab auf den Boden fahren ließ. Die Halle erbebte. Hel glaubte, das Fensterglas klirren zu hören. Für einen Herzschlag musste sie an den Absturz der Schwalbe denken, die brechenden Fenster ... sie klammerte sich an ihrem Sitz fest.

»Meine Freunde«, sagte Palairon in drohendem Ton, »die Liga der Sturmjäger untersteht dem Befehl der Magierschaft. Die Schiffe der Liga sind unsere Schiffe und jedes verlorene Schiff ist unser Verlust. Solange die Gefahr besteht, bleiben sie in Aradon.«

»Dann sagt uns endlich, was hinter den Angriffen steckt!«, forderte ein Sturmjäger. Palairon suchte den Sprecher, doch fand ihn nicht in der Menge.

»Auch wir wollen keine Zeit verlieren. Meister Olowain, einer unser größten Gelehrten der Magie, wird die Verbrechen aufklären.« Palairon hob die Hände. »Habt Vertrauen, meine Freunde. Sobald wir Antworten haben, werden wir sie euch geben. Das wäre alles. Ich danke euch.«

Die Tür schwang auf. Missgelaunt nahm Palairon seinen Stab und schritt zur Empore zurück. Bewegung kam in die Schatten der Logen, als die Magier, die das ganze Geschehen stumm verfolgt hatten, die Halle verließen. Die Sturmjäger beobachteten verstört ihre Flucht. Keiner wollte einsehen, dass die Versammlung mit diesen Worten beendet sein sollte.

Als Palairon an Hel vorüberschritt, gab er ihr einen Wink. »Du bleibst.«

Der Magier von vorhin begann, die Sturmjäger hinauszubugsieren, und teilte dabei beschwichtigende Worte aus. Aber einer schlüpfte am Magier vorbei: Nova. Automatisch stand Hel auf und kam ihm entgegen.

»Keine Angst, ich bleib hier«, sagte er.

Palairon drehte sich verwundert nach ihnen um. »Ach, ist das so?«

Nova holte Luft. »Wir haben Hel auf der Taube mitgenommen. Sie hat mir alles über den Absturz erzählt und als stellvertretender Kapitän bin ich für unsere Jäger verantwortlich. Und auch als guter Freund.« Er sagte es sehr ernst und Hel hatte ihn nie lieber gehabt als in diesem Moment.

Der Vorsitzende der Magierschaft sah ihn eindringlich an. »Sehr ehrenhaft, Pienova Nord. Aber nein. Wir werden Dinge besprechen, die vertraulich sind.«

Einen Moment stand Nova mit angespannten Schultern da, und es schien fast, als würde er widersprechen. Hel berührte ihn am Ärmel.

»Ich warte draußen auf dich«, murmelte er. Dann verbeugte er sich und stolzierte davon. Hel blinzelte die Magier durch das gleißende Sonnenlicht an. Hinter sich hörte sie, wie die Tür geschlossen wurde.

Palairon blieb auf den Stufen stehen, fegte seinen Umhang zurück. Einen Moment lang sah er Hel nur an. Dann zog er einen Brief hervor, entfaltete und überflog ihn.

»Ich habe hier ... ein Schreiben von Kapitän Redwin Gharra. Ungefähr drei Wochen alt, also verfasst kurz vor dem Absturz, nicht?« Er warf Hel einen Blick zu. »Weißt du, was darin steht?«

Sie nickte stockend.

»Er empfiehlt dich als Nachfolgerin.« Palairon wartete, bis sie Mut fasste und ihn ansah; erst dann fuhr er fort: »Meinst du, er sah seinen Tod kommen, als er diese vorsorgliche Maßnahme traf?«

Hel spürte ein Hämmern in den Schläfen. Palairon schob den Brief zurück in sein Gewand. »Kapitän Gharra begründet seine Empfehlung auch. Er schreibt Bemerkenswertes über dich. Über deine Gabe.« Wieder beobachtete er sie und ihr wurde heiß. »Du kannst Lirium sehen, nicht wahr? Ich habe schon davon gehört, aber vor Gharras Brief und deiner Erzählung heute hielt ich es für ein Gerücht. Woher kommt diese Fähigkeit?«